Stark gestiegene Leistungsausgaben

Krankenkassen fallen im ersten Halbjahr in riesiges Finanzloch

Die Leistungsausgaben in der GKV schießen nach oben. Für das erste Halbjahr 2024 melden die Krankenkassen ein Plus von 7,6 Prozent. Die Beitragsspirale werde sich weiter nach oben drehen, warnen die Kassen.

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Berlin. Auf 2,2 Milliarden Euro beläuft sich das Defizit der GKV im ersten Halbjahr 2024. Der Spitzenverband der 95 Krankenkassen schlägt Alarm: Die Beiträge für die GKV-Versicherten würden weiter steigen, sollte die Regierung nicht bald gegensteuern. Der durchschnittliche Zusatzbeitragssatz lag im August schon bei 1,78 Prozent.

Am Freitagabend veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die Zahlen zur Finanzentwicklung der GKV im ersten Halbjahr. Sie bestätigen, worüber die Ärzte Zeitung schon vor gut einer Woche berichtet hat: das Finanzloch bei den 95 Krankenkassen wird immer größer.

Ersatzkassen mit größtem Finanzloch

Die Finanzreserven der Kassen betrugen laut BMG zum Ende des Halbjahres rund 6,2 Milliarden Euro. Dies entspricht 0,23 Monatsausgaben, die gesetzlich vorgesehene Mindestreserve beträgt 0,2 Monatsausgaben.

Einnahmen in Höhe von 159 Milliarden Euro standen Ausgaben von 161,3 Milliarden Euro gegenüber. Bis August hatten schon 22 Krankenkassen unterjährig den Zusatzbeitragssatz angehoben.

Das größte Defizit verzeichnen die Ersatzkassen: fast 860 Millionen Euro. Die Ortskrankenkassen kommen auf einen Fehlbetrag von 721 Millionen Euro, die Betriebskrankenkassen von 366 Millionen Euro, die Innungskrankenkassen von 161 Millionen Euro und die Knappschaft von 43 Millionen Euro.

Aufwand für Klinikbehandlungen steigt um acht Prozent

Die Leistungsausgaben der Kassen stiegen zwischen Januar und Juni um 7,6 Prozent oder knapp 11 Milliarden Euro „und damit deutlich stärker als in den letzten Jahren“, schreibt das BMG. Um sogar knapp acht Prozent (3,6 Milliarden Euro) legten die Ausgaben für die Krankenhausbehandlungen zu.

Als Grund für das Plus nennt das BMG die dynamische Preiskomponente aufgrund der Veränderungswerte, steigende Fallzahlen sowie „insbesondere die Pflegepersonalkosten“, die im ersten Halbjahr „mit rund 10,9 Prozent bzw. 1,05 Milliarden Euro erneut äußerst dynamisch gestiegen“ seien. Zudem seien rund 181 Millionen Euro an Aufwendungen für Behandlungen im Rahmen der Hybrid-DRG „verbucht worden“.

Für Arzneimittel gaben die Kassen zehn Prozent oder 2,5 Milliarden Euro mehr aus. „Bei der Interpretation dieser äußerst dynamischen Entwicklung ist zu beachten, dass diese in besonderem Maße vom Auslaufen des in 2023 einmalig erhöhten gesetzlichen Herstellerabschlags von 7 auf 12 Prozent durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz geprägt ist“, schreibt das BMG.

Für ambulante Versorgung zahlen Kassen fünf Prozent mehr

Bei den ambulant-ärztlichen Behandlungen verzeichnen die Kassen ein Ausgabenplus von 5,3 Prozent beziehungsweise 1,3 Milliarden Euro. Dabei weisen vor allem die Aufwendungen für extrabudgetäre psychotherapeutische Leistungen laut BMG „überdurchschnittliche Aufwüchse auf“, nämlich ein Plus von 6,8 Prozent. Auch die Ausgaben für ambulante Operationen gemäß AOP-Katalog seien mit einem Wachstum von rund 9 Prozent „dynamischer als der Gesamtbereich gewachsen“.

Stark gestiegen sind ebenso die Ausgaben im Bereich der Behandlungspflege und der häuslichen Krankenpflege (plus 12,4 Prozent) sowie bei Vorsorge- und Rehabilitationsleistungen (plus 11 Prozent).

Der Gesundheitsfonds, der zum Stichtag 15. Januar 2024 über eine Liquiditätsreserve von rund 9,4 Milliarden Euro verfügte, verzeichnete im ersten Halbjahr ebenfalls ein Defizit: Das BMG beziffert dieses mit 6,3 Milliarden Euro. Ein Teil sei darauf zurückzuführen, dass 2024 insgesamt 3,1 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve an die Krankenkassen ausgeschüttet werden, um die Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen zu stabilisieren.

Vorschläge an Politik

Angesichts der Wasserstandsmeldung aus dem Ministerium warnte der GKV-Spitzenverband, dass die Beiträge für die Versicherten weiter ansteigen werden, sollte die Politik nicht gegensteuern. Für 2025 rechneten die Kassen schon mit einem Zusatzbeitragssatz in Höhe von mindestens 2,3 Prozent, also mit 0,6 Prozentpunkten mehr als in diesem Jahr, hieß es in einer Pressemitteilung.

Die sich abzeichnende Beitragserhöhungswelle zum Jahreswechsel könne aber noch kurzfristig abgewendet werden, wenn die Gesundheitspolitik entschlossen ein relativ schnell umsetzbares Reformpaket schnürte, sagte Verbandsvorsitzende Doris Pfeiffer. So sollte etwa die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel gesenkt werden. Das würde die Krankenversicherung um mehr als fünf Milliarden Euro entlasten.

Als „weitere Sofortmaßnahme“ verweist der Verband auf die Erhöhung der Beitragspauschalen für Bürgergeldempfänger und des Zuschusses für versicherungsfremde Leistungen. „Damit bekämen wir dann zwar noch keine langfristige Stabilität, aber es würde Gesundheitspolitik und Selbstverwaltung Luft verschaffen, um gemeinsam an den notwendigen Strukturreformen zu arbeiten. Weiterhin ein ‚Augen zu und durch‘ ist jedenfalls keine Option“, so Doris Pfeiffer. (juk)

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