Hamburger Gesundheitskiosk
„Wir lösen die Patienten aus ihrer passiven Rolle“
Ein Versorgungskonzept aus Ärztehand: Gesellschafter der Trägerorganisation des Gesundheitskiosks ist zu 60 Prozent das Ärztenetz Billstedt/Horn. Der Vorsitzende des Ärztenetzes, Dr. Gerd Fass, wirbt unter seinen Kollegen für den Kiosk. Denn die Mitarbeiterinnen hätten einfach mehr Zeit für die Patienten als die Ärzte im eng getakteten Praxisalltag.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: Herr Dr. Fass, wie profitieren Patienten konkret von den Leistungen des Gesundheitskiosks?
Dr. Gerd Fass: In der Arztpraxis können wir nicht alle Fragen so umfangreich beantworten, wie sich Patienten dies wünschen. Es gibt die Sprachbarriere und viele Menschen haben so geringe Kenntnisse, dass die Erklärungen viel Zeit brauchen – die wir nicht haben. Im Gesundheitskiosk dagegen kann man sich diese Zeit nehmen.
Die Mitarbeiterinnen sind kompetent und geschult, und sie können viele Menschen in deren Muttersprache abholen.
Das sind bessere Bedingungen als in der Arztpraxis. Damit gelingt es auch, Patienten aus ihrer oft passiven Rolle zu lösen und zu mehr Eigenverantwortung zu motivieren.
Und was überzeugt Ihre eigenen Patienten am Gesundheitskiosk in Billstedt/Horn?
Wichtig ist, dass das Angebot kostenfrei ist und in der Muttersprache stattfinden kann. Außerdem bekommen sie das Gefühl, dass jemand sie begleitet und sie nicht auf sich allein gestellt sind.
Inzwischen ist der Gesundheitskiosk lokal recht bekannt und wenn ich meinen Patienten eine Überweisung für den Kiosk ausstelle, freuen sie sich.
Aber warum gibt es kein ärztliches Angebot im Gesundheitskiosk?
Die gibt es, zum Beispiel die Begleitung durch einen Kardiologen bei einem Kardio-Sportprogramm. Aber alle niedergelassenen Ärzte haben ihre Praxis und es ist schwer, noch außerhalb der eigenen Räume zusätzliche Angebote zu machen. Das würde bedeuten, dass wir unsere Praxen und Patienten vernachlässigen müssten. Ich will aber nicht ausschließen, dass sich das ärztliche Angebot in einigen Jahren gewandelt haben könnte.
Derzeit haben wir Probleme, die Praxen nachzubesetzen und müssen etwas dafür tun, dass der Stadtteil nicht verwaist.
Dr. Gerd Fass
- Der Facharzt für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie (Billstedt) ist Vorstandsvorsitzender des Ärztenetz Billstedt/ Horn sowie Vorsitzender des Ärztlichen Beirats des Gesundheitskiosks.
- Das Ärztenetz wurde im November 2015 gegründet. Zweck des Vereins ist die Verbesserung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung in den Hamburger Stadtteilen Billstedt und Horn.
Wie soll das konkret aussehen?
Konkrete Lösungen gibt es nicht, nur erste Ideen. Die junge Arztgeneration hat von der Arbeit andere Vorstellungen als wir und darauf müssen wir uns einstellen: Teamarbeit und Anstellung. Dafür muss Billstedt weg von der Konnotation Krankheit, Armut und Migration, und hin zu Gesundheit und interessante Projekte.
Was halten die niedergelassenen Ärzte in Hamburg vom Gesundheitskiosk?
Die Meinungen sind unterschiedlich. Wir Netzärzte stehen voll hinter dem Gesundheitskiosk, deshalb ist das Netz auch Mehrheitsgesellschafter des Trägers. Es gibt aber auch Kollegen, die das zunächst nur beobachten und einige, die sich aufgrund des täglichen Ansturms in den Praxen keine Zeit mehr nehmen, überhaupt über neue Modelle nachzudenken. Manche haben das Einzelkämpfertum verinnerlicht und arbeiten allein vor sich hin.
Insgesamt aber steigt die Akzeptanz für den Gesundheitskiosk.
Wie könnte man mehr Kollegen motivieren, den Kiosk zu empfehlen und zu nutzen?
Ein wichtiger Schritt wurde gerade getan. Mit der Vereinbarung, dass die wichtigsten Krankenkassen den Gesundheitskiosk fördern, gibt es eine zusätzliche Abrechnungsmöglichkeit für ein Zielgespräch mit den Patienten.