Samuel Hahnemann, ein Mensch voller Widersprüche

Von Ursula Gräfen Veröffentlicht:

"Die Geschmähten werden immer die Homöopathie und Hahnemanns Verdienst von Hahnemanns Persönlichkeit zu unterscheiden wissen", sagte Dr. Moritz Müller im Jahre 1833 über seinen Lehrer Samuel Hahnemann, und in diesem Satz war schon alles Wesentliche enthalten, was den Gründer der Homöopathie charakterisiert.

Samuel Hahnemann war ein großer Arzt und ein akribisch genauer Wissenschaftler, selbst an den heutigen hohen Standards gemessen. Aber es war nicht leicht, mit ihm auszukommen. Er war cholerisch und streitsüchtig, er beschimpfte die von ihm "Allopathen" genannten Schulmediziner. Ja, er verschonte selbst seine Anhänger nicht: Die, die seinen Anordnungen nicht buchstabengetreu folgten, beschimpfte er als "Halbhomöopathen".

Gebildet und zurückhaltend, aber auch undiplomatisch

Zu diesem widersprüchlichen Bild paßt auch, daß Hahnemann zwar zurückgezogen mit seiner großen Familie und seinen Patienten lebte, aber dann doch immer wieder als Polemiker an die Öffentlichkeit ging.

Er war gebildet, ernst, spröde, wohl etwas gespreizt, ließ sich aber zu verletzenden Schmähreden und -schriften hinreißen im Zorn auf seine Kollegen. Er war zurückhaltend, gründlich, ein umsichtiger Arzt, aber auch undiplomatisch und unerbittlich. Ein Mensch, der glühende Begeisterung entfachte und schärfste Ablehnung provozierte.

Hahnemann, am 10. April 1755 in Meißen geboren, hatte sich schon früh Prinzipien gesetzt, denen er sein Leben lang treu blieb. Bereits mit 29 Jahren beschrieb er den wahren Arzt als den, "der keinem System geschworen hat, nichts ununtersucht verwirft, oder aufs Wort für baar annimt, und der das Herz hat, selbst zu denken und eigenhändig zu handeln". In diesem Sinne war Hahnemann stets kompromißlos.

1792 gründete Hahnemann als niedergelassener Arzt eine private "Irrenanstalt für die besseren Stände" in dem in der Nähe von Gotha gelegenen Schloß Georgenthal - ein damals riskantes Unternehmen.

Im Unterschied zum üblichen repressiven Umgang mit Geisteskranken, behandelte Hahnemann seinen einzigen, aber zahlungskräftigen Patienten, den Kanzleirat Kockenbring, jedoch in einer menschlich-fürsorglichen Weise, die sich erst einige Jahrzehnte später in der Irrenreformbewegung auf breiter Basis durchsetzen sollte.

Hahnemann war damit einer der ersten Ärzte, die den Optimismus der Aufklärung, den Menschen aus seiner Unmündigkeit herauszuführen, auf die Behandlung von Geisteskranken zu übertragen versuchten.

Hahnemann war ein belesener und gebildeter Mann. Er beherrschte Griechisch, Latein, Englisch, Französisch, Italienisch, Hebräisch und Arabisch. Sein Medizinstudium in Leipzig hatte er sich durch Übersetzungen verdient. Und eine Übersetzung war es auch, die ihm den Weg zum Simile-Prinzip erschloß, das bis heute Grundprinzip der homöopathischen Lehre ist.

Hahnemann war bei der Übersetzung eines Standardwerks zur Arzneimittellehre des schottischen Arztes William Cullen (1710 bis 1790) aufgefallen, daß Cullen die Wirkung der Chinarinde gegen Malaria auf die Stärkung des Verdauungstrakts zurückführte. Da ihn diese Erklärung nicht überzeugte, kam er auf die Idee, die Wirkung des Medikaments am eigenen gesunden Körper zu überprüfen.

Hahnemann war ein exzellenter Beobachter. Er beschrieb seinen ersten Selbstversuch so: "Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimahl täglich jedesmahl 4 Quentchen gute China ein; die Füße, die Fingerspitzen usw. wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Ängstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann ein Klopfen im Kopf, Röthe der Wangen, Durst... Mit kurzem: auch die mir bei Wechselfieber gewöhnlichen besonders charakteristischen Symptome, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube widrige Empfindung, welche in dem Periostium über allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint - alle erschienen. Dieser Paroxysm dauerte 2 bis 3 Stunden jedesmahl, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf, und ich ward gesund."

So kam Hahnemann empirisch dem Simile-Prinzip auf die Spur. Denn die im Selbstversuch beobachteten Symptome waren genau die der Malaria, bei der die Chinarinde als Heilmittel erfolgreich war. Sechs Jahre prüfte Hahnemann an sich und seinen elf Kindern seine aus dem Chinarinden-Versuch abgeleitete Hypothese, daß "Ähnliches mit Ähnlichem" geheilt werden könne.

Die Ergebnisse veröffentlichte er 1796 in einer der damals angesehensten medizinischen Zeitschriften, nämlich in Hufelands "Journal der practischen Arzneykunde". Dieses Datum gilt als die Geburtsstunde der Homöopathie.

1810 erschien dann sein Hauptwerk, das wegen des dogmatischen Grundtons der späteren Auflagen oft als "Bibel der Homöopathie" bezeichnet wird: das "Organon der rationellen Heilkunde". Dieses Buch erlebte zu Hahnemanns Lebzeiten fünf Auflagen und wurde von Mal zu Mal ergänzt und verbessert. Es umfaßte zunächst 271 Paragraphen. Vorangestellt ist das Grundprinzip, das nach wie vor Gültigkeit in der ganzen Medizin hat: "Der Arzt hat kein höheres Ziel, als kranke Menschen gesund zu machen, was man Heilen nennt."

Hahnemann verwendete als einer der ersten ein Stethoskop

Als Arzt war Hahnemann nicht nur fürsorglich und gründlich, er war auch experimentierfreudig. So verwendete er bereits früh diagnostische Hilfsmittel wie das Stethoskop, das erst ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zur Standardausrüstung der Ärzte gehörte. Hahnemann war zwar kompromißlos, was seine Vorstellungen vom Arzt-Sein angeht, aber er war eben auch aufgeschlossen für neue Erkenntnisse.

In späteren Jahren wich er sogar von seiner Theorie in einigen Punkten ab, indem er etwa die in der klassischen Homöopathie verpönten Doppelmittel verschrieb und an seinen Patienten die bis heute umstrittenen Hochpotenzen ausprobierte. Das gilt besonders für seine Pariser Jahre.

Hahnemann war im Alter von 80 Jahren mit seiner zweiten, 45 Jahre jüngeren Frau, der französischen Künstlerin Mélanie d'Hervilly, zum Erstaunen und zur Verärgerung seiner deutschen Schüler nach Paris umgezogen. Am 13. Juli 1835 erschien in der "Allgemeinen Homöopathischen Zeitung", die es übrigens heute noch gibt, die lakonische, aber vielsagende Notiz: "Herr Hofrath Dr. S. Hahnemann ist den 14. Juni nach Paris abgereist."

In Paris führte Hahnemann seine Praxis mit Hilfe seiner Frau bis kurz vor seinem Tode fort. Am 2. Juli 1843 starb er im Alter von 88 Jahren. Auf seinem Grabstein im Pariser Friedhof Montmartre steht, wie er verfügt hatte: "Non inutilis vixi" - "Ich habe nicht umsonst gelebt". Damit hat er, wie die Geschichte der Homöopathie zeigt, Recht behalten.

Lesen Sie dazu auch: Homöopathen machten den ersten Doppel-Blindversuch

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