Alpinist und Arzt

Der Bergretter

Der Bergrettungsnotarzt Johannes Schiffer erklärt, was ein Mediziner in den Bergen können muss. Mehr als erwartet ähnelt die Arbeit jener im Tal - und ist im Einzelfall doch ganz anders.

Von Barbara Schneider Veröffentlicht:
Johannes Schiffer ist niedergelassener Kinderarzt in Hausham. Er ist auch Medizinverantwortlicher der Bergwacht Region Oberammergau und bildet Bergrettungsnotärzte aus.

Johannes Schiffer ist niedergelassener Kinderarzt in Hausham. Er ist auch Medizinverantwortlicher der Bergwacht Region Oberammergau und bildet Bergrettungsnotärzte aus.

© Privat

Ärzte Zeitung: Worin unterscheidet sich die Bergrettungsmedizin vom Rettungsdienst auf dem Land?

Johannes Schiffer: Die Medizin im alpinen Gelände und im urbanen Gelände unterscheidet sich an sich nicht. Sie bleibt gleich. Allerdings gibt es ein paar spezifische Krankheitsidentitäten, die der Bergrettungsnotarzt kennen muss und die sich von der urbanen Rettung unterscheiden.

Ein Erkrankungsphänomen ist etwa die Höhenkrankheit. Der Arzt muss sich aber auch in der Kältemedizin auskennen. Und ein ganz großes Themenfeld ist die Lawine.

Was muss ein Bergrettungsnotarzt bei Lawinenunfällen wissen?

Schiffer: Der Bergrettungsnotarzt muss abschätzen können, wie hoch die Überlebenschancen sind und ob eine Wiederbelebung Sinn macht. Wenn ein Skifahrer ganz von einer Lawine verschüttet ist, stellt sich immer die Frage: Hat er am Anfang die Möglichkeit zu atmen, also eine Atemhöhle vor dem Gesicht, oder hat er das nicht?

Wenn er keine Atemhöhle hat, ist die Wahrscheinlichkeit die erste halbe Stunde zu überleben, sehr gering. Es gibt deshalb eine international geltende Regel, dass ein verschütteter Patient ohne Atemhöhle nach einer Stunde nicht mehr lange wiederbelebt wird.

Denn er hat –- anders als der Patient mit Atemhöhle – keinen Unterkühlungsvorteil. Wenn der Patient eine Atemhöhle hat, dann kann er unter der Lawine von der Unterkühlung in einen Herzstillstand kommen. In der Folge hat er dann deutlich bessere Chancen bei der Wiederbelebung.

Welche Voraussetzungen braucht man denn, um Bergrettungsnotarzt zu werden?

Schiffer: Der Bergrettungsnotarzt muss Alpinist sein. Er muss mit den Bergen vertraut sein und sich wohlfühlen in einer Situation, bei der es unter ihm auch mal steil nach unten geht, wo der Weg schmal wird, auf Geröllfeldern oder jenseits fester Wege. Er muss im einfachen Gelände klettern können.

Und er muss auf alle Witterungsbedingungen eingestellt sein: Egal ob es regnet, schneit oder stürmt. Er darf keine Höhenangst haben. Im Prinzip ist der Bergrettungsnotarzt jemand, der sowieso ständig in den Bergen unterwegs ist. Dazu kommt natürlich: Er muss Mitglied bei der Bergwacht sein und schon einmal als Notarzt gearbeitet haben.

Was lernen die Ärzte denn in der Ausbildung zum Bergrettungsnotarzt?

Schiffer: Es gibt eine besondere Ausbildung für unsere Bergwachtnotärzte. Das sind erst einmal Grundlehrgänge – ein Grundlehrgang Sommer und ein Grundlehrgang Winter. Im Sommer geht es ums Klettern, um Sicherungstechnik und Bewegen in schwierigem Gelände. Im Winter steht das Skifahren im Mittelpunkt, Skitouren und Lawinenkunde.

Dann kommen die Rettungskurse Sommer und Winter, da geht es um organisierte Rettung. Wir flechten theoretische und praktische medizinische Themen ein. Die Ärzte müssen in der jeweiligen Umgebung das umsetzen, was sie aus der Medizin schon wissen. Wir vermitteln aber auch Know-how über Strategien.

Schiffer: Was bedeutet das?

Das sind Strategien in Fällen wie diesen: Wie kann ich im Tourengelände einen Patienten provisorisch versorgen und aus der misslichen Lagen herauskommen? Oder wie kann ich mich vor Kälte schützen? Es geht auch darum, mit wenig medizinischem Rettungsmaterial in den Bergen klarzukommen.

Das verlangt Improvisationsvermögen, denn die Ärzte können nicht alles dabei haben. Ich kann nicht 20 Spritzen mitnehmen, sondern ich muss mich beschränken auf einen kleinen Rucksack, der auch tragbar ist.

In den Kursen üben wir auch komplexe Fälle: Die Ärzte lernen Organisation, medizinisches Wissen, praktische Fähigkeiten, Kondition mit einander zu verbinden, damit sie einen schwierigen Einsatz meistern können.

Was gehört zur Grundausstattung?

Schiffer: Was wir in unseren Notfallrucksäcken dabeihaben, sieht so aus wie das, was in den Koffern der Rettungswagen mit drin ist. Aber es ist alles etwas kompakter. Auch die Medikamente werden an die wahrscheinlichen Szenarien angepasst und sind nicht in so großer Stückzahl vorhanden.

Die Ärzte müssen bei den einzelnen Einsätzen überlegen, was sie weglassen können. Denn dadurch wird das Gepäck leichter. Sie müssen aber auch daran denken, dass die kleine Sauerstoffflasche schnell leer ist und dass sie womöglich dann Nachschub brauchen.

Wie sieht ein schwieriges Winterszenario aus?

Schiffer: Wir legen zum Beispiel eine Simulationspuppe mitten im Gelände in den Schnee und sprechen ihr ein schwieriges Verletzungsbild zu. Diese Puppe muss dann beatmet werden. Sie muss im steilen Gelände und im Tiefschnee abgeseilt werden und unter Berücksichtigung der Lawinengefahr muss da abtransportiert werden.

Der Rettungsarzt ist ja nicht alleine, sondern im Team unterwegs. Wie sieht da das Zusammenspiel aus?

Schiffer: Wir müssen viele Probleme gemeinsam bewältigen. Benötigt wird ein hohes Maß an Improvisation. Was für Mittel habe ich zur Verfügung? Wie sieht das Gelände aus? Wie kommt man von dort weg?

Alles hängt davon ab, wie komplex das Einsatzszenario ist. Es kann sein, dass nur drei Bergretter unterwegs sind und dann gibt es auch Einsätze, bei denen 60 Bergretter unterwegs sind – mit Fahrzeugtransport, Materialnachfordern, Einsatzleitung vor Ort. Das ist variabel.

Ist bei einer Rettung zwingend immer ein Bergrettungsnotarzt dabei?

Schiffer: Nein, im Gegenteil. Wir müssen in der Bergrettung das gesamte unwegsame und alpine Gelände abdecken. Das ist eine gesetzliche Vorgabe in Bayern. Da helfen verschiedene Ärzte mit. Zum Beispiel der klassische Notarzt, der mit dem Rettungswagen an die Skipiste unten ranfährt, um dann mit einer Pistenraupe oder einem Quad zum Patienten zu kommen.

Ein anderer Fall ist die Luftrettung in abgelegenem Gelände. Da arbeitet ein Luftrettungsnotarzt mit einem Bergretter zusammen, der das Gelände gut kennt. Gemeinsam fliegen sie hoch in die Berge, werden abgesetzt, versorgen den Patienten.

Dann kommt der Hubschrauber wieder, nimmt sie auf und fliegt ins Krankenhaus. Wo kein Hubschrauber fliegen oder kein Krankenwagen hinfahren kann, da kommen die Bergrettungsnotärzte zum Einsatz.

Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Tag der Privatmedizin

GOÄneu: Reuther und Reinhardt demonstrieren Geschlossenheit

Lesetipps
Arzt injiziert einem älteren männlichen Patienten in der Klinik eine Influenza-Impfung.

© InsideCreativeHouse / stock.adobe.com

Verbesserter Herzschutz

Influenza-Impfraten erhöhen: So geht’s!