Analyse bei Grundschulkindern
Vorfahren haben starken Einfluss auf Depressionen bei Kindern
Waren schon die Eltern und Großeltern depressiv, ist das Risiko für Grundschulkinder um ein Vielfaches erhöht, ebenfalls eine Depression oder eine andere psychische Störung zu entwickeln. Das kann für die Prävention sehr wichtig sein.
Veröffentlicht:New York. Dass psychische Störungen in bestimmten Familien über mehrere Generationen hinweg gehäuft auftreten, ist kein Geheimnis. Ursache sind komplexe genetische, epigenetische und umweltbedingte Interaktionen: Zum einen erhöhen bestimmte Genvarianten das Risiko für eine Depression, auf der anderen Seite kann Stress in der Familie durch psychisch kranke Eltern die Entstehung von Depressionen bei den Kindern fördern.
Wie stark der Einfluss der Vorfahren auf das eigene Erkrankungsrisiko ist, wurde bislang aber nur selten über mehrere Generationen hinweg untersucht. Psychiater um Dr. Milenna van Dijk von der Columbia University in New York, USA, verweisen auf zwei ältere Studien zu einer Drei-Generationen-Analyse. Danach ist das Depressionsrisiko in der dritten Generation um den Faktor 2–3 erhöht, wenn sowohl die Eltern als auch die Großeltern betroffen waren. Das Team um van Dijk kann diese Befunde mit einer Auswertung der „Adolescent Brain Cognitive Development Study“ (ABCD) bei rund 11.200 repräsentativ ausgewählten Kindern im Alter von neun und zehn Jahren in den USA bestätigen und ergänzen (JAMA Psychiatry 2021, online 21. April). Danach ist das Depressionsrisiko bei Kindern sogar bis um den Faktor 6 erhöht, wenn Eltern und Großeltern ebenfalls depressiv waren, suizidales Verhalten tritt dreifach häufiger auf.
ABCD-Studie mit rund 11.200 Kindern
Für die ABCD-Studie wurden sowohl Eltern als auch Kinder nach depressivem und suizidalem Verhalten sowie anderen bekannten psychischen Störungen der Kinder befragt, zudem gaben die Eltern Auskunft über eigene Depressionen und solche der Großeltern der Kinder, etwa über Fragen wie: „Hat Ihr Kind Blutsverwandte, die schon einmal schwer depressiv waren, also mindestens zwei Wochen lang fast nichts aßen, nicht schlafen oder ihre gewohnte Arbeit verrichten konnten?“
War dies nicht der Fall, wurden also keine Depressionen bei den Vorfahren berichtet, so ermittelten die Ärzte gemäß DSM 5 bei den jeweiligen Kindern eine Depressionsprävalenz von 3,8 Prozent – basierend auf Aussagen der Eltern. Waren nur die Großeltern, nicht aber die Eltern betroffen, erreichte die Prävalenz 5,5 Prozent, waren nur die Eltern, nicht aber die Großeltern depressiv, kamen die Ärzte auf eine Prävalenz von 10,4 Prozent, bei Depressionen in beiden Generationen auf 13,3 Prozent. Noch deutlicher war der relative Unterschied speziell bei einer Major-Depression: Eine solche erkannten die Ärzte um van Dijk bei 1,2 Prozent der Kinder ohne depressive Vorfahren, aber bei 7,4 Prozent mit depressiven Eltern und depressiven Großeltern – eine Differenz um den Faktor 6.
Dreifach erhöhtes Risiko für suizidales Verhalten
Suizidales Verhalten diagnostizierten sie bei 5 Prozent der Kinder ohne depressive Vorfahren, bei 7,2 Prozent mit depressiven Großeltern, 12,1 Prozent mit depressiven Eltern und 15,0 Prozent mit depressiven Eltern und Großeltern. Dass Risiko für Depressionen und suizidales Verhalten ist danach bei Depressionen in beiden Vorgängergenerationen am höchsten und am zweithöchsten, wenn nur die Elterngeneration betroffen ist.
Ein ähnlicher Trend ergibt sich für fast alle erfassten psychischen Störungen: Eine generalisierte Angststörung tritt fünffach häufiger auf, Bipolarstörungen, diagnostizierte Schlafstörungen sowie andere psychische Probleme werden rund doppelt so oft beobachtet, wenn sowohl Eltern als auch Großeltern an Depressionen leiden oder litten.
Wurden die Kinder mit speziellen Fragebögen nach psychischen Symptomen befragt, waren die Prävalenzen deutlich niedriger als bei der Elternbefragung, dennoch zeigte sich ein ähnlicher Trend: Am stärksten betroffen waren stets Kinder mit depressiven Eltern und Großeltern.
Erhöhtes Depressionsrisiko bei niedrigem sozioökonomischem Status
Bei ihren Berechnungen hatten die Psychiater bekannte Begleitfaktoren wie Geschlecht, Ethnie und sozioökonomischen Status berücksichtigt. Schauten sie sich diese Faktoren genauer an, so waren Mädchen und Jungen ähnlich oft von Depressionen und Angststörungen betroffen, Jungen zeigten aber rund doppelt so oft ein suizidales Verhalten. Kinder aus Familien mit niedrigem sozioökonomischem Status waren doppelt so oft depressiv wie solche aus Familien mit mittlerem oder hohem Status. Bei anderen psychischen Störungen war der sozioökonomische Status weniger relevant.
Die Psychiater um van Dijk schlagen vor, bei Screening- und Präventionsprogrammen im Grundschulalter auch nach Depressionen in der Eltern- und Großelterngeneration zu fragen. Dadurch ließen sich frühzeitig Kinder erkennen, die ein hohes Risiko haben, selbst psychisch zu erkranken.