Sportrechtler rät Jan Ullrich von einer DNA-Analyse ab
Jan Ullrich hat sich zurückgezogen. "Er steht etwas neben sich und hat jetzt erstmal Zeit für sich erbeten", sagte T-Mobile-Kommunikationsleiter Christian Frommert, der mit dem suspendierten Top-Angestellten des Hauses in Telefon-Kontakt steht, am Sonntag. Im Hintergrund arbeiten die Anwälte auf der Suche nach einer Verteidigungslinie auf Hochtouren. E-Mails der Ullrich-Fans an T-Mobile beantwortete Frommert von Samstag auf Sonntag in einem kraftraubenden Nacht-Einsatz.
"Es ist ein Albtraum. Ich habe mich in diesem Jahr vorbereitet wie noch nie, fühle mich in einer Bombenform und muß nun zuschauen. Ich habe mit der ganzen Sache nichts zu tun", versicherte Ullrich unterdessen auf seiner Homepage.
Die Tour, die Vorwürfe und der drohende Absturz überschatteten auch ein Familienfest des 32jährigen Wahlschweizers: Am Tag des Prologs der 93. Tour de France, den der mit inzwischen ziemlich konkreten Doping-Anschuldigungen konfrontierte Ullrich gezwungenermaßen verpaßte, feierte seine Tochter Sarah-Maria am Samstag ihren dritten Geburtstag.
Der Heidelberger Sportrechtler Michael Lehner, als Vertreter von Dieter Baumann und Danilo Hondo als Spezialist für juristische Marathonläufe bekannt, würde Ullrich "als Anwalt von einer DNA-Analyse abraten". Die Beweislast würde umgekehrt, "was in einem Rechtsstaat nicht geht". Außerdem würde sich der Radprofi möglicherweise "aufs Glatteis begeben. Er weiß ja gar nicht, in welchem Zustand die ihm zugeschriebenen Blutproben sind", ob überhaupt eine wissenschaftlich unanfechtbare Analyse möglich sei.
Große Teile der Öffentlichkeit und auch sein Sponsor würden eine offensive Verteidigung mit dem Angebot der freiwilligen Abgabe einer DNA-Analyse dagegen sicher begrüßen. Frommert: "Das war eine Option, die wir ihm nahe gelegt haben." Ullrich ist darauf bislang nicht eingegangen. Aus gutem Grund, denn die Geste könnte auch unangenehme Konsequenzen zur Folge haben. Wie seinerzeit bei Christoph Daum. Eine auf Kokain positive Haarprobe verhinderte dessen mögliche Berufung zum Bundestrainer der deutschen Fußball-Nationalmannschaft vor sechs Jahren.
Am Samstag war bekannt geworden, daß Ullrich im Zuge der spanischen Doping-Affäre um die juristisch verfolgten Mediziner Eufemiano Fuentes und José Merino Batres nicht nur mit manipuliertem Blut in Verbindung gebracht wird. Die französische Zeitung "L'Équipe" zitierte aus Berichten der Guardia Civil, es gebe auch Hinweise auf eine Bestellung aus dem Ullrich-Umfeld von Wachstumshormonen und Testosteron.
Die Zeitung dokumentierte auch einen codierten Handy-Verkehr, der Rudy Pevenage ("Rudicio") zugeschrieben wird, mit Fuentes einen Tag vor dem Zeitfahren des Giro d'Italia, das Ullrich überraschend gewann. Die Polizei vermutet, Fuentes führte den 51jährigen Ullrich-Betreuer unter dem Pseudonym "Rudicio".
Theoretisch müßte dem Weltverband UCI das Blut sämtlicher Tour-Starter und der Teilnehmer des vergangenen Giro nach den obligatorischen Kontrollen vor dem Rennen vorliegen. Allerdings sagte T-Mobile-Teamarzt Lothar Heinrich am Sonntag dazu: "Normalerweise müßte dieses Blut nach dem Test vernichtet werden, und ob es rechtlich möglich wäre, gegen den Willen der Fahrer auf diesem Weg einen DNA-Test zu machen, weiß ich nicht."
Der Mediziner der Universität Freiburg war vom Fall Ullrich "genauso überrascht wie alle". Bei internen Blutuntersuchungen im Team habe es keine Hinweise auf Blutdoping gegeben. Ein Nachweis dieser Manipulations-Methode mit Eigenblut sei ohnehin noch nicht möglich. Eine Blut-Volumen-Messung, die darauf hinweisen könnte, könnte laut Heinrich demnächst eingeführt werden.
Nach Ansicht des Chefs der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, Richard Pound, steht die Zukunft des Radsports auf dem Spiel, wenn nicht endlich strikt gegen Doping vorgegangen wird. Im britischen Radio BBC erklärte der Kanadier am Sonntag weiter: "Das Image des Sports und dessen Flaggschiff-Veranstaltung Tour de France ist schwer beschädigt." (dpa)
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