Mutter-Kind-Zentrum in Oberfranken

Suchtkranke Frauen: Mutter in Therapie, Kind besucht die Kita

Gehen suchtkranke Eltern in stationäre Therapie, bedeutet dies meist eine lange Trennung von ihren Kindern. Eine Einrichtung in Oberfranken macht es anders: Dort wohnen die Mütter mitsamt Nachwuchs.

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Monika Ohnesorge, Leiterin des Mutter-Kind-Zentrums Rückenwind. Das Mutter-Kind-Zentrum Rückenwind bietet Platz für bis zu zwölf Mütter mit ihren Kindern.

Monika Ohnesorge, Leiterin des Mutter-Kind-Zentrums Rückenwind. Das Mutter-Kind-Zentrum Rückenwind bietet Platz für bis zu zwölf Mütter mit ihren Kindern.

© Daniel Vogl/dpa

Thurnau. Ramona Teufl geht mit ihrer Krankheit offen um. „Ich bin cannabisabhängig“, sagt die 35-Jährige. Seit etwa einem halben Jahr ist sie mit ihrer viereinhalbjährigen Tochter im DGD Mutter-Kind-Zentrum „Rückenwind“ in Oberfranken. Das Zentrum befindet sich neben dem Haus Immanuel, einer DGD Fachklinik für suchtkranke Frauen in Hutschdorf, einem Ortsteil von Thurnau im Landkreis Kulmbach.

In der Vergangenheit war Ramona Teufl bereits in Niederbayern und im Westerwald zu Langzeittherapien. Das Kind war damals in einer Inobhutnahmestelle des Jugendamtes. Nach einem Rückfall in der Adaptionsphase bekam Ramona Teufl einen Platz im Mutter-Kind-Zentrum in Hutschdorf. Dort kann sie die Zeit mit ihrem Kind verbringen.

„Uns gefällt es hier sehr gut“, sagt Ramona Teufl, die aus Oberbayern stammt. „Ich wollte unbedingt in Bayern bleiben. Und die ländliche Umgebung gefällt mir.“ Mit dem Vater ihrer Tochter habe sie regelmäßig Kontakt, auch wenn die Beziehung auseinandergegangen sei. Der Vater zahle Unterhalt für seine Tochter.

Einrichtung mit 60 Therapieplätzen für Frauen

Die benachbarte Fachklinik Haus Immanuel hat 60 Therapieplätze für Frauen. Die Einrichtung wurde 1907 als Suchtklinik gegründet, seit 1961 werden dort nur Frauen aufgenommen. Behandelt werden in erster Linie Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit. Im April 2023 wurde nebenan das DGD Mutter-Kind-Zentrum Rückenwind (MKZ) eröffnet. Dort gibt es zwölf Familienapartments auf zwei Etagen. Mitkommen dürfen Kinder bis 16 Jahre. Zu der Einrichtung gehört außerdem eine Kita für bis zu 28 Kinder.

Der Bau des MKZ habe rund acht Millionen Euro gekostet, sagt Gotthard Lehner, Leiter der Fachklinik und Initiator des Mutter-Kind-Zentrums. Ein Großteil des Geldes kam von Förderern wie der Oberfrankenstiftung, der Stiftung „Antenne Bayern hilft“, „Sternstunden“ oder „Ein Herz für Kinder“. Träger der Fachklinik Haus Immanuel und des MKZ Rückenwind ist der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband (DGD).

„Die Frauen haben in ihren Beziehungen oft Gewalterfahrungen gemacht“, sagt Lehner. Außerhalb des Klinikgeländes könnten sich die Mütter und Kinder mit den Vätern treffen. Oft gebe es aber keinen Kontakt mehr.

Kinder übernehmen oft mehr Verantwortung, als ihnen guttut

Viele der Kinder seien anfangs verhaltensauffällig, berichtet Monika Ohnesorge, Leiterin des MKZ Rückenwind: „Man merkt, dass sie viel mitgemacht haben.“ In manchen Familien seien die Rollen vertauscht: Wenn sich die Mütter wegen ihrer Krankheit nicht gut um sie kümmern könnten, übernähmen Kinder manchmal mehr Verantwortung, als ihnen guttue. „Wir helfen, die Rollen wieder umzukehren“, sagt die Einrichtungsleiterin.Feuerwehreinsatz weckt schlimme Erinnerungen

Vor einiger Zeit habe es in der Fachklinik einen Feuerwehreinsatz gegeben, berichtet Gotthard Lehner: „Ich dachte, die Kinder würden das aufregend finden. Stattdessen waren viele verstört. Blaulicht und Martinshorn haben bei ihnen schlimme Erinnerungen geweckt, zum Beispiel an Polizeieinsätze in der eigenen Wohnung.“

Im Mutter-Kind-Zentrum bleiben die Mütter und Kinder mindestens ein Jahr, nebenan in der Fachklinik meist 15 Wochen. „Die Entgiftung, die bereits vor dem Aufenthalt in der Fachklinik stattfindet, ist nur ein Teil der Therapie“, sagt Monika Ohnesorge. „Bei uns geht es an den Hintergrund des Konsums: Was muss sich in meinem Leben ändern?“

Eine Rückkehr ins alte Umfeld sei oft schwierig bis unmöglich: Viele der Suchterkrankten mussten ihre Wohnung aufgeben. Kommen sie wieder mit Freunden oder Partnern zusammen, mit denen sie früher Alkohol oder andere Suchtmittel konsumierten, steigt die Rückfallgefahr.

Das MKZ habe insgesamt 15 oder 16 Mitarbeitende, fast alle in Teilzeit, sagt Monika Ohnesorge. Vor allem seien es Sozialpädagoginnen, Erzieherinnen, Erziehungshelferinnen, Psychologinnen, Kinderpflegerinnen und Heilerziehungspflegerinnen. Für die Mütter stehe immer ein Ansprechpartner bereit, es gebe auch eine Nachtbereitschaft.

Mutter in Therapie, Kind in der Kita

Die Klientinnen sind am Vormittag meistens in Therapie, während der Nachwuchs in der Kita ist. Das können Gruppen- oder Einzelsitzungen, Psycho- und Sozialtherapien sowie Traumatherapien sein. Eine große Rolle spielen lebenspraktische Dinge wie Erziehungsberatung oder der Umgang mit Geld. An manchen Tagen kaufen die Frauen gemeinsam ein und kochen das Mittagessen. Es gibt im MKZ eine Bücherei und ein Spielzimmer. Im Außenbereich ist das „Atrium“, eine Art kleines Amphitheater, das aus den Steinen des ehemaligen Gebäudes der Fachklinik gebaut wurde.

Wenn die Mütter am Nachmittag ihre Kinder von der Kita abgeholt haben, geht es mit einer Mutter-Kind-Therapie weiter. Zweimal pro Woche gibt es ein Abendritual für Mütter und Kinder. „Besonders beliebt ist Kinderyoga“, erzählt Ramona Teufl. „Weil es entspannt. Die Kinder sind oft abends sehr aufgedreht. Nach dem Yoga schlafen sie besser ein.“

Viel Zeit verbringen die Frauen und Kinder an der Natur: Hutschdorf liegt idyllisch am Schnittpunkt der oberfränkischen Tourismusregionen Fränkische Schweiz, Fichtelgebirge, Frankenwald und Obermainland. Das MKZ hat außerdem einen Stall mit Alpakas. Die aus dem südamerikanischen Andenhochland stammende Kamelart sei als Therapietier sehr geeignet, sagt Gotthard Lehner: „Alpakas sind mit dem Menschen auf Augenhöhe. Sie reagieren auf ihn, laufen aber nicht auf ihn zu.“

Eingliederungshilfe und Jugendhilfe zusammengeführt

Das Konzept des MKZ sei seines Wissens bundesweit einmalig, sagt der Klinikleiter. Die Besonderheit sei, dass es zwei sozialrechtlich getrennte Komplexe zusammenführt: die Eingliederungshilfe für die suchtkranken Mütter und die Jugendhilfe für deren Kinder. „Es war sehr schwierig, das überhaupt genehmigt zu bekommen“, sagt Lehner. Hinzu komme der doppelte Abrechnungsaufwand: Die Therapie für die Mütter bezahlt die Eingliederungshilfe, den Aufenthalt der Kinder das Jugendamt.

Gotthard Lehner berichtet von einer Mutter, die als eine der ersten Bewohnerinnen im MKZ war. Telefonisch habe das zuständige Jugendamt zugesagt, die Kosten für den Aufenthalt des Kindes zu übernehmen. Das Geld sei aber bis heute nicht eingetroffen. Seit August 2023 reagiere die Behörde nicht auf Anrufe oder schriftliche Anfragen. Es gehe um 45.000 Euro.

Ihn treibe vor allem die Sorge um die Kinder suchtkranker Eltern um, sagt Gotthard Lehner: „Unser Therapiesystem ist voll auf die suchtmittelabhängige Person ausgerichtet. Die Kinder fallen hinten herunter.“ Im Haus Immanuel habe er oft Patientinnen erlebt, die beim ersten Mal mit Kind kamen, beim zweiten Mal ohne: Inzwischen hatte das Jugendamt den Nachwuchs in Obhut genommen. Gotthard Lehner spricht von „vergessenen Kindern“.

Ramona Teufl weiß ihre Tochter im MKZ Rückenwind in guten Händen und will gerne länger als ein Jahr dort bleiben. Nächstes Jahr kommt ihre Tochter vielleicht in die Schule. „Bis dahin will ich mit der Therapie fertig sein“, sagt die 35-Jährige. Sie ist gelernte Kinderpflegerin und Betreuungsassistentin für Demenzkranke und plant ihre Rückkehr in den Beruf: „Es macht mir großen Spaß, mit Kindern zu arbeiten.“ (dpa)

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