HINTERGRUND
Verdacht auf K.O.-Tropfen? Dann sollten Ärzte rasch Blut, Urin und Haare analysieren
Stadtteilfest im Sommer. Die Menschen sitzen an langen Tischgarnituren und hören Live-Musik. Eine Gruppe von Mädchen steht auf, um zu tanzen. Eine halbe Stunde, nachdem sie sich wieder gesetzt haben, wird einem der Teenager übel. Die 15-Jährige verabschiedet sich und macht sich auf den Weg zum Bus.
Obwohl sie keinen Alkohol getrunken hat, wird ihr plötzlich schwindelig, sie hat das Gefühl, sich nicht mehr auf den Beinen halten zu können, lehnt sich an eine Hauswand. Die Hilfe eines unbekannten jungen Mannes nimmt sie gerne an. Stunden später findet sie sich im Gebüsch eines nahe gelegenen Parks wieder, unverletzt, aber mit dem sicheren Gefühl, Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Daran erinnern kann sie sich nicht.
Plötzliche Übelkeit und Filmriss über Stunden
Für Frauennotrufe, Polizei und Rechtsmedizinische Institute sind Schilderungen wie diese keine Seltenheit: Menschen berichten von plötzlicher Übelkeit, Brechreiz, Wahrnehmungsstörungen, einem Zustand wie in Watte gepackt, in dem sie sich willenlos und bewegungsunfähig fühlen, teilweise mit einem Filmriss über Stunden.
Unter bestimmten Voraussetzungen kommen so genannte K.O.-Tropfen als Ursache infrage. Sie enthalten Substanzen, die das Bewusstsein trüben und einen Erinnerungsverlust hervorrufen von dem Zeitpunkt, ab dem sich ausreichend große Mengen der Mittel im Gehirn befinden (anterograde Amnesie).
Wie oft K.O.-Tropfen für Straftaten verwendet werden, ist weitgehend unklar, so Privatdozentin Hildegard Graß vom Institut für Rechtsmedizin in Düsseldorf. Ein Grund dafür: Nur bei einem geringen Teil der Verdachtsfälle erfolgt eine gezielte, toxikologische Untersuchung. "Menschen mit Erinnerungsproblemen, die eine bizarr klingende Geschichte schildern, werden häufig nicht ernst genommen und nach Hause geschickt - oft mit dem gut gemeinten Rat wiederzukommen, wenn die Erinnerung klarer geworden ist", so die Erfahrung der Rechtsmedizinerin. Dann aber ist es für einen toxikologischen Nachweis der Substanzen in Blut oder Urin oft zu spät.
Mehr als dreißig Substanzen können als K.O.-Tropfen verwendet werden. Dazu zählen Barbiturate, Benzodiazepine, Antihistaminika und trizyklische Antidepressiva, vor allem aber die Partydroge Gammahydroxybutyrat (GHB), bekannt auch als Liquid Ecstasy. Derivate des GHB werden als Arzneimittel verwendet, etwa in der Anästhesie.
Mehr als 30 Substanzen trüben das Bewusstsein.
Seit Ende der neunziger Jahre häufen sich die Hinweise auf eine missbräuchliche Anwendung von GHB und von Gammabutyrolacton (GBL), das im Körper zu GHB umgewandelt wird. GHB entsteht auch auf natürlichen Wegen im Stoffwechsel. Es ähnelt chemisch dem erregungshemmenden Neurotransmitter Gamma-Aminobuttersäure (GABA). An Bindungsstellen für GABA docken auch Schlaf- und Beruhigungsmittel an.
Synthetisches GHB ist zwar rezeptpflichtig. Aber eine der Ausgangssubstanzen, das GBL, wird als Grundstoff in der chemischen Industrie verwendet. GHB wird überwiegend als wasserklare, geruchlose und leicht salzig schmeckende Flüssigkeit angeboten.
Es wirkt generell dämpfend, die Effekte setzen innerhalb von 15 bis 30 Minuten ein: In geringeren Konzentrationen entspannt GHB, ähnlich wie Alkohol, aber auch gesteigertes Kontaktbedürfnis und sexuelle Stimulierung wurden beobachtet. Mit steigenden Dosierungen wirkt die Substanz berauschend und kann bis ins Koma führen mit Atemstillstand, Blutdruckabfall, Unterkühlung, krampfartigen Anfällen und Stürzen. Da der Sicherheitsabstand zwischen Dosierungen mit erwünschten und mit lebensbedrohlichen Effekten gering ist, sei das Risiko von Überdosierungen hoch, warnt das Schweizerische Toxikologische Informationszentrum in Zürich.
Besteht der Verdacht, dass jemand Opfer von K.O.-Mitteln geworden ist, sollte möglichst rasch ein Arzt eine Blutprobe entnehmen (mindestens 2 ml Blut ohne Zusatz von Zitrat), und die Betroffenen sollten in der Arztpraxis eine Urinprobe abgeben, die gekühlt oder tiefgefroren wird. Auch ist es sinnvoll, sofort eine Haarprobe zu sichern (200 bis 300 mg) und ein weiteres Mal drei bis vier Wochen nach dem Ereignis. Auch im Haar lassen sich die psychoaktiven Substanzen nachweisen.
Am Institut für Forensische Toxikologie der Universität Frankfurt untersucht man zwei bis drei Mal im Monat auf K.O.-Mittel, so Institutsleiter Professor Gerold Kauert. Nicht immer lasse sich ein Verdacht bestätigen. Es könne auch andere Ursachen für die geschilderten Symptome geben. Auch falsche Schilderungen oder das Vortäuschen einer Straftat durch eine bewusste Einnahme von K.O.-Mitteln seien schon nachgewiesen worden, sagt Kauert.
Auch Morde werden mit K.O.-Tropfen vorbereitet
Raub und Vergewaltigung sind die häufigsten Delikte, für die K.O.-Tropfen verwendet werden. Das bestätigt auch eine Untersuchung des Rechtsmedizinischen Instituts der LMU München. In zwei Dritteln von 45 toxikologisch gesicherten Fällen waren die Opfer von K.O.-Mitteln männlich. Vergewaltigungsopfer sind meist Frauen. Auch Morde werden gelegentlich mithilfe von bewusstseinstrübenden Substanzen vorbereitet.
Beim Aachener Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen meldeten sich 2007 insgesamt 30 Frauen mit K.O.-Tropfen-Verdacht, auch beim Frauennotruf Münster war es eine zweistellige Zahl.
Der beste Schutz: In fremder Umgebung offene Getränke nicht unbeaufsichtigt lassen und bei Verdacht einen neuen Drink bestellen.
Weitere Infos: Institut für Forensische Toxikologie in Frankfurt, www.forensische-toxikologie.info, Institut für Rechtsmedizin der Universität Düsseldorf; E-Mail: hildegard.grass@ med.uni-duesseldorf.de. Eine Liste der Rechtsmedizinischen Institute, gibt es unter www.dgrm.de