Niedersachsen
60 Stunden arbeiten? Ärztevertreter stellen sich auf Hinterbeine
In Bereichen der kritischen Infrastruktur sollen leichter Sonn- und Feiertagsschichten sowie 60-Stunden-Wochen angeordnet werden können. Ärztevertreter und Pflegekammer sind außer sich.
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Augen zu und durch: Lange Dienste sind viele Ärzte auch schon in Nicht-Corona-Zeiten gewöhnt, aber jetzt könnte es noch härter werden.
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Hannover. Das niedersächsische Sozialministerium hat in einer Allgemeinverfügung zum 1. November Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) bis zum 31. Mai 2021 außer Kraft gesetzt, um der Corona-Pandemie wirksamer entgegentreten zu können.
Betroffen seien Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kritischen Infrastruktur, sagte Ministeriumssprecher Oliver Grimm der „Ärzte Zeitung“. Zum Beispiel in Produktion und Verpackung von Arzneimitteln und Impfstoffen oder anderen Produkten, die zur Bekämpfung des Coronavirus eingesetzt werden.
Die Mitarbeiter dieser Branchen dürfen seit dem 1. November verpflichtet werden, auch an Sonn- und Feiertagen zu arbeiten. Das gilt auch für Labor-Mitarbeiter. Bei Not- und Rettungsdiensten, der Feuerwehr, in Kliniken aber auch in Pflegeheimen oder Gerichten und Behörden kann die zulässige tägliche Arbeitszeit auf maximal 12 Stunden verlängert werden.
„Die Arbeitszeit soll 60 Stunden wöchentlich nicht überschreiten“, heißt es in dem Erlass. „Der Erlass ist keine Verpflichtung, sondern eine Erlaubnis längere Arbeitszeiten zu fordern“, betont Grimm.
Das Ministerium beruft sich auf Paragraf 15 des ArbZG. Es erlaubt diesen Schritt, wenn er „im öffentlichen Interesse dringend nötig“ werde und den Belangen der Bevölkerung diene. Diese Voraussetzungen seien erfüllt.
Scharfe Kritik vom MB
Der Marburger Bund Niedersachsen kritisiert das Ministerium. „Mit dem Erlass zeigt das Land, dass das medizinische System letztlich nicht vorbereitet ist auf eine Notlage wie jetzt“, kommentiert Andreas Hammerschmidt, 2. Vorsitzender des Marburger Bundes Niedersachsen. „Der Erlass ist ein schlechtes Zeichen.“
Das Land solle sich besser überlegen, woher es zusätzliche ärztliche und medizinische Kräfte bekommt, etwa aus der Bundeswehr. Wenn es zu Engpässen kommen sollte, „könnten die Kolleginnen und Kollegen sich verheizt fühlen“, sagt Hammerschmidt.
Auch die niedersächsische Pflegekammer protestiert. „Monatelang hat das Land verschlafen, die medizinischen Einrichtungen auf die zweite Welle der Corona-Pandemie vorzubereiten. Jetzt sollen wieder die Beschäftigten in den systemrelevanten Berufen unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit die Situation retten“, kritisiert Nadya Klarmann, Präsidentin der Pflegekammer.
Schutzausrüstung macht 12-Stunden-Schicht kaum leistbar
Schon jetzt bedeuteten Acht-Stunden-Schichten in voller Schutzausrüstung eine extreme Belastung für Beschäftigte in der Pflege, hieß es. „Eine weitere Ausdehnung der Arbeitszeit ist unter keinen Umständen zu akzeptieren und wird die Kolleginnen und Kollegen aus dem Beruf treiben“, sagt Klarmann.
Die Pflegekammer fordert das Land Niedersachsen daher auf, die Allgemeinverfügung zu widerrufen.