Kroos-artiger Siegtreffer
Jetzt will Deutschland "durchs Turnier reiten"
Das Freistoß-Tor von Toni Kroos in der letzten Minute beim Sieg über Schweden löst beim Weltmeister eine Glücksexplosion aus. Ist der Knoten nun geplatzt?
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Die deutsche Nationalmannschaft hofft auf Rückenwind nach dem Last-Minute-Erfolg über Schweden.
© Frank Hoermann / Sven Simon / dpa
WATUTINKI. In Endlosschleife flimmerte das "Kroos-artige" Tor auf dem Nachtflug nach Moskau und dem anschließenden Familientag über die Smartphones der mit Glückshormonen gefluteten deutschen Spieler.
Nach der größten Explosion der Gefühle seit Mario Götzes Siegtor im WM-Finale 2014 konnte die Dimension des erlösenden Geniestreiches zum 2:1 von Toni Kroos gegen Schweden niemand spontan abschätzen. "Ich werde mir das mindestens tausendmal anschauen", sagte Mats Hummels.
Fest steht: Titelverteidiger Deutschland ist plötzlich drin im Turnier, auch wenn am Mittwoch in Kasan gegen Südkorea der historische Vorrunden-K.o. bei einer WM immer noch möglich ist.
Aber wem kommen nach dem aufwühlendem Fußball-Abend in Sotschi mit dem finalen Höhepunkt des Kunstschusses von Kroos in der fünften Minute der Nachspielzeit und in Unterzahl noch negative Gedanken?
Sieg gegen Südkorea ist Pflicht
Ein Sieg mit mindestens zwei Toren Unterschied gegen die punktlosen Asiaten reicht definitiv zum Einzug in das Achtelfinale, in dem es nach aktuellem Tabellenstand zum Duell mit Rekordchampion Brasilien käme.
"So weit ist es noch nicht. Auch Serbien und die Schweiz haben in der anderen Gruppe noch gute Chancen", bemerkte Löw gelassen.
"Das muss der Wendepunkt gewesen sein", sagte Timo Werner, der den Freistoß in der 95. Minute herausgeholt hatte. "Wenn wir die Steilvorlage jetzt nicht annehmen und damit durchs Turnier reiten, dann hätte das ganze Spiel nichts gebracht."
Der WM-Neuling aus Leipzig war neben 1:1-Schütze Marco Reus und natürlich Matchwinner Kroos eine der prägenden Figuren im Fischt-Stadion.
Ekstase beim Torjubel, Tumulte nach Spielschluss mit den frustrierten Schweden, vor allem aber enorme Erleichterung prägten die Szenerie am Schwarzen Meer, wo der Weltmeister nach Kroos‘ Patzer vorm 0:1 von Ola Toivonen kurz vor dem Untergang war.
Auch Joachim Löw, der in seinem 100. Pflichtspiel als Bundestrainer (79 Siege) entscheidungsfreudig den Weltmeister-Bonus außer Kraft gesetzt hatte, indem er Mesut Özil und Sami Khedira durch Reus und den früh verletzten Sebastian Rudy (Nasenbeinbruch) ersetzte, war geschafft.
Bis zur letzten Sekunde gab auch er in der Coaching Zone alles. Mit seinen in der Muckibude auffällig gestählten Oberarmen trieb er seine Spieler selbst nach der Gelb-Roten Karte für Jérôme Boateng in der 82. Spielminute mit totalem Risiko weiter vorwärts.
Die Harakiri-Taktik ging auf. "Es war ein Krimi voller Emotionen. Die sind hochgekocht. Es war bis zum Schluss Dramatik pur", sagte Löw: "Es ist das Schöne am Fußball, dass es solche Spiele gibt."
Happy End im Fußballkrimi
Und das Drehbuch sah vor, dass Kroos seinem voller Hingabe anrennenden Team und den 27 Millionen TV-Zuschauern in Deutschland ein Happy End schenkte. "Dass Toni den entscheidenden Freistoß versenkt, freut mich für ihn. Das hat er sich verdient", lobte Löw seinen Frontmann.
Kroos musste das 0:1 "auf meine Kappe nehmen", zeigte dann aber die Reaktion eines Weltklassespielers. "Man muss dann auch die Eier haben, die zweite Halbzeit so zu spielen", sagte der 28 Jahre alte Weltmeister.
"So ein Fehler macht dein Spiel kaputt. Oder du versuchst, alles rauszuhauen, anzutreiben, das habe ich versucht." Der späte Lohn war das wunderschöne Siegtor.
"Jetzt sind wir im Turnier", sagte Zuschauer Khedira. "Wir waren nah am Ausscheiden. So ein später Sieg kann bei jedem etwas hervorholen, was einen Push gibt für die WM", sagte Kroos.
Der Fokus richtet sich nun auf Südkorea. "Da müssen wir genauso emotional spielen und energiegeladen", sprach Reus ein wahres Schlusswort. (dpa)