Kiffen verhindert Anfälle
Wirkt Cannabis zuverlässig gegen Epilepsie?
Eignet sich Cannabis als Antiepileptika? Forscher haben sowohl positive wie negative Effekte – ein zweischneidiges Schwert
Veröffentlicht:MANNHEIM. Es sind Beispiele wie die der kleinen Charlotte Figgs, die schwerkranken Epilepsiepatienten Hoffnung geben: Im Alter von drei Monaten entwickelte das Mädchen die ersten Anfälle, mit drei Jahren erlitt sie bis zu 300 Grand-mal-Anfälle pro Woche, berichtet der Nachrichtensender CNN.
Die Ärzte diagnostizierten ein Dravet-Syndrom. Keine Therapie half, die Gehirnentwicklung kam zum Erliegen, das Mädchen stand an der Schwelle zum Tode. In ihrer Verzweiflung probierten die Eltern ein Cannabisöl mit wenig psychoaktivem THC, aber viel Cannabidiol.
Zum ersten Mal blieb das Kind über ein Woche anfallsfrei. Inzwischen kann Charlotte mit ein bis zwei meist nächtlichen Anfällen im Monat fast ein normales Leben führen.
Sowohl pro- als auch antikonvulsive Effekte
Kein Wunder, dass manche Epilepsieforen Cannabis als natürliches Antikonvulsivum preisen. Auf dem DGN-Kongress in Mannheim warnte Professor Heidrun Potschka jedoch vor der unkontrollierten Einnahme von Phytocannabinoiden: Diese hätten sowohl pro- als auch antikonvulsive Effekte.
So gebe es Berichte von Epilepsiekranken, die nach Joints immer wieder Anfälle erlitten. Cannabis sei wohl eher ein zweischneidiges Schwert, erläuterte die Pharmakologin von der LMU München.
Immerhin ist die Funktion der Cannabinoidrezeptoren im Gehirn gut untersucht. So bremst der präsynaptische CB1-Rezeptor über eine Rückkopplungsschleife überaktive Synapsen: Wird zu viel Transmitter ausgeschüttet, setzt die Postsynapse Endocannabinoide frei, die am CB1-Rezeptor andocken. Dieser drosselt dann die Transmitterproduktion.
Das geschieht jedoch sowohl bei exzitatorischen als auch inhibitorischen Verbindungen. Ob ein Joint mit dem berauschenden CB1-Agonist THC eher pro- oder antikonvulsiv wirke, hänge wohl vom augenblicklichen Status des Gehirns ab, sagte Potschka.
Können Cannabinoide Anfälle schnell zurückfahren?
Immerhin könnten Cannabinoide Anfälle schneller beenden. Dies wurde in Tiermodellen bestätigt und ist vom Mechanismus her auch plausibel: Die Wirkstoffe schalten beim Anfall überaktive Synapsen ab.
Möglicherweise ließen sich dadurch die Effekte beim Dravet-Syndrom erklären, auch mache dies Cannabinoide für die Behandlung beim Status epilepticus interessant.
Therapeutisch bedeutsamer als das berauschende THC sei jedoch Cannabidiol (CBD). Diese Substanz verursacht kein Hochgefühl und wirkt nicht nur über den CB1-Rezeptor. Allerdings, so Potschka, sei bislang wenig über die genaue Wirkweise von CBD bekannt.
In Tiermodellen konnten Forscher einen gewissen antikonvulsiven Effekt nachweisen. Derzeit wird der Wirkstoff beim Dravet- und Lennox-Gastaut-Syndrom klinisch geprüft.
"Eher Prinzip Hoffnung"
In einer Studie mit 162 therapierefraktären Epilepsiepatienten wurde unter CBD die Anfallsfrequenz um 37% reduziert. Allerdings war die Untersuchung nicht verblindet, was ihre Aussagekraft doch sehr einschränke, so Potschka.
Zu beachten sei zudem ein hohes Interaktionspotenzial: CBD hemmt diverse Cytochrom-P450-Enzyme, vor allem CYP2C und CYP3A. Dadurch werden bei einer Clobazambehandlung erhöhte Serumspiegel und Nebenwirkungen beobachtet.
Die Pharmakologin vermutet, dass ein Teil der beschriebenen Erfolge unter CBD letztlich auf erhöhten Clobazamspiegeln beruhen. "Von einer rationalen Therapie kann man bei Cannabinoiden folglich noch nicht sprechen, eher vom Prinzip Hoffnung", sagte sie.