Kritik an Bewertungsportal
Unikliniken in Bayern protestieren gegen schlechte Bewertung im AOK-Gesundheitsnavigator
Der AOK-Bundesverband will mit seinem „Gesundheitsnavigator“ einen Qualitätswettbewerb unter Krankenhäusern anregen. Doch vor allem Unikliniken in Bayern fühlen sich unfair behandelt.
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Luftaufnahme des Klinikums Großhadern: Die Orthopädie erhielt beim AOK-Gesundheitsnavigator in vielen Bereichen schlechte Bewertungen.
© Klinikum der Universität München
München. Auf dem Online-Portal „AOK-Gesundheitsnavigator“ sortiert das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) die Behandlungsqualität von Krankenhäusern in drei Kategorien: Unterdurchschnittlich, durchschnittlich und überdurchschnittlich. Für die Bewertung verarbeitet das Institut Millionen von Abrechnungsdaten von AOK-Patienten, aus denen auch hervorgeht, ob nach einer Operation beispielsweise eine Nachbehandlung nötig wurde.
Bei Vertretern von Unikliniken in Bayern stoßen die Ergebnisse zum Teil auf Unverständnis. „Extrem demotivierend“, findet etwa Professor Boris Holzapfel die Bewertungen, die für seine Abteilung auf der AOK-Seite zu sehen sind. Holzapfel leitet die Orthopädie des Klinikums Großhadern der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. Im sogenannten Gesundheitsnavigator hat Holzapfels Abteilung beim Einsatz künstlicher Hüften die Bewertung „unterdurchschnittlich“ erhalten.
Auswertungen zur Behandlungsqualität
Große Qualitätsunterschiede bei Herzklappen-Op
Kaum durchschnittliche Bewertungen
Das gleiche Urteil hat das AOK-Institut WIdO über das Klinikum bei Knieprothesen gefällt, ebenso wie bei Tonsillektomien und Tonsillotomien, Cholezystektomie und Operation zum Verschluss eines Leistenbruchs. Für insgesamt zwölf Operationen hat das WIdO dem LMU-Klinikum eine Bewertung erteilt. Fünfmal erhielt das Haus das Urteil „unterdurchschnittlich“.
Auch andere Unikliniken schneiden bei der AOK-Bewertung nicht etwa durchschnittlich ab oder überdurchschnittlich, wie es viele Patientinnen und Patienten bei Maximalversorgern wohl vermuten würden. Die Unikliniken in Augsburg, Erlangen oder Regensburg teilen das Schicksal ihrer Münchner Kollegen: Nach dem AOK-Gesundheitsnavigator sind sie in medizinischer Hinsicht keineswegs in allen Abteilungen erste Adressen.
Schwere Fälle nicht berücksichtigt?
Der Münchner Orthopädie-Direktor Holzapfel sieht im Herangehen des Wissenschaftlichen Instituts der AOK einen Grundfehler. Das WIdO berücksichtige nicht ausreichend, ob ein Krankenhaus besonders viele schwere Fälle behandele. Wenn etwa ein Patient schon als Kind große Probleme an der Hüfte hatte, dann seien die Erfolgsaussichten bei einer Operation im Erwachsenenalter schlechter. „Bei einem total deformierten Gelenk ist die Rate an zu erwartenden Komplikationen einfach deutlich höher“, sagt Holzapfel.
Auch beim Uniklinikum Augsburg sieht man den Ansatz des AOK-Instituts kritisch. Dort, ebenso wie beim Münchner Uniklinikum Großhadern, bemängelt die Klinikleitung, wie das WIdO die sogenannte Risikoadjustierung einsetzt. Mit ihr wird bei einer Qualitätsprüfung statistisch herausgerechnet, welche Vorerkrankungen und Gesundheitsrisiken Patienten mitbringen.
Unikliniken sind skeptisch
Begleiterkrankungen der Patienten würden im AOK-Gesundheitsnavigator „gerade in Universitätskliniken, in denen vor allem auch komplexe Fälle behandelt werden, so nicht vollständig abgebildet“, kritisiert das Augsburger Uniklinikum. Auch der Verband der Universitätsklinika teilt die Skepsis seiner Mitgliedshäuser aus Bayern und ganz Deutschland. „Da ist vieles nicht plausibel“, sagt der VUD-Generalsekretär Jens Bussmann.
Beim Wissenschaftlichen Institut der AOK hält man die Kritik der Unikliniken dagegen für nicht stichhaltig. Beim „Gesundheitsnavigator“ würden hohes Alter oder Begleiterkrankungen nach medizinisch anerkannten Standards einkalkuliert, betont WIdO-Bereichsleiter Christian Günster. Die AOK könne Abrechnungsdaten von 27 Millionen Versicherten verarbeiten und damit ein klares Bild der Behandlungsqualität zeichnen, sagt der Mathematiker.
Große Unterschiede zwischen den Häusern
Der Abstand zwischen besonders guten und besonders schlechten Kliniken betrage bei den Komplikationsraten zum Teil mehr als das Doppelte, sagt Günster. Diese Information wolle die AOK auch Patienten zugänglich machen: „Wenn ich beste Qualität haben kann, dann möchte ich auch die Information darüber bekommen, wo ich die haben kann.“
Die einzelnen Ortskrankenkassen der AOK schicken auch Informationen über die Ergebnisse des Gesundheitsnavigators an Arztpraxen. Von der AOK Bayern heißt es allerdings, die entsprechenden Informationsbriefe seien während der Corona-Pandemie zunächst nicht mehr versandt worden, „wegen der allgemeinen Überlastung des Gesundheitssystems“.
Die mit Abstand größte Kasse in Bayern werde zu gegebener Zeit entscheiden, ob sie auch künftig Arztpraxen auf die Qualitätsbewertung im Gesundheitsnavigator hinweist.
Bewertung soll ausgebaut werden
Beim WIdO will man das Bewertungsangebot jedenfalls ausbauen. Zu den derzeit 13 Eingriffen, bei denen der Gesundheitsnavigator ein Klinik-Ranking anzeigt, sollen weitere hinzukommen.
Und der WIdO-Bereichsleiter Günster ist sicher, dass das Qualitätsurteil seines Instituts auch bei denjenigen Krankenhäusern etwas auslöst, die sich gegen die Bewertung wehren: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Kliniken sich dann ranmachen und ihre Prozesse noch mal kritisch durchgehen und sich dann auch verbessern.“ Und bessere Medizin sollte ja im Interesse aller Beteiligten liegen, findet er. (dpa)