Kommentar zu Koalitionsverhandlungen in Hessen
Realpolitik statt Bevormundung
In den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und SPD in Hessen ist in den ersten Eckpunkten zur Gesundheitspolitik mehr von MVZ denn von Niederlassung die Rede. Dies hat aber ganz pragmatische Gründe.
Veröffentlicht:Bevormundung ist ein aktuell sehr wichtiges Wort in der hessischen Landespolitik. Es steht im sogenannten Eckpunktepapier die Wunschkoalitionäre CDU und SPD und gibt den entscheidenden Hinweis, warum CDU-Ministerpräsident Boris Rhein, Sieger der Landtagswahl vom 8. Oktober, die seit zehn Jahren währende Regierungszusammenarbeit mit den Grünen nicht fortsetzen will.
„Anreize statt Verbote, Beteiligung statt Bevormundung (…)“, heißt es in dem Papier, mit dem Christ- und Sozialdemokraten am Mittwoch ihre Koalitionsgespräche nach fünf vorherigen Sondierungsrunden eröffnet haben. Also – ohne die Partei klar zu benamen – bitte all das nicht, was den Grünen als Ziele nachgesagt wird – und was für die hessische CDU als Koalitionspartner zunehmend zur Belastung geworden ist. Keine Autos mehr, keine Gas- und Ölheizung mehr, dafür mehr Gendersprache, mehr Migration, und auch der Veggie Day von einst ist nicht vergessen: die Grünen eben als Verbots- und Bevormundungspartei.
Aus dieser Sippenhaft will sich Boris Rhein mit seinem Partnertausch befreien. Die Tragik für die hessischen Grünen: Ausgerechnet die Mitglieder deren Führungsspitze zählen nun grade nicht zu den großen Bevormundern innerhalb der Ökopartei. Dies gilt auch in der Gesundheitspolitik. Grünen-Sozialminister Kai Klose ersetzte Unkenntnis im Gesundheitswesen nicht durch Besserwisserei, sondern suchte regelmäßig (ärztlichen) Expertenrat.
Im Eckpunktepapier von CDU und SPD finden sich auch erste gesundheitspolitische Hinweise. Die Unterstützung der Niederlassung steht da zunächst nicht, vielmehr die Aussage, „in jedem Landkreis Hessens wollen wir eine gute Gesundheitsversorgung sichern, beispielsweise durch den (möglichst flächendeckenden) Ausbau Medizinischer Versorgungszentren“. Also eher MVZ statt Praxis?
Dies ist zunächst ganz wertfrei zu betrachten: Vor allem in Nordhessen, dem klassischen „ländlichen Raum“ schlechthin, gibt es bereits jetzt größte Probleme, Nachfolger für Praxen zu finden. Die gleichfalls im Papier genannten Maßnahmen wie Ausweitung der Landarztquote und mehr Medizinstudienplätze werden viele Jahre brauchen, bis sie versorgungswirksam werden könnten. Von daher ist es nur folgerichtig, auf Alternativen zur Niederlassung zu setzen, um Ärztinnen und Ärzte dort das Arbeiten schmackhaft zu machen.
Reinste Realpolitik. Zumindest das wäre mit den hessischen Grünen auch möglich gewesen.