Nobelpreis-verdächtig
Weg zurück in die Gesundheit für Typ-2-Diabetiker
Britische Forscher haben mit einem intensiven Programm zur Gewichtsreduktion in Hausarztpraxen bei jedem zweiten Behandelten eine Remission des Typ-2-Diabetes erzielt. Betroffenen geben die Daten Hoffnung, dass Diabetes keine Einbahnstraße ist.
Veröffentlicht:Alfred Nobel hat in seinem Testament festgelegt, dass die Zinsen der Stiftung, die mit seinem Vermögen gegründet wurde "als Preis denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben". Wenn man diese Definition zugrunde legt, ist die jetzt im Fachblatt "Lancet" online publizierte Arbeit (2017, online 5. Dezember) sicherlich Nobelpreis-verdächtig.
Prof. Stephan Martin
Einer der "Glaubenssätze" der Diabetologie ist: Einmal Diabetes – immer Diabetes. Für Menschen mit Typ-1-Diabetes, bei denen die Insulinproduktion nur noch unzureichend vorhanden ist, wird dieser Spruch leider weiterhin seine Gültigkeit behalten. Hingegen gibt es für übergewichtige Personen mit Typ-2-Diabetes, die 90 Prozent der Diabeteserkrankungen ausmachen, aufgrund der aktuellen Publikation neue Hoffnung.
Weniger als 900 Kcal am Tag
Die englische Arbeitsgruppe um Professor Roy Taylor hat in 49 Hausarzt-Praxen über 300 übergewichtige Personen mit einer mittleren Typ-2-Diabetesdauer von drei Jahren in eine Kontroll- und eine Interventionsgruppe Gruppe randomisiert. Die Intervention bestand über drei bis fünf Monate in einer flüssigen Mahlzeiten-Ersatztherapie (weniger als 900 Kcal am Tag) mit dem Ziel, 15 kg an Gewicht zu verlieren.
Ergebnis: Im Mittel hat die Interventionsgruppe ein Jahr nach Beginn der Intervention 10 kg Gewicht verloren, während es in der Kontrollgruppe nur 1 kg war. In der Interventionsgruppe erreichten in dieser Zeit 46 Prozent der Teilnehmer eine klinische Remission des Typ-2-Diabetes, das heißt der HbA1c lag bei unter 6,5 Prozent, ohne jegliche pharmakologische Diabetesmedikation. Probanden mit mehr als 15 kg Gewichtsverlust hatten sogar eine 89-prozentige Remissionswahrscheinlichkeit. In der Kontrollgruppe gelang eine Remission nur 4 Prozent der Teilnehmer. Diese Daten bestätigen bereits früher publizierte Pilotstudien dieser Arbeitsgruppe (Diabet Med. 2015; 32: 1149).
Was bedeuten diese Daten für unser Gesundheitssystem? Zum einen müssen Ärzte, Diabetesassistenzberufe und Diätassistenten umdenken und sich von ihrer grundsätzlichen Abneigung von Ersatzmahlzeiten verabschieden. Diese waren in der Initialphase der englischen Studie der Schlüssel zum Erfolg! Zum anderen müssen sich die Beteiligten auf ärztlicher Seite, aber auch die Gesundheitspolitik von der 68er Mentalität lösen, dass jeder seinen Körper zugrunde richten darf, denn wenn es irgendwann nicht mehr funktioniert, finanziert das Solidarsystem schon die entsprechenden Medikamente. Die steigende Prävalenz der Adipositas, in deren Folge sich der Typ-2-Diabetes bildet, bringt nicht nur unser Gesundheitssystem an die Grenzen der Finanzierbarkeit, sondern stellt ein weltweites Problem dar. Die englische Studie zeigt, dass es eine Hilfe zu Selbsthilfe gibt, die die Betroffenen in eine Remission des Typ-2-Diabetes führen kann.
Wie könnten die Ergebnisse dieser Studie in Deutschland umgesetzt werden? Hier gibt es die positive Nachricht, dass dies bereits begonnen hat. Zusammen mit dem Deutschen Institut für Telemedizin und Gesundheitsförderung (DITG) konnten wir bei Personen mit einer Diabetesdauer von über elf Jahren mit einem telemedizinischen Ansatz, bei dem auch eine flüssige Ersatzmahlzeit zur Einleitung einer Gewichtsreduktion eine wichtige Rolle spielt, eine HbA1c Reduktionen von bis zu 1,1 Prozent erreichen (Diabetes Care. 2017; 40: 863).
Förderung durch den Innovationsfonds
Dieses Programm wird bereits von der BKK-Deutsche Bank und der AXA-Krankenversicherung für ihre Versicherten angeboten. Ganz aktuell hat eine Nachfolgestudie zusammen mit der AOK-Rheinland-Hamburg durch den Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) eine Förderung zuerkannt bekommen.
Zusammenfassend bedeuten diese neuen Studienergebnisse, dass Typ-2-Diabetes keine Einbahnstraße ist: Für Betroffene gibt es einen Weg zurück in die Gesundheit!
Professor Stephan Martin ist Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes- und Gesundheitszentrums (WDGZ) in Düsseldorf.
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