Schallschutz im Orchestergraben

An Autobahnen und Schnellstraßen schützen riesige Wände die Anwohner vor Lärm. Aber was haben Schallschutzwände in Konzertsälen zu suchen? Gemäß einer EU-Richtlinie müssen jetzt auch Orchestermusiker geschützt werden - vor ihrer eigenen Musik.

Von Beate Depping Veröffentlicht:
Schutz vor der Lautstärke seines eigenen Instruments: Trompeter mit Schallschutz.

Schutz vor der Lautstärke seines eigenen Instruments: Trompeter mit Schallschutz.

© Wagner / dpa

DETMOLD. "Fast 110 Dezibel. Und das sind nur zwei Trompeten. Im Orchester werden viel höhere Werte erreicht." Malte Kob zeigt auf die Anzeige seines Messgeräts.

Der Akustiker von der Hochschule für Musik Detmold untersucht die Wirkung von Schallschutzwänden in Orchestern. Die Messung unmittelbar hinter der Wand belegt: Hier ist es ganz offensichtlich deutlich leiser.

Hintergrund der Detmolder Studie ist ein Gesetz zum Arbeitnehmerschutz. In der Industrie und im Straßenbau tragen Arbeiter ganz selbstverständlich Kopfhörer oder Ohrstöpsel, um ihr Gehör zu schützen.

Doch auch in Orchestern übersteigt der Schalldruckpegel oftmals die Schmerzgrenze, und 120 Dezibel sind keine Seltenheit - das ist lauter als ein Presslufthammer oder Discomusik.

"Bei kurzzeitigen Belastungen, also etwa in Konzerten, ist das oft kein Problem. Aber bei den Proben sind die Musiker dieser Lautstärke über längere Arbeitsphasen immer wieder ausgesetzt. In der Summe kann das die Gesundheit gefährden", erläutert Malte Kob.

Individueller Hörschutz geht ins Geld

Kopfhörer wie sie Straßenarbeiter tragen, können im Orchester nicht eingesetzt werden. Und auch Ohrstöpsel aus dem Kaufhaus erweisen sich als untauglich.

"Im Orchester muss man feine Nuancen der Nachbarn hören können. Das kann ein einfacher Gehörschutz nicht leisten", weiß Kob. Ein individuell angepasster Gehörschutz für jeden Musiker ist möglich - geht aber ins Geld.

Der Akustiker und sein Team testen deshalb jetzt den Einsatz von Schallschutzwänden aus Plexiglas, die sie unmittelbar vor einzelnen Instrumentengruppen aufstellen. Im unteren Bereich sind sie mit schallschluckendem Material verstärkt, auf Brusthöhe neigen sie sich in Richtung Zuschauerraum.

Die Musiker in der Reihe davor sitzen wie unter einem kleinen Vordach. So sollen zum Beispiel Cellisten und Holzbläser geschützt werden, die im Orchester direkt vor den Posaunen und Trompeten sitzen.

Sie wissen die neu gewonnene Ruhe durchaus zu schätzen, bestätigt Fagottist Stefan Neuhäuser von den Jungen Sinfonikern Bielefeld nach einer Probe mit Schutzwänden.

"Es ist viel leiser. Das ist gut. Grundsätzlich muss ich aber die Blechbläser auch weiterhin hören können, damit ich meine eigenen Einsätze besser finde. Da muss noch nachgebessert werden."

Jünger Musiker sind affiner

Das bestätigt Martin Fendel vom Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin. Der Musikmediziner hält Maßnahmen zum Gehörschutz in Orchestern für unverzichtbar.

"Schwerhörigkeit ist die häufigste anerkannte Berufskrankheit bei Orchestermusikern. Hinzu kommen störende Symptome wie Tinnitus." Die Umsetzung des Arbeitnehmerschutz-Gesetzes sei aber im Musikbereich nicht 1:1 möglich.

"Anders als in der Industrie ist der Lärm keine lästige Begleiterscheinung, sondern erklärtes Ziel, ja quasi das Produkt der gemeinsamen Arbeit."

Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass viele Musiker dem Schallschutz mit großer Skepsis oder gar Ablehnung begegneten. Fendel setzt auf Beratung und sucht gemeinsam mit den Orchestern nach maßgeschneiderten Lösungen.

Dabei können Schallschutzwände ebenso eingesetzt werden wie individueller Gehörschutz. "Pauschallösungen wird es in diesem Bereich nicht geben", sagt Fendel.

Auf einen gesunden Mix unterschiedlicher Maßnahmen setzt auch die Deutsche Orchestervereinigung (DOV) in Berlin und verweist darauf, dass etwa die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf den Orchestergraben vergrößert hat, um die Musiker vor zu viel Schall zu schützen.

Bei den Musikern habe bereits ein Umdenken eingesetzt. DOV-Geschäftsführer Gerald Mertens: "Vor allem die Jüngeren sind inzwischen viel eher bereit, Schutzmaßnahmen zu testen." (dpa)

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