Terrornacht in Paris

Ärzte mit Grenzen

Die Ärzte von Paris bekommen viel Lob für ihren Einsatz in der Terrornacht. Doch Analysen zeigen, dass noch so einiges im Argen liegt, falls es zu neuen Attacken kommen sollte.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Orientierung unmittelbar nach dem Terroranschlag: Medizinische Hilfskräfte müssen schnell und effizient reagieren.

Orientierung unmittelbar nach dem Terroranschlag: Medizinische Hilfskräfte müssen schnell und effizient reagieren.

© Laurent / dpa

PARIS. Nach den verheerenden Terroranschlägen von Paris sind Ärzte in den Medien immer wieder für ihre hervorragende Arbeit gelobt worden. Auch die in dieser Berufsgruppe extrem unpopuläre Gesundheitsministerin Marisol Touraine hat sich offiziell bedankt. Sie hat Ärzte und andere Helfer als "Helden" bezeichnet.

Innerärztlich ist aber eine größere Diskussion entbrannt. Sind Niedergelassene gut genug ausgebildet, um in solchen Ausnahmesituationen schnell reagieren zu können? Sind sie fit genug, um den Opfern auch langfristig helfen zu können?

Die professionelle Reaktion eines Pariser Hausarztes, der unmittelbar nach den Anschlägen einen Schwerverletzten auf der Straße mit Mund zu Mund-Beatmung wiederbeleben und retten konnte, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Erste-Hilfe-Ausbildung vieler Ärzte mangelhaft ist.

Ein weiterer praktischer Arzt, der sich in der Nähe eines von den Terroristen überfallenen Restaurants befand und den Verletzten sofort half, äußerte im Nachhinein Zweifel.

Er nehme zwar regelmäßig an Notdiensten im Krankenhaus teil, aber die Situation, mit der er plötzlich konfrontiert gewesen sei, habe ihm Grenzen deutlich gemacht: "Ich war allein und fühlte mich wie ein Handwerker ohne Werkzeug", sagte er.

Regelmäßige Schulungen: Fehlanzeige!

Dr. Michelle Muhlmann-Weill, ehemalige Leiterin der Straßburger Not-und Rettungsdienste, erstaunt die Ratlosigkeit vieler Ärzte nicht: Erste Hilfe wird nicht in den medizinischen Universitäten gelehrt, bedauert sie.

Die wenigen Ärzte, die eine Sanitäterausbildung haben, sollten eigentlich regelmäßig fortgebildet werden - doch das passiere eher selten. Es sei ein Fehler, die Kompetenz mit Blick auf Erste Hilfe und Rettungstechniken nur den Not-und Rettungsdiensten zu überlassen.

Muhlmann-Weill nennt Israel als aus ihrer Sicht positives Gegenbeispiel: Dort seien alle Ärzte für solche Ernstfälle gut vorbereitet, Europa sei gut beraten, diesem Beispiel zu folgen.

Die heutigen Rettungsdienste seien vor allem für Unfälle und medizinische Notfälle ausgebildet und ausgerüstet: Jetzt sollte ihre Ausbildung dringend mit den Grundsätzen der Kriegsmedizin und Kriegschirurgie ergänzt werden, fordert sie.

Dazu sollten die Rettungsdienste mit Material ausgerüstet werden, das vor ein paar Wochen noch undenkbar gewesen wäre. So forderte kürzlich das Gesundheitsministerium, Atropin als Gegenmittel bei Giftgasanschlägen an Rettungsdienste zu liefern.

Derzeit verfügen nur Militärapotheken über diese Substanzen, doch die Terroranschläge haben die Diskussionsgrundlagen in Frankreich völlig verändert.

Alte Menschen mit Kriegserfahrung sind gelassener

Auch psychologisch sind viele Ärzte nicht gut genug ausgebildet, um wirkungsvoll handeln zu können, mahnt etwa Professor Louis Crocq, Militärarzt, Psychiater und Spezialist für Menschen, die Kriegstraumata erlebt haben.

Man müsse zur Kenntnis nehmen, dass die Opfer und direkten Zeugen der Anschläge ganz anders reagieren als Menschen, die den Terror "nur" in den Medien miterlebt hätten.

Viele Menschen hätten ihre eigene Verwundbarkeit entdeckt. Die Mehrzahl der Opfer waren junge Leute und dieses Gefühl der Verwundbarkeit belaste sie besonders intensiv.

Auch weil sie aus Sicht von Crocq im Gegensatz zu vielen älteren Menschen nie solche dramatische Ereignisse miterlebt haben. Franzosen mit Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg reagieren seinen Beobachtungen zufolge deutlich gelassener.

Warnung vor Stigmatisierung

"Ganz konkret sollten wir auch versuchen, einzelne Bevölkerungsgruppen nicht zu stigmatisieren", warnt der Praktische Arzt Dr. Françis Raphaël aus Nancy : "Mein Sohn ist ein junger Arzt, und erklärt seinen Patienten, dass diese Terroristen zwar alle Muslime sind, was aber nicht bedeutet, dass alle Muslime Terroristen sind."

Raphaël, der einen der größten nationalen Fortbildungskongresse Frankreichs in Nancy organisiert, denkt darüber nach, bei dieser Veranstaltung in Zukunft stärker den Fokus auf katastrophenmedizinische Themen zu richten.

Hochrelevant wird für Ärzte auch die Frage, wie sie etwa mit Salafisten umzugehen haben, die als Patienten zur Behandlung kommen. Dr. Gilles Munier, bei der Nationalen Ärztekammer für ethische Fragen zuständig, stellt klar, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient immer Vorrang haben müsse.

Zugleich mahnt er zur Wachsamkeit. Bei einem begründeten Verdacht, sollte der Arzt nach eigenen Gewissen entscheiden, ob er Infos an die Behörden weiter geben soll. "Wir werden einen Arzt nie bestrafen, wenn er wegen Terror-Verdachts seine Schweigepflicht bricht."

Ministerin Touraine hat angekündigt, dass alle beim Terrorangriff Verletzten von Zuzahlungen befreit werden - eine nicht unwichtige Entscheidung für die Betroffenen, da stationär eingewiesene Patienten einen Teil ihres Klinikaufenthalts und der Arzthonorare selbst bezahlen müssen.

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