Wenn nur das Verhalten Aufschluss über Schmerzen gibt
Bei Patienten, die sich zu ihren Schmerzen nicht mehr äußern können, sind Fremdbeurteilungsskalen und die Angaben von Pflegenden zur Schmerzbeurteilung wichtig.
Veröffentlicht:OBERHAUSEN. Schmerzen bei Patienten mit starken Einschränkungen der kognitiven, sprachlichen oder mimisch-gestischen Fähigkeiten aufgrund fortgeschrittener neurologischer Erkrankungen zu beurteilen ist häufig schwierig - vor allem dann, wenn die Betroffenen selbst nicht mehr in der Lage sind, sich zu ihren Schmerzen zu äußern. In diesen Fällen haben sich Fremdbeurteilungsskalen in Kombination mit den Beobachtungen von Angehörigen oder Pflegenden bewährt.
Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz sind visuelle oder numerische Schmerzskalen nicht nutzbar. Doch lassen sich Schmerzen bei ihnen anhand der verbalen Schmerzskala, die in sechs Stufen von "kein" bis "unaushaltbarer" Schmerz reicht, oft noch zuverlässig und reproduzierbar erfragen. Das gelingt häufig auch noch bei Demenzkranken mit einem Mini Mental Status von 10, so die Erfahrung von Dr. Christoph Gerhard, Arzt für Neurologie, Palliativmedizin und spezielle Schmerztherapie an den Katholischen Kliniken Oberhausen (Angewandte Schmerztherapie und Palliativmedizin 2010; 2: 28). Wichtig dabei ist, den Kranken genug Zeit für ihre Antwort zu lassen. Bewährt hat sich auch, alternative oder mundartliche Begriffe von "Schmerz" zu benutzen, zum Beispiel "Aua?" oder "starkes Aua?", da manche Patienten die Bedeutung des Wortes "Schmerz" vergessen haben.
Für Demenzkranke, die sich gar nicht mehr verbal äußern können, sind Fremdbeurteilungsskalen wie die BESD (Beurteilung von Schmerzen bei Demenz), BISAD (Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz) oder Doloplus gut geeignet. Mit den Skalen werden Kriterien erfasst, die auf Schmerzen hinweisen, etwa Lautäußerungen, Mimik und Körpersprache, veränderte Atmung, Unruhe, Aggressivität, Schlaflosigkeit, Nahrungsverweigerung oder auch das Verhalten bei der Pflege. Jedoch, so Gerhard, sollte man sich bei der Einschätzung der Schmerzen nicht allein auf die mit diesen Skalen ermittelten Summenscores verlassen, sondern immer die Beobachtungen von Angehörigen oder Pflegenden mit einbeziehen, die das Verhalten und die emotionalen Reaktionen des Kranken gut kennen.
Im Gegensatz zu Demenzkranken sind Patienten mit fortgeschrittenem Morbus Parkinson meist in der Lage, mit Schmerzskalen umzugehen. Da bei Parkinsonkranken Mimik und Körpersprache oft stark beeinträchtigt sind, warnt Gerhard davor, Verhaltensmerkmale zur Schmerzbeurteilung zu berücksichtigen, da diese dann falsch eingeschätzt würden.
Für Patienten, bei denen aufgrund von starken kognitiven Einschränkungen oder Bewusstseinsstörungen die Schmerzerfassung mit den genannten Skalen nicht möglich ist, empfiehlt Gerhard die ZOPA-Skala (Zurich Observation Pain Assessment), die Verhaltensmerkmale (ohne Summenscore) berücksichtigt. Schon wenn eines der Merkmale vorhanden ist, wird mit einer Schmerztherapie begonnen und diese auf ihre Wirksamkeit hin kontrolliert.