Integration: Das neue Ideal für die Medizin

Mit Idealismus geht die neue Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer von den Grünen an die Reformpolitik im Gesundheitswesen: Integrierte Versorgung ist das Schlagwort. Ein Start ohne Performance.

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Angriffsziel der Lobbyisten: Gesundheitsministerin Andrea Fischer.

Bonn, Februar/März 1999. Im Bundesgesundheitsministerium hat sich eine Werkstatt zur Reform des Gesundheitswesens etabliert. Der Start findet unter erschwerten Bedingungen statt.

Die neue Gesundheitsministerin Andrea Fischer muss sich mit einem neuen Politikfeld vertraut machen und wähnt sich in einem Haifischbecken.

Sie fühlt sich offenkundig unwohl angesichts der ubiquitären Gegenwart von Funktionären der Ärzte, Kassen, Apotheker und Pharma-Industrie.

Das von Horst Seehofer geprägte Ministerium sieht sie nicht unbedingt als Stütze und entlässt als erstes den Spitzenbeamten Manfred Zipperer.

Stattdessen bringt sie neue Leute mit wie den Arzt Hermann Schulte-Sasse, der vom AOK-Bundesverband kommt - mit vielen neuen Ideen, immer guter Laune, redegewandt, aber nicht gerade ein Organisationstalent.

In der SPD-Fraktion sitzt immer noch ein verbitterter Rudolf Dreßler, der mehr Oppositionsarbeit leistet als die offizielle Opposition.

Die allerdings hat nach knapp gewonnener Landtagswahl in Hessen wieder Oberwasser - die Unionsländer haben im Bundesrat die Mehrheit, so dass weitreichende Gesundheitsreformen eine große Koalition notwendig machen.

Gleichwohl geht Andrea Fischer Anfang 1999 unverdrossen und mit ehrgeizigen Zielen an eine Strukturreform, die von ihrer Grundphilosophie her charakteristisch für die folgenden zehn Jahre sein soll.

Das Fischer-Patent für Kooperation

Als größten Schwachpunkt in der Organisation des Gesundheitswesens sehen Grüne und SPD die ausgeprägte Sektorierung und den Mangel an Kooperation an den Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung.

Das ambitionierte Projekt ist die Integrationsversorgung, die damals geboren wird: Mehrseitige Verträge zwischen Krankenkassen, Gruppen von Haus- und Fachärzten, Kliniken und nichtärztlichen Heilberufen sollen möglich werden.

Die Kassen sollen solche kombinierten Leistungen gezielt einkaufen können - Qualität und Wirtschaftlichkeit sollen die Kriterien für die Wahl der Vertragspartner sein.

Die Krankenhäuser sollen für ambulante Versorgung in Spezialfällen - etwa Krebs, Aids, Rheuma - zugelassen werden. Vertragsärzte sollen ein Recht bekommen, kurzfristig auch im Krankenhaus zu behandeln, vorausgesetzt, sie schließen dafür Verträge mit den Kassen.

Das Gesetz, das im Lauf des Jahres unter großen Schwierigkeiten Gestalt annimmt, ist idealistisch und kompliziert zugleich.

Es wird deshalb an der Realität scheitern und erst vier Jahre später beispielsweise mit der pragmatischen Anschubfinanzierung für die Integrationsversorgung wirksam werden.

Aber Andrea Fischer gebührt das Patent dafür, den ersten Schritt für kooperative Strukturen gemacht zu haben.

Außerdem grüßt wieder ein alter Bekannter aus der SPD-Reform-Werkstatt: die Arzneimittel-Positivliste, ein Zombie, der nicht sterben darf, aber auch nicht leben wird. (HL)

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