Überhydrierung beim Sport

Trinken bis zum Hirnödem

Sportler sollen vor dem Sport, während dem Sport und danach viel trinken - solche Ratschläge gibt es zuhauf. Alles Quatsch, sagen inzwischen viele Sportmediziner. Man soll trinken, wenn man Durst hat, alles andere ist sogar gefährlich.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Die russische Tennisspielerin Maria Sharapova in London: Bitte nicht bis zum Umfallen trinken.

Die russische Tennisspielerin Maria Sharapova in London: Bitte nicht bis zum Umfallen trinken.

© MIS / imago

KASSEL. Die 41-jährige Marathonläuferin hatte die Strecke zwar in fünf Stunden geschafft, fühlte sich danach aber nicht besonders wohl: ihr war übel, der Kreislauf war am Zusammenbrechen.

Sie gab an, genug getrunken zu haben, die anwesenden Ärzte verabreichten ihr aber Infusionen, weil sie einen Flüssigkeitsmangel vermuteten.

Das war fast fatal: Kurze Zeit später lag die Frau mit Hirnödem und Hyponatriämie auf der Intensivstation. Nicht zu wenig Wasser, sondern zu viel, war das Problem, wie Notfallmediziner um Dr. Stefan Trautwein vom Klinikum Kassel berichteten (Notfall Rettungsmed 2009; 12:287-289).

Offenbar passieren solche Unfälle immer wieder: Nach Marathonläufen haben bis zu 13 Prozent der Sportler zu niedrige Natriumspiegel (unter 136 mmol/l), schwere Hyponatriämien mit Werten unter 120 mmol/l kommen immerhin bei 3 bis 6 von 1000 Läufern vor, schreiben Trautwein und Mitarbeiter.

Dagegen ist die Gefahr einer Dehydrierung eher gering. "Wir konnten in der Literatur keinen einzigen Fall von Dehydrierung als Todesursache bei Marathonläufern feststellen, es gibt aber zahlreiche Berichte über Läufer, die an einer Überhydrierung starben", schreiben Forscher um Dr. Carl Heneghan von der britischen Oxford University in einer aktuellen Publikation (BMJ 2012; 345:e4848).

Trinken auch ohne Durst?

Trotzdem glauben immer noch viele Sportler, dass man nie genug trinken kann und am besten auch dann noch Wasser in sich hineinschüttet, wenn man längst keinen Durst mehr hat.

Sportmediziner sind an dieser Haltung nicht ganz unschuldig, denn in der Zunft besteht bis heute ein Dissens, wann und wie viel man beim Sport trinken soll.

So warnte Professor Heinz Liesen, der an der Universität Paderborn ein Sportmedizinisches Institut aufgebaut und viele Leistungssportler betreut hat, noch vor einigen Jahren: "Wir haben kein gut entwickeltes Durstgefühl. Es gibt nicht wieder, was der Körper braucht."

Liesen rät, bereits eine halbe Stunde vor dem Sport die Flüssigkeitsreserven des Körpers aufzufüllen. Wer zu wenig trinke, könne weniger Leistung bringen und empfinde den Sport als belastender.

Liesen: "Jeder Flüssigkeitsmangel über einem Prozent des Körpergewichts kann gravierende Veränderungen bewirken."

Leichte Dehydrierung verbessert die Leistung

Solchen Auffassungen widersprechen Heneghan und Mitarbeiter vom Zentrum für evidenzbasierte Medizin in Oxford vehement: In Studien hätten selbst Flüssigkeitsverluste bis knapp über drei Prozent die Leistung der Athleten nicht geschmälert und auch keine Probleme verursacht, eher im Gegenteil, die Leistung sogar noch verbessert.

So wurden in einer Studie Sportler unter starker Belastung geprüft: Die einen durften während des Trainings trinken, die anderen nicht. Bis zu einem Flüssigkeitsverlust von 2,3 Prozent des Körpergewichts schnitten die Dehydrierten deutlich besser ab.

Die einfache Erklärung: Sie waren durch den Flüssigkeitsverlust leichter und mussten ihr Training nicht ständig zum Trinken unterbrechen.

Der Rat, zu trinken, bevor man Durst hat, führe oft dazu, dass Sportler zu viel Wasser konsumieren würden. Das schmälere ihre Leistung und gefährde ihre Gesundheit, so Heneghan.

Marathon mit acht Prozent Gewichtsverlust

Der Sportmediziner Dr. Tim Noakes von der Universität in Kapstadt in Südafrika warnt sogar davor, bei Athleten pauschal eine Prozentzahl für eine schädliche Dehydrierung anzugeben und nennt als Beispiel den US-Amerikaner Alberto Salazar.

Dieser hatte bei den olympischen Spielen 1984 in der Hitze von Los Angeles über acht Prozent seines Körpergewichts beim Marathon verloren. Dennoch lief er eine Zeit von zwei Stunden und 14 Minuten (Timothy Noakes im Magazin "Runner's World", Mai 2005).

Viele gute Marathonläufer, so Noakes, kommen mit einem halben Liter Wasser während des Wettkampfs aus. Viel gefährlicher sei ein Zuviel an Wasser. Bereits eine Zunahme von zwei Prozent des Körpergewichts durch Wasser könne generalisierte Ödeme erzeugen.

Der Sportmediziner verweist auch gerne auf afrikanische Buschmänner, die bei 40 Grad in der Savanne oft Marathonstrecken zurücklegen, ohne dass ihnen alle paar Kilometer eine Wasserflasche gereicht wird.

"Haben wir nicht ihre Physiologie geerbt?", fragt Noakes. Der Mensch habe durch seine Evolution in einer solchen Umgebung wie kein anderes Säugetier die Fähigkeit entwickelt, auch unter extremer Anstrengung und Hitze einen hohen Flüssigkeits- und Elektrolytverlust zu verkraften.

Dieses Defizit werde in aller Regel nach, nicht vor oder während der Anstrengung ausgeglichen. Dass man vor dem Sport trinken soll, auch wenn man keinen Durst hat, weil sich sonst das Blut verdickt und man rasch dehydriert, hält Noakes daher für "eine unsinnige Auffassung, die sich zu einer Art Mantra entwickelt hat.

"Bisher konnte nicht nachgewiesen werden, dass es irgendeinen Nutzen bringt, mehr zu trinken, als der Durst uns signalisiert." Er sieht in diesem Mantra letztlich nur eine Marketingstrategie der Getränkeindustrie (BMJ 2012; 344:e4171 ).

Büromenschen und Senioren dehydrieren leichter

Eine deutlich moderatere Position vertritt hingegen der Diplom-Ökotrophologe Uwe Schröder vom Institut für Sporternährung in Bad Nauheim.

"Entscheidend ist das richtige Trinken. Weder ein Zuwenig noch ein Zuviel ist leistungsfördernd. So muss im Freizeitsport während der meisten Aktivitäten nicht getrunken werden, wenn die Aufnahme vorher ausreichend war."

Schröder hält schweißbedingte Wasserverluste von bis zu maximal zwei Prozent des Körpergewichts, das sind etwa 2,5 Liter bei einem 70-kg-Sportler, noch für akzeptabel. Er warnt zudem davor, Empfehlungen für Athleten auf Freizeitsportler zu übertragen.

Personen, die chronisch zu wenig trinken, seien besonders gefährdet zu dehydrieren. "Hierzu zählen oft Senioren wegen des verminderten Durstempfindens. Auch Berufstätige, die über längere Zeit aufgrund der Arbeitssituation zu wenig trinken, können betroffen sein."

Schröder: "Kinder, Jugendliche, aber auch Untrainierte haben ein erhöhtes Risiko eines Hitzeschadens, da sie weniger Schweißdrüsen besitzen und ihre Thermoregulation nicht optimal funktioniert."

Im Freizeitsport, rät Schröder, sollte jede körperliche Aktivität gut hydriert begonnen werden und das Trinken vor allem bei hohen Außen- oder Hallentemperaturen geplant werden.

Ein über den Tag verteilter Getränkekonsum von zwei Litern ist empfehlenswert zuzüglich des Ausgleichs der Schweißverluste. Diese lassen sich durch Wiegen vor und nach einer Sporteinheit leicht abschätzen.

Apfelschorle nicht optimal

Für den Flüssigkeitsausgleich hält Schröder die beliebte Apfelschorle, im Verhältnis 1:1 gemischt, nicht für optimal: "Sie enthält viel Fruchtzucker, der nur langsam Energie liefert und in größeren Mengen abführend wirkt."

Schröder: "Die Fruchtsäuren verzögern außerdem die Magenentleerung. Auch ist die Apfelschorle kalorienreich und kann, je nach verwendetem Wasser, zu wenig Natrium enthalten."

Er empfiehlt ein anderes Mischungsverhältnis, etwa mineralstoffreiches Mineralwasser, Apfelsaft und Traubensaft im Verhältnis 6:2:1.

Auch natürliche isotonische und kalorienarme Sportgetränke aus unterschiedlichen Fruchtsäften auf Mineralwasserbasis seien geeignet, ebenso alkoholfreie Biersorten nach dem Training.

Er warnt Freizeitsportler jedoch vor energiereichen Getränke, die für Profiathleten konzipiert wurden. Damit ist die Energieaufnahme schnell höher als der Verbrauch.

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