Alternativer Forschungspreis

Der „schändliche“ Ig-Nobelpreis im Porträt: Erst Schmunzeln, dann Nachdenken

Forschung muss langweilig sein, nur etwas für Fachleute auf dem Gebiet? Der Ig-Nobelpreis kombiniert Wissenschaft mit Entertainment, Humor und Selbstironie. In 34 Jahren hat er allerlei kuriose Studien gewürdigt. Ein amüsanter Rückblick.

Von Alexander Joppich Veröffentlicht:
Tradition bei der Verleihung des Ig-Nobelpreis:
Das Publikum wirft selbst gebastelte
Papierflieger auf die Bühne – manchmal auch auf eine menschliche Zielscheibe.

Tradition bei der Verleihung des Ig-Nobelpreis: Das Publikum wirft selbst gebastelte Papierflieger auf die Bühne – manchmal auch auf eine menschliche Zielscheibe.

© Charles Krupa / AP Photo / picture alliance

Manchmal treibt das Leben schon seltsame Blüten: Da träumen Forscher von der begehrtesten Auszeichnung der Welt und dann kommt eine Nachricht, dass sie tatsächliche den Nobelpreis gewonnen haben – allerdings nicht für ihre bahnbrechenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Onkologie-Forschung, sondern für den Nachweis, dass Achterbahnfahren Nierensteine effektiv entfernen kann. Willkommen in der Welt des Ig-Nobelpreises, in der Wissenschaft auf die manchmal skurrile Wirklichkeit trifft. Zum 34. Mal wurde der alternative Forschungspreis Mitte September verliehen. Gelegenheit für die Ärzte Zeitung einen Blick auf die Highlights der Vergangenheit zu werfen – und zu berichten, wer dieses Jahr einen Preis abgeräumt hat.

Doch zuerst einmal ein Blick auf die Wurzeln: Der alternative Forschungspreis wird seit 1991 jährlich in Harvard vergeben. Hinter der Verleihung steht die Organisation „Improbable Research“, die ein Magazin herausgibt, in denen bizarr erscheinende Forschungen veröffentlicht werden („The Annuals of Improbable Research“). Laut Beschreibung auf der offiziellen Webseite sollen die Ig-Nobelpreise „überraschende Erkenntnisse würdigen, die Menschen zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken bringen“.

Die Initiatoren wollen das Ungewöhnliche feiern und forscherische Kreativität belohnen – und Menschen für Wissenschaft, Medizin und Technologie begeistern. Gerade jüngere Forscherinnen und Forscher sollen dadurch animiert werden, nicht in gewohnten Bahnen zu denken, sondern zu kreativen Ansätzen ermutigt werden.
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Dass die Ig-Nobelpreise keine stereotypischen Wissenschaftspreise sind, erkennen Zuschauer an einigen der ungewöhnlichen Traditionen: So haben die Preisträger genau eine Minute Zeit für die Dankesrede. Überziehen sie ihre Redezeit, kommt ein achtjähriges Mädchen namens Miss Sweetie Poo auf die Bühne und wiederholt ununterbrochen den Satz „Bitte hör auf, ich langweile mich“. Immer wieder kommt es vor, dass die Geehrten versuchen, Miss Sweetie Poo mit Süßigkeiten und anderen Geschenken zu bestechen, um sich Redezeit zu erkaufen; doch diese ist unbestechlich.

Amüsanter Fakt

In der Kürze liegt die Würze: Um ausufernden Dankesreden einen Riegel vorzuschieben, spielt der Satz „Please stop, I‘m bored!“ (Bitte hör auf, ich langweile mich) eine wichtige Rolle. Reden Preisträger länger als eine Minute, kommt ein achtjähriges Mädchen namens Miss Sweetie Poo auf die Bühne und ermahnt die Gewinner, die Redezeit einzuhalten.

Traditionell werden bei der Veranstaltung auch Papierflieger von den Zuschauern auf die Bühne geworfen. Diese wurden lange Zeit vom Physik-Nobelpreisträger Roy Glauber – als Besenmeister – weggefegt. Glauber starb 2018. Während der Corona-Pandemie änderten sich die Traditionen sowieso stark: In diesem Jahr findet die Veranstaltung erstmals seit 2019 in Präsenz statt.

Augenzwinkern mit ernster Grundlage

Unterbrochen werden die Verleihungen von einer mehrteiligen Mini-Oper, in der jährlich ein anderes Thema besungen wird. Ein weiteres Element der Gala sind die „24/7 lectures“. Während die Ziffern im Englischen normalerweise für „rund um die Uhr“ stehen, meinen sie bei der Veranstaltung etwas anderes: Wissenschaftler haben in diesem Segment 24 Sekunden Zeit, um eines ihrer Forschungsthemen in ihrem gewohnten Fachjargon zu beschreiben. Im nächsten Schritt müssen sie dieses dann in sieben Worten so rekapitulieren, dass auch Fachfremde ihr Forschungsergebnis verstehen können. So resümierte Chemie-Professor Andrea Sella (University College London) sein Interessengebiet „Mittlere Dichte von amorphem Eis“ vergangenes Jahr mit den Worten „Ultrakaltes, zerstoßenes Eis schwimmt und sinkt niemals“.
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Noch prägnanter formulierte Evolutionsbiologin Patricia Brennan ihr Fokusgebiet der „Morphologischen Evolution von Fortpflanzungsorganen“: Enten besitzen sehr komplexe Geschlechtsteile, wobei Erpel mit ihren korkenzieherförmigen Penissen und einem explosionsartigen Ausstülpungsmechanismus Hennen schnell zur Paarung zwingen können. Die Weibchen wiederum haben sich evolutionär angepasst, um die Partnerwahl stärker beeinflussen zu können: Ihre Fortpflanzungsorgane sind spiralförmig gewunden und besitzen sogar Sackgassen. Brennans lapidare Erklärung in sieben Worten: „Fabelhafte Vaginen behindern von Norm abweichende Entenpenisse“.

Auch wenn die Gala skurril und zum Teil klamaukig anmuten mag, sind es die ausgezeichneten Forscher nicht: Die Studien erscheinen in Fachmagazinen und sind ernst gemeinte Forschungsergebnisse. Dass die Veranstalter Wert auf seriöse Wissenschaft legen, sieht man auch daran, dass normalerweise jeder Preis von einem tatsächlichen Nobelpreisträger überreicht wird.
Moderator Marc Abrahams präsentiert den Ig-Nobelpreis 2016.

Jedes Jahr ein anderes Design:Moderator Marc Abrahams präsentiert den Ig-Nobelpreis 2016.

© Michael Dwyer / AP Photo / picture alliance

Der Name „Ig-Nobel“ spielt mit dem ähnlich klingenden, weltbekannten Forschungspreis aus Skandinavien: Auf Deutsch heißt „ignobel“ unwürdig oder schändlich. Die Geehrten erhalten neben einer Urkunde die Trophäe, deren Design jährlich verändert wird und die äußerst kreativ zusammengebastelt wird. Weiterhin bekommen die Forscher eine Trillion Dollar – allerdings als alten Geldschein aus Simbabwe (Handelswert bei eBay derzeit: circa 2,50 Euro).

Welche Studien wurden bereits ausgezeichnet?

Medizinische Forschungsergebnisse spielen jedes Jahr eine Rolle: Es gibt einen eigenen Ig-Nobelpreis für Medizin. Daneben gibt es auch in den anderen Kategorien oft Themen mit Gesundheitsbezug. Vergangenes Jahr gab es ausnahmsweise die Kategorie „Public Health“: Der Physiker und Bioingenieur Dr. Seung-min Park erhielt einen Preis für die „Stanford-Toilette“. Diese untersucht Urin und Fäkalien und kann Hinweise auf Erkrankungen geben. 2021 wurden drei deutsche Forscher im Bereich Medizin prämiert: In ihrer Arbeit hatten sie analysiert, dass Sex die Nasenatmung ebenso effektiv unterstützt wie ein Dekongestivum.

In der Vergangenheit wurden Hunderte von Forschern ausgezeichnet. Einen Preis erhielten beispielsweise:

2024: Tote Forellen und Anusatmung

In diesem Jahr zeichnete das Komitee Forscher aus, in deren Studie Placebos besser wirkten, wenn sie leichte, spürbare Nebenwirkungen auslösten. Weiterhin durfte sich Forscher James Liao über einen Preis freuen: Er hatte sich mit dem Schwimmverhalten von toten Forellen beschäftigt und gelangte zur Erkenntnis: Lebendige Exemplare bewegen sich mehr als tote, aber der Unterschied ist gering. Im Bereich Physiologie jubelte ein Team aus Japan und den USA: Sie hatten erforscht, dass viele Säugetiere dazu fähig sind, durch ihren Anus zu atmen.

Moderator Marc Abrahams schloss die Veranstaltung, die ausnahmsweise am nahe gelegenen MIT stattfand, mit den bereits legendären Abschlussworten: „Wenn Sie dieses Jahr keinen Ig-Nobelpreis gewonnen haben – und vor allem, wenn Sie einen gewonnen haben: mehr Glück im nächsten Jahr!“
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