25 Jahre Deutsche Einheit

Ost und West - das sind die Probleme Deutschlands

Seit der Wiedervereinigung hat sich in Deutschland viel getan: Der Osten hat aufgeholt, aber nicht gleichgezogen. Für die Zukunft warten auf Ost und West oft die gleichen Herausforderungen.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Deutschland ist ein Flickenteppich: Blühende Landschaften hier, Brachen dort - in Ost und West.

Deutschland ist ein Flickenteppich: Blühende Landschaften hier, Brachen dort - in Ost und West.

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BERLIN. "Der gesellschaftliche Umbruch bis hin zu vielen einschneidenden Veränderungen hat den Ostdeutschen viel abverlangt. Sie haben diese Herausforderung bravourös gemeistert. Dank dieser Transformationsleistung und dank der Solidarität des Westens können wir trotz mancher Fehler, Irrtümer und Missverständnisse gemeinsam stolz auf das sein, was wir als Ost- und Westdeutsche miteinander erreicht haben - und den Rest schaffen wir auch noch."

So das Fazit im Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2015, ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung.

Deutschland 2015 - das ist nicht das, was sich Deutsche in Ost und West 1990 erträumt, erhofft oder gewünscht hätten. Viele Träume sind geplatzt. Aber manche Hoffnungen sind schneller in Erfüllung gegangen als erwartet wurde.

Blühende Landschaften: sie sind wortwörtlich entstanden. Der unglaubliche Raubbau der sozialistischen Mangelwirtschaft an den natürlichen Ressourcen wurde radikal beendet - durch den Zusammenbruch einer nicht mehr konkurrenzfähigen Industrie. Die Umweltschäden sind heute weitgehend vernarbt, das Leben ist gesünder geworden.

Steigende Lebenserwartung

Die "Ärzte Zeitung" blickt in einem Dossier auf "25 Jahre Deutsche Einheit": Hier geht es zur Artikel-Übersicht.

Signifikant und nachhaltig hat sich das auf die Lebenserwartung der Menschen in den neuen Bundesländern ausgewirkt: Sie stieg bei den Frauen um 3,6 auf 82,6 Jahre und hat sich bis auf gut zwei Monate dem West-Niveau angenähert; mit 4,8 Jahren wuchs die Lebenserwartung der Männer noch stärker und erreicht nun 76,6 Jahre, 1,4 Jahre weniger als im Westen.

Dabei ist der Ost-West-Vergleich allerdings immer weniger relevant, wie Wissenschaftler des Rostocker Max-Planck-Instituts für demografische Forschung festgestellt haben: Am höchsten ist die Lebenserwartung der Frauen in Baden-Württemberg mit 83,6 Jahren, gefolgt von Sachsen, Bayern und Hessen.

Zu den Gebieten mit der niedrigsten Lebenserwartung gehören inzwischen das Ruhrgebiet und das Saarland - Regionen mit massiven ökonomischen Strukturproblemen. Die größten Zugewinne an Lebenserwartung verzeichneten Männer im Nordosten: im Landkreis Rostock ein Plus von 6,5 Jahren allein zwischen 1996 und 2010.

Maßgeblich dazu beigetragen haben bessere Umweltbedingungen, gesündere Ernährung, wachsender Wohlstand - und nicht zuletzt die rasante Aufrüstung der Gesundheitsversorgung.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen war die Krankenhausversorgung der DDR marode geworden. Bereits 1992 einigten sich Bund, Länder und gesetzliche Krankenversicherung auf ein Investitionsprogramm von 21 Milliarden DM - knapp elf Milliarden Euro -, mit dem die Krankenhauslandschaft in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 2004 grundlegend modernisiert werden sollte.

Ambulante ärztliche Versorgung hat sich radikal verändert

Ein Programm, das konsequent durchgezogen wurde und dazu geführt hat, das die Krankenhäuser in den neuen Bundesländern nicht nur das medizinische Qualitäts- und Leistungsniveau des Westens realisiert haben, sondern heute - im Unterschied zum Westen - auch wirtschaftlich unvergleichlich besser dastehen.

Einen radikalen, freilich nicht unumstrittenen Transformationswandel erlebte die ambulante ärztliche Versorgung. Viele Ärzte wollten sich 1990 aus den Fesseln staatlicher Bürokratie und Bevormundung befreien und stimmten deshalb mit den Füßen für die Niederlassung in der eigenen Praxis ab.

Bestärkt wurden sie darin von den KV- und Verbandsfunktionären, die im Ringen um den Einigungsvertrag alles daran setzten, westdeutsches Kassenarztrecht auf die neuen Länder zu transferieren. Damit wurden die Polikliniken, die später eine Art Blaupause für die Medizinischen Versorgungszentren werden sollten, zu einer Ausnahmeerscheinung.

Heute gilt das KV-System bei den Ärzten in den neuen Bundesländern - anders als im Westen - als stabil und vertrauenswürdig.

Dennoch erscheint gerade die ambulante flächendeckende und wohnortnahe Versorgung vor allem in den neuen Bundesländern seit Jahren gefährdet. Mit zwei Gesetzen - dem Versorgungsstrukturgesetz von 2012 und dem Versorgungsstärkungsgesetz in diesem Jahr - hat die Politik versucht, die Rahmenbedingungen für die ärztliche Versorgung primär in ländlichen Regionen - und eben auch mit Blick auf die neuen Länder - zu verbessern.

Entleerung ländlicher Regionen

Beide Gesetze könnten freilich daran scheitern, weil sich ihre Zielsetztung als illusionär erweist - und wirkungslos gegen gesellschaftliche Megatrends ist.

Dieser Trend ist bestimmt von der Entleerung und Überalterung ländlicher Regionen und der Wanderung insbesondere der jungen und leistungsstarken Generation in die urbanen Zentren. Und das gilt auch für Ärzte.

Versuche, diesen Trend mit monetären Anreizen zu durchbrechen, sind teuer und ineffektiv.

Die Daten des KBV-Honorarberichts zeigen dies: Hausärzte in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen erzielen einen Jahresumsatz von rund 240.000 Euro (2013) und liegen damit um 20 Prozent über dem Bundesdurchschnitt.

Am unteren Ende rangieren die Stadtstaaten Hamburg und Berlin, wo Hausärzte GKV-Jahreshonorare von 160.000 bis 176.000 Euro erzielen.

Würden Ärzte ihre Standortwahl primär an ökonomischen Kriterien ausrichten, dann dürften die neuen Bundesländer keine Nachwuchssorgen haben. Tatsächlich ist die Berufs- und Lebensplanung von Ärzten heute weitaus komplexer.

Im übrigen ist das Bild von einer im Osten überalternden und in Kürze aussterbenden Ärzteschaft falsch - oder zumindest undifferenziert. So liegt der Anteil der über 60-jährigen Hausärzte in Mecklenburg-Vorpommern nur bei 24,6 Prozent, in Baden-Württemberg jedoch bei 35 Prozent.

Das heißt: In dem nach Bayern wohlhabendsten Bundesland sind die Nöte - vor allem in ländlichen Regionen - weitaus größer als im Nordosten der Republik.

Osten verliert Bevölkerung

Das freilich kann wiederum die Landes- und Kommunalpolitiker in den neuen Bundesländern wenig trösten. Sie stehen in den nächsten 20 Jahren vor der Herausforderung, dass vor allem junge Menschen die ländlichen Regionen verlassen, während die alte, auch medizinisch und pflegerisch zu versorgende Bevölkerung sesshaft bleibt.

Weite Landstriche des Ostens werden bis zu 50 Prozent ihrer Bevölkerung verlieren. Das ist allerdings kein auf den Osten begrenztes Phänomen - es wird sich ähnlich im Bayerischen Wald, in der Eifel oder auf der Schwäbischen Alb realisieren.

Tatsache ist: Der Anspruch auf Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wird in Zukunft nicht mehr erfüllt werden können. Das gilt insbesondere für die ursprünglich gehegte Hoffnung, die neuen Bundesländer könnten wirtschaftlich zum Westen aufschließen.

Tatsache ist: 1991 lag die Wirtschaftsleistung pro Kopf in den neuen Bundesländern bei gut 30 Prozent des Westens - und es folgte bis Ende der 1990er Jahre eine Aufholjagd. Aber seit fünf Jahren stagniert dieser Prozess: Die Wirtschaftsleistung Ost liegt pro Einwohner unverändert bei zwei Dritteln des Westens.

So konstatiert der Bericht der Bundesregierung zur deutschen Einheit: "Für die ostdeutschen Länder ist eine... breitflächige Strukturschwäche charakteristisch... Gerade in Ostdeutschland fehlen - abgesehen von Berlin und wenigen Großstädten wie Leipzig - solche starken, gut erreichbaren Gegenpole."

Und selbst die großen Städte in den neuen Ländern sind im gesamtdeutschen Vergleich selbst noch strukturschwache Einheiten.

Schere zwischen Arm und Reich

Diese Schwächen sind allerdings längst nicht mehr auf den Osten beschränkt, sondern ein gesamtdeutsches Phänomen auch innerhalb von Städten und Ballungsregionen: Eine Segregation von Arm und Reich, mitunter in direkter Nachbarschaft, wie die wachsende und prosperierende Metropole Frankfurt im Vergleich zu der verarmten und überschuldeten Stadt Offenbach zeigen.

Auch innerhalb von Berlin und in der Rhein-Ruhr-Region sind solche Disparitäten zu beobachten.

Die eindeutige und auch nachvollziehbare Präferenz der jungen Ärztegeneration für blühende Landschaften wird die Gesundheitspolitik vor erhebliche Herausforderungen stellen. Tatsächlich tangiert sind aber nahezu alle Politikbereiche - bis hin zu einer fundierten Einwanderungs- und Integrationspolitik.

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