Kasuistik nach Konsum
Wenn Kokain auf Herz und Brust schlägt
Down nach dem High: Ein junger Mann kommt mit plötzlich aufgetretenen Brustschmerzen in die Notaufnahme. Er räumt ein, am Tag zuvor Kokain konsumiert zu haben. Die kardiologische Diagnostik ergibt einen überraschenden Befund.
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Herz aus Kokain: Nach dem Kokainkonsum kann es zu Beschwerden in Brust- und Herzbereich kommen.
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ANTWERPEN. Es ist gar nicht so selten, dass Kokainkonsumenten nach dem ersten High ziemlich down sind und in der Notaufnahme landen. Das liegt an kardiovaskulären und respiratorischen Effekten der Droge; die Fallzahlen steigen. Brustschmerzen stellen dabei die Hauptmanifestation dar.
Kokain wirkt auf den Sympathikus, die Gefäße werden enger, der Blutdruck steigt, es kommt zu Tachykardien und Arrhythmien. Kardiale Tachyarrhythmien und akute Herzinfarkte sind die häufigsten kardiovaskulären Komplikationen, die von Kokain ausgelöst werden. Doch es gibt auch andere Gründe für Brustschmerzen nach dem Schnupfen von Kokain, wie ein Fallbericht aus Belgien belegt (Case Rep Cardiol 2019, online 20. Februar).
Der Kardiologe Xavier Galloo von der Middelheim-Klinik im Krankenhausnetz von Antwerpen hat zusammen mit Kollegen den Fall eines 29-jährigen Patienten geschildert. In der Notaufnahme klagte der Mann über retrosternale Brustschmerzen, die plötzlich eingesetzt hätten, und lokalisierte Nackenschmerzen. Ein Ausstrahlen der Beschwerden verneinte er.
Der junge Mann hat keinerlei bekannte Vorerkrankungen. Er nimmt auch keine Medikamente ein, raucht aber seit seiner Teenagerzeit regelmäßig Marihuana. Nach Kokain befragt, gibt er an, die Droge zweimal konsumiert zu haben, letztmals am Abend zuvor. Nach dem Schnupfen der Prise habe er Brustschmerzen und Herzklopfen bekommen.
Um Remedur zu schaffen, habe er daraufhin einen Joint geraucht. Am Morgen habe er immer noch Schmerzen gehabt, es dann erfolglos mit Paracetamol probiert und schließlich die Notaufnahme aufgesucht.
Luft im Perikard
Labor und EKG fördern außer einer nicht kompensierten Alkalose mit einem pH-Wert von 7,50 nichts Auffälliges zutage. Ergiebiger ist die radiologische Diagnostik. Die Thoraxaufnahme ergibt Hinweise auf ein Pneumomediastinum und ein rechtsseitiges leichtes subkutanes Emphysem in der Nackenregion.
Im mittleren Mediastinum ist Luft eingeschlossen. Die anschließende Computertomografie des Thorax bestätigt das subkutane Emphysem, ein ausgedehntes Pneumomediastinum, einen geringgradigen Pneumothorax – und ein Pneumoperikard.
Der Patient wird stationär aufgenommen, gegen die Schmerzen bekommt er Paracetamol und Tramadol. Am nächsten Morgen sind die Schmerzen weg, der Patient kann entlassen werden und soll zwei Wochen später zur Kontroll-CT erscheinen. Das tut er auch – und die Bilder zeigen, dass sich sämtliche freie Luft im Thorax verflüchtigt hat.
Neun ähnliche Fälle
Bleibt die Frage, wie die Luft überhaupt dorthin gekommen war. Die medizinische Literatur kennt bis dato neun ähnliche Fälle nach Kokainkonsum. Es ist nicht ganz klar, ob die Luft im Perikard auf feste Bestandteile im kristallinen Pulver zurückgeht, die mikroskopische Verletzungen von Luft- oder Speiseröhre verursachen, oder ob ein Barotrauma der Auslöser ist.
Falls Letzteres, führt die abrupte Erhöhung des intraalveolären Drucks zur Alveolenruptur, die Luft breitet sich dann entlang der bronchovaskulären Scheiden bis ins pulmonale Interstitium, das Mediastinum und die Perikardhöhle aus.
Zu dieser Erklärung neigen Galloo und Kollegen im Fall ihres jungen Patienten. Obwohl der verneint, gehustet, erbrochen, lang anhaltend inhaliert oder den intrathorakalen Druck Valsalva-artig erhöht zu haben, glauben die belgischen Mediziner, dass der plötzlich erhöhte intraalveoläre Druck beim Schnupfen des Kokains die folgenden Probleme verursacht hat.
Abwartendes Vorgehen sei in solchen Fällen angebracht, da Befunde und Beschwerden meist von selbst verschwänden.