Appell an die Politik

Ärzte sehen Deutschland mitten in einer Diabetes-Pandemie

Die Diabetes-Gesellschaft fordert neue Impulse zum Ausbau der Primär- und Sekundärprävention: Bislang schrammten die Angebote zuverlässig an denen vorbei, die sie bräuchten.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Die Lebenswelten – angefangen bei Kitas und Schulen über die Betriebe bis hin zur Stadtplanung – müssten so ausgestaltet werden, „dass es leichtfällt, sich gesund zu ernähren und mehr zu bewegen“, fordern die Diabetologen.

Die Lebenswelten – angefangen bei Kitas und Schulen über die Betriebe bis hin zur Stadtplanung – müssten so ausgestaltet werden, „dass es leichtfällt, sich gesund zu ernähren und mehr zu bewegen“, fordern die Diabetologen.

© Goffkein / stock.adobe.com

Berlin. Diabetologen haben einen Kurswechsel in der Präventionspolitik angemahnt. Die Vorbeugung nicht-übertragbarer Krankheiten wie Diabetes sei ebenso voranzutreiben wie die Eindämmung der COVID-19-Pandemie, erklärte die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) diese Woche in Berlin. Spätestens nach der Bundestagswahl seien die Akzente in der Diabetesprävention neu zu setzen.

Neun Prozent der erwachsenen Bundesbürger seien an Diabetes Typ 2 erkrankt – „Tendenz steigend“, teilte die Fachgesellschaft mit. Diabetespatienten hätten ein erhöhtes Risiko für Folgekrankheiten wie etwa Herzinfarkt, Schlaganfall, Niereninsuffizienz oder Erblindung. Die Behandlungskosten gingen in die Milliarden Euro.

Mit gesellschaftlicher Verhältnisprävention sowie gezielter Verhaltensprävention lasse sich die Diabetes-Pandemie zumindest abbremsen. Dazu müssten die Lebenswelten – angefangen bei Kitas und Schulen über die Betriebe bis hin zur Stadtplanung – so ausgestaltet sein, „dass es leichtfällt, sich gesund zu ernähren und mehr zu bewegen“.

„Bisherige Präventionsbemühungen gescheitert“

Von dieser Prämisse sei Deutschland aber noch weit entfernt. „Alle bisherigen Präventionsanstrengungen sind gescheitert, weil sie nicht die Menschen erreichen, die sie erreichen sollten. Sonst würde die Zahl der Erkrankten nicht ungebremst steigen“, sagte DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Deswegen sei die Verhältnisprävention zu stärken, indem eine verbindliche Kennzeichnung von Lebensmitteln und eine „gesunde Mehrwertsteuer“ eingeführt werde.

Letztere habe Lebensmittel mit einem geringen Anteil an Zucker, Fetten oder Salz steuerlich zu entlasten, so Bitzer. „Nur so erreichen wir auch die sozial benachteiligten Menschen, die ein deutlich erhöhtes Risiko haben, an Diabetes zu erkranken.“ Diabetes sei keine Wohlstandskrankheit.

Auch bei der Diabetesprävention, die den Einzelnen adressiert, sieht die DDG Luft nach oben: Mittlerweile sei es möglich, die Menschen mit Prädiabetes „zuverlässig zu erkennen, die das höchste Risiko haben, einen Diabetes zu entwickeln“, sagte DDG-Vize Professor Andreas Fritsche. Für diese Hochrisikopatienten bedürfe es aber Konzepte, damit sie ihren Lebensstil „verändern sollen und können“.

„One size fits all passt nicht!“

Mittlerweile wisse die Wissenschaft, wer auf welche Präventionsmaßnahme positiv reagiere und wer nicht, so Fritsche. Dabei zeige sich: „Heute haben wir eine präventive Unterversorgung bei Hochrisikogruppen und eine Überversorgung bei jenen, die nie einen Diabetes entwickeln werden.“

Der DDG-Vize sprach von einem „Präventionsdilemma“, das bei einer Reform des Präventionsgesetzes aufzulösen sei. Die Politik müsse erkennen, dass „one size fits all in der Diabetologie nicht passt“. Zudem müsse die Politik lernen, dass Prävention nicht das Thema nur eines Ressorts sei, sondern Vorsorge Gesundheits-, Wissenschafts-, Sozial- und Landwirtschaftspolitik gleichermaßen betreffe.

Darüber hinaus sei die Sekundärprävention voranzutreiben. Menschen mit Diabetes Typ 2 lebten häufig lange mit behandlungsbedürftigen, gesundheitlichen Einschränkungen – diese nähmen im Laufe der Zeit zu und wirkten sich negativ auf die Lebensqualität aus. „Auch diese Entwicklung lässt sich durch Prävention vermeiden oder zumindest verlangsamen“, betonte Fritsche.

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Frage der Woche

Ampel-Aus – um welches Gesetzesvorhaben tut es Ihnen besonders leid?

Zentraler Impfstoffeinkauf der EU

Prozess um SMS von der Leyens mit Pfizer geht in die heiße Phase

Das könnte Sie auch interessieren
Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

© Janssen-Cilag GmbH

Video

Wie patientenzentriert ist unser Gesundheitssystem?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Höhen- oder Sturzflug?

© oatawa / stock.adobe.com

Zukunft Gesundheitswesen

Höhen- oder Sturzflug?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

© MQ-Illustrations / stock.adobe.com

Digitalisierung

Patientenzentrierte Versorgung dank ePA & Co?

Kooperation | In Kooperation mit: Janssen-Cilag GmbH
Expertenkonsensus zum B12-Mangel

© MP Studio / stock.adobe.com

Aktuelle Empfehlungen:

Expertenkonsensus zum B12-Mangel

Anzeige | Wörwag Pharma GmbH & Co. KG
Kommentare
Abb. 1: Design der CASPAR-Studie

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [2]

Diabetische Polyneuropathie

Capsaicin-Pflaster: Wirkung kann bei Mehrfachanwendung zunehmen

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Grünenthal GmbH, Aachen
Abb. 1: Empfohlene Messfrequenz von geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) und Urin-Albumin-Kreatinin-Verhältnis (UACR) sowie Therapieindikation

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [9, 11, 12]

Kardiorenaler Schutz bei Typ-2-Diabetes mit chronischer Nierenerkrankung

Frühe Diagnostik und leitliniengerechte Risikosenkung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Bayer Vital GmbH
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Steuern

Pflicht zur E-Rechnung – was auf Ärzte jetzt zukommt

Gastbeitrag

Infertilität: Was bringt gesunder Lifestyle?

Lesetipps
Ein Mann hat Kopfweh und fasst sich mit beiden Händen an die Schläfen.

© Damir Khabirov / stock.adobe.com

Studie der Unimedizin Greifswald

Neurologin: Bei Post-COVID-Kopfschmerzen antiinflammatorisch behandeln

Der gelbe Impfausweis

© © mpix-foto / stock.adobe.com

Digitaler Impfnachweis

eImpfpass: Warum das gelbe Heft noch nicht ausgedient hat