Interview

Abtreibungen erlauben, aber PID verbieten: "Das ist ein Widerspruch"

Mit der Debatte des Bundestags hat das Ringen über einen Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik begonnen. Die Gentests sollen streng begrenzt oder aber verboten werden. Der Medizinethiker Professor Jan P. Beckmann spricht sich für konsistente Regelungen in allen Bereichen der Reproduktionsmedizin aus.

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© Fernuniversität in Hagen

Ärzte Zeitung: Der Bundestag steht vor der Herausforderung, trotz unterschiedlicher Werthaltungen einen Konsens zu finden. Wie ist das möglich angesichts der drei Gesetzesanträge, die von einer begrenzten Zulassung bis zu einem Totalverbot der PID reichen?

Professor Jan P. Beckmann: Normativ weisen die drei Anträge Differenzen, aber auch Gemeinsamkeiten auf. So mahnen beispielsweise PID-Gegner den Respekt vor der Menschenwürde an. Auch die Befürworter der PID führen dieses Argument an: Es verletze eben diese Würde, ohne PID die Frau der Gefahr eines Schwangerschaftsabbruchs oder einer Spätabtreibung auszusetzen.

Ärzte Zeitung: Was folgt daraus für die jetzt anstehende Gesetzgebungsarbeit?

Beckmann: Gemeinsame Normen verpflichten auf entsprechende Konsense, normative Differenzen zur gemeinsamen Suche nach Grenzziehungen. Letztere sind notwendig, gerade angesichts der Befürchtung, die PID führe zu der Aufweichung des Respekts vor der Vielfalt menschlichen Lebens.

Der gemeinsame Respekt vor der Menschenwürde verpflichtet Gegner wie Befürworter dazu, eine PID keinesfalls an totipotenten, sondern, wenn überhaupt, dann ausschließlich an pluripotenten Zellen durchzuführen.

Sodann ist der Einzelfallcharakter einer PID unbedingt zu beachten, jedwedes Screening - etwa auf Aneuploidie - müsste unterbunden werden. Vor allem aber sind wissenschaftsbasierte Kriterien zu etablieren, die eine zulässige von einer unzulässigen PID unterscheiden lassen.

Ärzte Zeitung: An welche Kriterien denken Sie dabei?

Jan P. Beckmann

Aktuelle Position: Emeritus am Institut für Philosophie der Fernuniversität Hagen

Werdegang/Ausbildung: Promotion und Habilitation an der Universität Bonn. Er lehrt seit 1979 am damals neu errichtetenInstitut für Philosophie der Fernuniversität Hagen.

Karriere: seit 2003 emeritiert; Lehrauftrag für Medizinethik am Uniklinikum EssenEr war unter anderem stellvertretendes Mitglied der Ständigen Kommission Organtransplantation bei der Bundesärztekammer.

Beckmann: Die Kriterien müssen die Schwere der Krankheitsdisposition, das Fehlen von Therapiemöglichkeiten und das Leidensmaß des bisher bekannten Verlaufs einer derartigen Krankheit berücksichtigen. Ob diese Kriterien erfüllt sind, sollte von einer eigens für die PID-Zulassung eingerichteten Kommission aus unabhängigen Fachleuten aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Recht und Ethik festgestellt werden.

Ärzte Zeitung: Gegner der PID argumentieren, dass die Anwendungsbedingungen für die Gentests sich nicht mehr einhegen lassen, wenn einmal eine begrenzte Zulassung erlaubt wurde.

Beckmann: Darum muss es außer Eingrenzungs- auch klare Ausgrenzungskriterien geben. Eine PID zum Zweck der Geschlechtsauswahl oder für die Erzeugung sogenannter "Rettungsgeschwister" stellt einen Verstoß gegen das Gebot des Respekts vor der Unverfügbarkeit frühen menschlichen Lebens dar und erscheint insoweit keinesfalls rechtfertigungsfähig.

Ärzte Zeitung: Befürworter einer begrenzten Zulassung der PID geben zu bedenken, man könne nicht die PID verbieten und in der Pränataldiagnostik alles beim alten lassen. Trägt dieses Argument?

Beckmann: Man kann nicht widerspruchsfrei die Freiheit der Schwangeren zu einem unter bestimmten Voraussetzungen erlaubten Abbruch akzeptieren und zugleich durch ein PID-Verbot in das reproduktive Selbstbestimmungsrecht der noch nicht Schwangeren eingreifen.

Es gibt einen fortbestehenden Dissens über den humanen Status des frühen extrakorporalen und damit pränidativen Embryos in vitro. Von daher gilt es, nicht nur aus Gründen der Ethik, sondern auch aus solchen der Logik auf Kohärenz mit der rechtlichen, ethischen und gesellschaftlich akzeptierten Praxis des bisherigen Umgangs mit dem pränidativen Embryo zu achten.

Diese Praxis reicht von der Akzeptanz der "Spirale" und der "Pille danach" bis hin zur Inkaufnahme "überzähliger" Embryonen aus IVF-Verfahren. Ein striktes PID-Verbot müsste die Nutzung von Antinidativa ebenso wie die IVF gleichermaßen unter Strafe stellen.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet das für den Status des Embryos?

Beckmann: Der gerade geschilderten Konsequenz entgeht nur, wer auch bei der PID den Embryo als das ansieht, als was er offenbar auch bei der Anwendung von Antinidativa oder im Falle der "Überzähligkeit" bei der IVF gilt: als bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen zum Menschen Werdendes.

Die Gesellschaft muss sich eingestehen, dass der Embryo in vitro bei allem Respekt vor seinem auf die Möglichkeit der Menschwerdung angelegten Status noch nicht als Träger der Menschenwürde angesehen werden kann, ohne diesen Begriff und den damit verbundenen Schutz zu verunklaren.

Das Gespräch führte Florian Staeck

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