Abgas-Affäre

Wie gefährlich ist das Stickstoffdioxid?

War es früher der Feinstaub, steht mit der Diesel-Affäre nun das Stickstoffdioxid im Mittelpunkt der Diskussion um die gesundheitliche Risiken von Auto-Abgasen. Doch herauszufinden, wie sich hohe Stickstoffdioxid-Werte auf die Gesundheit auswirken, ist schwierig.

Katharina GrzegorekVon Katharina Grzegorek Veröffentlicht:
Hauptquelle von Stickstoffdioxid in Deutschland ist zu zwei Dritteln der Straßenverkehr.

Hauptquelle von Stickstoffdioxid in Deutschland ist zu zwei Dritteln der Straßenverkehr.

© Sergiy Serdyk / adobe.stock.com

Stickstoffdioxid – mit der aktuellen Diesel-Affäre steht das Abgas wieder im Fokus. Weil Diesel-Fahrzeuge wohl mehr davon ausstoßen, als sie eigentlich sollen, droht ihnen die Verbannung aus den Innenstädten der Republik. Am Mittwoch treffen sich Bundesregierung und Autoindustrie zu einem Diesel-Gipfel, um unter anderem über die Konsequenzen aus dem Abgas-Skandal und somit auch über die Zukunft des Diesels zu diskutieren.

Woher kommt das Stickstoffdioxid?

Hauptquelle in Deutschland ist zu zwei Dritteln der Straßenverkehr.

Vor allem Diesel-PKWs und LKWs sind die Treiber.

Weitere Quellen sind u.a. die Energiewirtschaft, verarbeitendes Gewerbe und Industrieprozesse, Haushalte und Landwirtschaft.

Hauptquelle von Stickstoffdioxid in Deutschland ist zu zwei Dritteln der Straßenverkehr. Davon kommen etwa drei Viertel aus dem Auspuff von Diesel-PKWs. Insgesamt sind die Stickstoffdioxid-Emissionen in Deutschland laut Bundesumweltamt zwischen 1990 und 2015 um fast 60 Prozent zurückgegangen. Dies bedeute aber nicht, dass das Stickstoffdioxid die Gesundheit der Menschen nicht mehr gefährdet, heißt es beim Bundesamt. So soll noch im Jahr 2016 der EU-Grenzwert von maximal 40 µg/m3 Stickstoffoxid im Jahresmittel an 57 Prozent der verkehrsnahen Messstationen überschritten worden sein. Die Europäische Umweltagentur geht davon aus, dass jährlich über 10.600 Menschen in Deutschland vorzeitig aufgrund zu hoher Stickstoffdioxidwerte sterben. Doch welche Gesundheitsgefahren gehen von dem Gas eigentlich konkret aus?

Vorläufersubstanz von Feinstaub

Zunächst ist Stickstoffdioxid ein ätzendes Reizgas, das akut Schleimhautgewebe im Atemtrakt angreift und die Augen reizt. Außerdem ist es als Vorläufersubstanz an der Entstehung von Ozon sowie von Feinstaub beteiligt, der ja in den vergangenen Jahren stark im Blick der Umweltmedizin stand. Auch langfristig soll eine hohe Stickstoffdioxid-Exposition Folgen für die Gesundheit haben. Diese werden unter anderem beim europäischen Großforschungsprojekt ESCAPE (European Study of Cohorts for Air Pollution Effects) untersucht. Ergebnisse aus Metaanalysen des Projekts wurden beim diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Stuttgart vorgestellt.

 Teilweise waren diese überraschend: So ließen sich zwar vermehrt Lungenkrebserkrankungen bei hohen Luftschadstoffbelastungen feststellen, auch gab es einen Zusammenhang zwischen Stickoxid-Belastungen und Pneumonien bei Kindern; die Rolle von Luftschadstoffen und der Entwicklung von Asthma Bronchiale bleibe allerdings unklar, so Professor Joachim Heinrich von der LMU München beim Kongress. Andere epidemiologische Studien hatten auf einen Zusammenhang zwischen einer Verschlechterung von Asthma-Symptomen bei Kindern und hohen Stickstoffdioxid-Jahreswerten hingedeutet.

Auch konnten in ESCAPE keine Effekte für eine respiratorisch bedingte Übersterblichkeit oder adverse Effekte für COPD und Bronchitis bei Erwachsenen festgestellt werden. Ein klarer Zusammenhang habe sich aber zwischen der Feinstaub- und Stickoxidbelastung sowie Multimorbidität ergeben. Zwar gab es keine spezifischen Auswirkungen auf bestimmte Erkrankungen wie Hypertonie, Diabetes oder Nierenerkrankungen. Aber das allgemeine Risikoprofil verschlechtere sich, sagte Professor Annette Peters in Stuttgart. Die Effekte seien bereits unterhalb der gegenwärtigen Grenzwerte zu erkennen, so die Wissenschaftlerin, die am Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in Neuherberg tätig ist.

Nach Einschätzung der US-amerikanische Agentur für Umweltschutz würden Ergebnisse verschiedener Studien darauf deuten, dass eine erhöhte Stickstoffdioxid-Exposition Effekte etwa auf das Herz-Kreislauf-System, Diabetes, Sterblichkeit und Krebs haben könnte. Allerdings sei fraglich, ob diese durch das Stickstoffdioxid ausgelöst werden oder durch andere in Abgasen enthaltene Stoffe.

"Adäquate Kausalität nicht erwiesen"

Und das ist auch das Problem der epidemiologischen Studien. So heißt es auch im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zum Abgas-Skandals, der vor Kurzen veröffentlicht wurde, dass epidemiologisch ein Zusammenhang zwischen Todesfällen und bestimmten Stickstoffdioxid-Expositionen im Sinne einer adäquaten Kausalität nicht erwiesen sei.

Sind nun Stickoxide unbedenklich und die Sorgen um die Gesundheit reine Hysterie? Tatsächlich scheint es schwierig oder gar unmöglich, aus der Vielzahl der Abgase, zu definieren, ob und zu welchen Anteil bestimmte Stoffe für die gesundheitlichen Risiken verantwortlich sind, die das Leben an einer Hauptverkehrsstraße mit sich bringen könnte.

Auch wenn es vielleicht nicht zum sofortigen Verbot von Diesel-Autos in Innenstädten kommen muss, auf lange Sicht gehört der Verbrennungsmotor – nicht nur aus gesundheitlicher Sicht – ohnehin der Vergangenheit an.

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 04.08.201717:11 Uhr

Finissage

@Kollege Schätzler, an den der Appell zur nüchternen Abwägung gar nicht gerichtet war:
Der von ihm als unsäglich und irritiernd empfundene Satz enthält einen Schreibfehler: " Muss man sich als Kindermassenmörder fühlen, wenn man zur nüchternen Abwägung mahnt ? ( also fühlen statt fehlen) "
Mit Abwägung ist die Überprüfung und Bewertung derzeit diskutierter Fakten gemeint. 40 % der NOx Belastung sollen aus dem Straßenverkehr stammen, davon 80 % von Dieselfahrzeugen. Möglich erscheint, dass ein erheblicher Anteil aus den Schornsteinen der Ölheizungen kommt. Diese Frage wird gar nicht gestellt, weil die Diskussion um die Gesundheitsfolgen von einem anderen Thema überlagert wird, dem langjährigen und dreisten Betrug durch die Autoindustrie. Den damit verbundenen juristischen Aspekt sollte man m.E. nicht benutzen, um die Gesundheitsschäden hoch zu spielen. Es gibt viele Stoffe in Luft Wasser und Lebsnmittel, die dort nicht hingehören und eliminiert werden sollten, weil Gesundheitsschäden zu befürchten oder sogar bewiesen sind. Die Skandalisierung ist jeweils für einige Wochen immens, dann erweist sich, dass der Fortbestand der Menschheit nicht gefährdet ist, denn an Hysterie stirbt man nicht

Dr. Thomas Bernhard 02.08.201719:35 Uhr

Zu „Wie gefährlich ist das Stickstoffdioxid?“

Es wurde darauf hingewiesen, wie schwer es ist, bei Abgasen die Wirkung einzelner Komponenten zu differenzieren. Im Gegensatz zu den beiden Vor-Kommentatoren möchte ich aber darauf hinweisen, dass wir Ärzte doch jeden Schaden von unseren Mitmenschen abhalten wollen und daher bei einer eindeutigen schädlichen Gesamtwirkung von Stickoxiden, Feinstaub etc. Maßnahmen getroffen werden sollten. Eine gute Zusammenfassung gibt der Überischtsartikel „Gesundheitliche Wirkungen von Feinstaub und Stickstoffdioxid im Zusammenhang mit der Luftreinhalteplanung“ des Landesamts für Umwelt- und Verbraucherschutz NRW mit etwa 100 Quellenangaben. Die etwas abschätzige Bemerkung über selbsternannte Umweltschützer verkennt, dass wichtige Impulse zur Verbesserung der Gesundheit und Umwelt von den Umweltverbänden ausgingen und dass natürlich die Hauptverursacher in den Hauptfokus genommen werden müssen. Übrigens ist die fossile und atomare Energiegewinnung auch in anderen Ländern des Kohleabbaus wie Kolumbien oder Uranabbaus wie Australien oder Niger extrem gesundheitsschädigend, und das auf Jahrhunderte.
Die Ablösung der Verbrennermotoren, besonders des Diesels, ist sofort sinnvoll. Zur Vermeidung des Eintrags der über Jahrmillionen abgelagerten Schwermetalle in unsere Lebenswelt, der inkompletten Verbrennungsprodukte und natürlich des CO2, denn der Klimawandel wird das Leben und die Gesundheit fast aller Menschen in den nächsten Jahrzehnten empfindlich beeinträchtigen.
Dr. Thomas Bernhard

Thomas Georg Schätzler 02.08.201717:03 Uhr

"Für eine nüchterne Abwägung"...

Bin ich jederzeit zu haben, Kollege Dr. Jürgen Schmidt. Ohne Sie persönlich angehen zu wollen, aber warum haben Sie den unsäglichen und maßlos irritierenden Satz geschrieben: "Muss man sich als Kindermassenmörder fehlen, wenn man zur nüchternen Abwägung mahnt ?"

Und Ihre "Halb- und Viertelwahrheiten" sind immerhin in 25% bis 50% vollkommen richtig, wenn ich Sie korrekt verstehe!

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund (z.Zt. Bergen aan Zee/NL)

Dr. Jürgen Schmidt 02.08.201712:46 Uhr

Für eine nüchterne Abwägung

Der Bericht von Katarina Grzegorek nennt Zahlen, die vielleicht nur teilweise belastbar, aber sich in der Summe doch zu einem begründeten Verdacht auf die Schädlichkeit des Stichstoffdioxids verdichten. Ob der Befund in der Hierarchie der allgemeinen Lebensrisiken jene heraus ragende Bedeutung zukommt, die eine Beunruhigung der Bevölkerung rechtfertigen, wie wir sie derzeit erleben,wird sich aber erst erweisen müssen.

Genügt der Verdacht, ggfls Milliarden auszugeben, die dann anderswo - auch im Gesundheitswesen - fehlen ?
Muss man sich als Kindermassenmörder fehlen, wenn man zur nüchternen Abwägung mahnt ?

Gleichwohl, nach aller Erfahrung wird die Entwicklung über alle Bedenken hinweg gehen und mit der Potenzierung durch eine mediale Skandalisierung nicht wissenschaftlich sondern politisch entschieden werden.

Es sind nicht nur die Falschmeldungen, die im gesellschaftlichen und präpolitischen Raum zu Fehlentscheidungen führen, sondern die Halb- und Viertelwahrheiten, die zu hoch gespielten Szenarien führen, die unsere Werte- und Befindlichkeitsdemokratie bestimmen.

Thomas Georg Schätzler 02.08.201710:55 Uhr

NO2 - "Adäquate Kausalität nicht erwiesen"?

Akute Koronarsyndrome (ACS), Myokardinfarkte (MI) und Schlaganfälle (Stroke) können durchaus Umwelt-veschmutzungsbedingt sein. Aber die meisten Krankheits-epidemiologischen Studien können gar nicht zwischen Feinstaub (überwiegend aus Benzinmotoren, Industrie, Haushalt, Heizungsanlagen), Kohlendioxid (CO2) zum Klimaschutz, Schwefeldioxid (SO2) Kohlenmonoxid (CO) aus ineffektiver und Sauerstoff-armer Verbrennung bzw. Stickstoffdioxid-(NO2)-Belastungen durch Dieselmotoren differenzieren.

Im Fachmagazin “Stroke” mit dem Titel “Long-Term Exposure to Fine Particulate Matter, Residential Proximity to Major Roads and Measures of Brain Structure” von E. H. Wilker et al. doi: 10.1161/STROKEAHA.114.008348; wurden 2015 Hirnstrukturen in Abhängigkeit von langfristigen Feinstaubbelastungen und Wohnortnähe zu Hauptverkehrsstraßen gemessen.

Eine Metaanalyse über Kurzzeit-Effekte: “Short term exposure to air pollution and stroke: systematic review and meta-analysis” von Anoop Shah (Universität Edinburgh/GB) im British Medical Journal - BMJ 2015; 350: h1295 untersuchte kurzzeitige Luftverschmutzung und Schlaganfälle.

Eine ältere Publikation im BMJ von 2011 (doi:10.1136/bmj.d5531) zu ACS- und Myokard-I n f a r k t-Häufung unter dem Einfluss von Luftverschmutzung: “The effects of hourly differences in air pollution on the risk of myocardial infarction: case crossover analysis of the MINAP database” von K Bhaskaran et al. sollte belegen, dass hochgradige Umweltbelastungen mit erhöhter myokardialer Morbidität korrelieren. Die spezifische Erhöhung des Myokardinfarktrisikos war schon früher in vereinzelten Studien als K u r z - Z e i t-Effekt wenige Stunden nach Atemluftbelastung nachgewiesen worden.

Im BMJ von 2011 wurde der Einfluss der als Feinstaub PM10 (‘pollution model’) bezeichneten Staub-Fraktion (50% der Teilchen mit einem Durchmesser von 10 µm) u n d Stickstoffdioxid NO2 auf die Ereignisrate in 15 Regionen Groß-Britanniens bei STEMI-, Non-STEMI-Herzinfarkten und Troponin-positivem akutem Koronarsyndrom (ACS) in den Krankenhausberichten untersucht. Dabei waren Ozon- und Kohlenmonoxid- (CO) Luftbelastungen überraschenderweise eher kardioprotektiv wirksam bzw. Schwefeldioxid (SO2) ohne messbare Auswirkung.
Das Risiko eines Herzinfarktes war allerdings nur bis zu 6 Stunden nach Exposition mit höherer verkehrsbedingter Luftverschmutzung von PM10 und NO2 erhöht (“Myocardial infarction risk was transiently increased up to 6 hours after exposure to higher levels of the traffic associated pollutants PM10 and NO2?). Keine der Luft verschmutzenden Substanzen zeigte einen Langzeiteffekt bis zu 72 Stunden danach mit weiterer Erhöhung des Myokardinfarktrisikos. Einschränkend diskutierten die BMJ-Autoren, dass der etablierte Effekt von Luftverschmutzung auf die allgemeine kardiorespiratorische Morbidität und Mortalität nicht nur speziell auf den Herzinfarkt übertragen werden könnte. Es müsse noch weitere, unerforschte Mechanismen geben.

In einer weiteren Studie in “Circulation” wurden L a n g z e i t-Effekte von Luftverschmutzung und Lärmbelastung auf die erhöhte Mortalität nach stattgehabtem Myokardinfarkt in Abhängigkeit von der Nähe des Wohnortes zu vielbefahrenen und lauten Hauptverkehrsstraßen untersucht: “Residential Proximity to Major Roadway and 10-Year All-Cause Mortality After Myocardial Infarction” von J. I. Rosenbloom et al. Diese Circulation-Studie von 2012 konnte Erkenntnislücken nicht schließen, beschrieb aber zusätzlich die erhöhte Mortalität bei stattgehabtem Myokardinfarkt in Abhängigkeit von der Nähe des Wohnortes zu vielbefahrenen und lauten Hauptverkehrsstraßen. Circulation. 2012; 125: 2197-2203 http://circ.ahajournals.org/content/125/18/2197.abstract

Die aktuelle Diskussion ist davon geprägt, dass die Feinstaub, CO2-, CO-, SO2- und NO2-Belastungen, selbst aus Natur-naher Landwirtschaft, Industrie, Handwerk und Bau-Gewerbe, regionalem bzw. internationalem LKW-, Luftfahr

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