Toxikologische Bewertung
Valsartan-Verunreinigung – Wie gefährlich ist N-Nitrosodimethylamin?
Der kürzlich vorgenommene Rückruf Valsartan-haltiger Arzneimittel aufgrund einer möglichen Verunreinigung mit Dimethyl-N-Nitrosamin (NDMA) beunruhigt Patienten. Was ist über das toxikologische Risiko der Substanz bisher bekannt?
Veröffentlicht:ESCHBORN. N-Nitrosodimethylamin (auch Dimethylnitrosamin/NDMA bezeichnet) ist eine chemische Verbindung aus der Gruppe der Nitrosamine. Nach Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) gehören N-Nitrosamine in der Toxikologie zu den am intensivsten bearbeiteten Stoffklassen. Die meisten N-Nitrosamine seien im Tierversuch sowohl nach oraler als auch nach inhalative Gabe krebserzeugend. Verbraucher nehmen N-Nitrosamine vor allem über die Nahrung auf, insbesondere über Lebensmittel wie gepökeltes oder geräuchertes Fleisch und geräucherten Fisch.
2011 hatte das BfR explizit auch auf das Risiko von Nitrosaminen aus Saugern und Spielzeug hingewiesen. Insbesondere Spielzeug aus Natur- oder Synthesekautschuk, das von kleinen Kindern in den Mund genommen werde, könne eine Quelle für N-Nitrosamine sein.
Toxizität und Kanzerogenität von N-Nitrosaminen
Zahlreiche N-Nitrosamine sind laut BfR besonders potente Kanzerogene, für die aufgrund ihres genotoxischen Mechanismus keine sichere toxikologische Wirkungsschwelle angenommen werden könne. Bereits kleinste Mengen könnten krebsauslösend wirken. Die induzierten DNA-Schädigungen stiegen linear mit der Dosis an. Aufgrund der fehlenden Wirkungsschwelle verweist das BfR in einer Risikobewertung darauf dass grundsätzlich für genotoxische Kanzerogene die Exposition soweit wie möglich zu minimieren und das ALARA-Prinzip ("As low As Reasonably Achievable") anzuwenden sei.
Die Toxizität und Kanzerogenität von N-Nitrosaminen ist laut BfR in zahlreichen Monografien "umfassend" dokumentiert. N-Nitrosamine haben in praktisch allen untersuchten Spezies sowohl nach oraler als auch nach inhalativer Aufnahme Tumore induziert (nachgewiesen in über 40 Tierspezies). Daher sei anzunehmen, dass sie auch beim Menschen krebsauslösend wirken (WHO, 2002), so das BfR.
Die kanzerogene Potenz der verschiedenen N-Nitrosamine variiere dabei sehr stark, wobei NDMA zu den potentesten gehört. NDMA ist der EU auch als Stoff eingestuft, der wahrscheinlich beim Menschen karzinogen ist (Kategorie 1B). Während in der Regel der Kategorie 1B entsprechende Zubereitungen erst ab einem Gehalt von 0,1 % als krebserzeugend zu kennzeichnen sind, müssen Zubereitungen von NDMA bereits ab 0,001 % gekennzeichnet werden, was auf die hohe kanzerogene Potenz dieser Verbindung hinweist.
Wieviel NDMA war in den Valsartan-Präparaten?
Konkrete Angaben zur Konzentration der NDMA-Verunreinigungen in den verschiedenen Vasartan-Chargen stehen noch aus. Das BfArM sieht derzeit zumindest keine akute Patientengefährdung. Weil dieser Stoff an sich aber "wahrscheinlich krebserregend" ist, hat die Behörde einen europaweiten Rückruf betroffener Chargen vorgenommen. Mit praxisrelevanten Erkenntnissen zu Gesundheitsrisiken im Zusammenhang mit NDMA-belasteten Valsartan-Mitteln rechnet das BfArm allerdings erst in nicht absehbarer Zeit.
Die Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) hat inzwischen bereits einige Valsartan-Präpate toxikologisch unter die Lupe genommen. Das Zentrallaboratoium Deutscher Apotheker (ZL) e.V. hat nun dazu erste konkrete Zahlen aus einigen stichprobenhaften Untersuchungen Valsartan-haltiger Fertigarzneimittel vorgestellt. Basierend auf den gefundenen Werten hat die AMK eine vorläufige Stellungnahme zum toxikologischen Risiko für betroffene Patienten vorgenommen.
Unter Anwendung der im ZL entwickelten Methodik wurden danach NDMA-Gehalte zwischen 3,7 und 22,0 Mikrogramm/Tablette für die untersuchten Stichproben derjenigen Arzneimittel gefunden, die ihren Wirkstoff vom chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical Co. Ltd. bezogen haben. In Produkten, die nicht vom Rückruf betroffen waren, habe nach einer Mitteilung des AMK NDMA nicht nachgewiesen werden können.
Das ZL hat zudem den NDMA-Gehalt in gepökeltem Fleisch und Bier verglichen, um die ermittelten NDMA-Werte in den Valsartan-Fertigarzneimitteln einzuschätzen. Die Wissenschaftler des ZL kommen dabei zu dem Schluss, dass die Abschätzung der maximalen täglichen Belastung als besorgniserregend einzustufen ist. Im Sinne der Patientensicherheit sei eine weitere Exposition unbedingt zu verhindern.
So rechneten die ZL-Toxikologen
Im Tierversuch verursachte NDMA, das mit dem Trinkwasser verabreicht wurde, Lebertumoren an Ratten. Diese traten ab einer Dosis von 109 µg/kg Körpergewicht (KG) und Tag auf. Aus den tierexperimentellen Daten wurden folgende toxikologische Deskriptoren abgeleitet: Der T25-Wert (Tumoren bei 25 % der Tiere) wurde auf 150 µg/kg KG und Tag abgeschätzt. Berechnungen zum BMDL10-Wert (untere Vertrauensgrenze der Dosis, die bei 10 % der Tiere Tumoren auslöst) lagen bei 62 – 81 µg/kg KG und Tag. Damit wurde ein Margin of Exposure (MoE; Verhältnis zwischen dem toxikologischen Deskriptor und der relevanten Human-Dosis) von (min.) 62 µg/kg KG und Tag zu (max.) 6 ng/kg KG und Tag = rund 10.000 berechnen. Dieser MoE kann noch als ‚may be of low concern‘ eingestuft werden.
Im Vergleich hierzu kann durch die Einnahme einer kontaminierten Tablette aus den vorliegenden Untersuchungsmustern eine tägliche Belastung von bis zu 22µg NDMA, d. h. von ca. 370 ng/kg KG und Tag erfolgen. Daraus würde sich ein MoE von (min.) 62µg/kg KG und Tag : (max.) 370 ng/kg KG und Tag = rund 170 berechnen lassen. (run)
Lesen Sie dazu auch: Arzneimittelsicherheit: Keine klare Aussage zu Valsartan-Langzeitrisiken in Sicht