Coronavirus-Pandemie

Ärzte sehen ÖGD als personell ausgeblutet an

Spahns zweites Pandemie-Gesetz erreicht den Bundestag. Am Montag befasste sich der Gesundheitsausschuss damit. Ein zentrales Thema: die bundesweit 375 Gesundheitsämter.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:
Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg. Die schlechte Ausstattung der Gesundheitsämter haben Ärzte bei der Anhörung zum zweiten Pandemie-Gesetz im Gesundheitsausschuss beklagt.

Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg. Die schlechte Ausstattung der Gesundheitsämter haben Ärzte bei der Anhörung zum zweiten Pandemie-Gesetz im Gesundheitsausschuss beklagt.

© Robert Schlesinger / dpa

Berlin. Vor dem Hintergrund der Coronavirus-Pandemie haben Ärzte die teils unzureichende personelle Ausstattung im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) beklagt. „Wir haben innerhalb der letzten acht bis 15 Jahre ein Drittel der Ärzte im ÖGD verloren“, sagte die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. Susanne Johna, bei einer Anhörung des Bundestags-Gesundheitsausschusses zum zweiten Pandemie-Gesetz der Bundesregierung am Montagvormittag.

Es gäbe mittlerweile Gesundheitsämter „die ganz ohne Ärzte auskommen müssen“, kritisierte Johna. Eine „unattraktive“ Bezahlung sei Grund dafür, dass das Berufsfeld ÖGD für den ärztlichen Nachwuchs „unattraktiv“ geworden sei. „Der größte Handlungsbedarf zur Stärkung des ÖGD liegt also darin, dass die kommunalen Arbeitgeber jetzt endlich die Hand reichen müssen, um faire Vergütungsbedingungen für Ärztinnen und Ärzte im ÖGD zu verhandeln.“

Unattraktive Bezahlung kritisiert

Derzeit würden Ärzte aus dem Medizinischen Dienst die Gesundheitsämter bei der Bewältigung der Corona-Krise unterstützen, sagte Johna. „Das ist sehr erfreulich.“

Allerdings würden die Kollegen der Medizinischen Dienste als Fachärzte mit etwa 6500 Euro eingruppiert, die Kollegen aus dem ÖGD mit 1600 Euro weniger. „Da brauchen wir uns nicht weiter fragen, wo der größte Handlungsbedarf ist.“

Finanzspritze nur „Tropfen auf den heißen Stein“

Die Gesetzespläne von Union und SPD sehen unter anderem eine Finanzspritze von 50 Millionen Euro für die 375 Gesundheitsämter vor. Damit soll vor allem die Digitalisierung vorangebracht werden. Das Robert Koch-Institut soll eine Kontaktstelle für den ÖGD mit zusätzlichen 40 Stellen bekommen. Die Bundesregierung hatte zudem angekündigt, 105 mobile Teams zu schulen, die Gesundheitsämter beim Nachverfolgen von Infektionsketten unterstützen können.

„Wir begrüßen, dass da mehr Geld vorgesehen ist. Aber es ist sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, kommentierte Dr. Ute Teichert, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). Nötig seien „langfristige“ Finanzmittel, um die Gesundheitsämter zu stärken und diese digital besser aufzustellen.

Landkreistag: Amtshilfe des Bundes kontraproduktiv

Kritik äußerte auch der Deutsche Landkreistag (DLT). Skeptisch bewerte man vor allem die vorgesehenen Regelungen zur Amtshilfe durch den Bund, ließ der kommunale Spitzenverband am Montag verlauten.

„Der öffentliche Gesundheitsdienst ist geprägt von einer Kompetenz der Landkreise und kreisfreien Städte und einer übergreifenden Verantwortung der Länder. Dieser Verantwortung sind Länder und Kommunen in den vergangenen Wochen in herausragender Weise nachgekommen“, sagte DLT-Präsident Landrat Reinhard Sager. Dieses „Erfolgsmodell“ dürfe nicht durch weitere „direkte Kooperationsformen zwischen Bund und Kommunen“ erschwert werden. „Der Hebel sollte nicht an der falschen Stelle angesetzt werden. Sonst schadet das eher.“

Wenig hilfreich sei auch die geplante Änderung am Infektionsschutzgesetz, wonach die Gesundheitsämter verpflichtet werden sollen, Informationen zu genesenen Personen und negative Labortests zu melden. „Wir finden, dass der Gesetzentwurf an dieser Stelle über das Ziel hinausschießt“, kommentierte Sager. „Das gelte erst recht, „wenn sich das Infektionsgeschehen wieder verstärken sollte“.

KBV sieht keine Parallelstrukturen

Dass mit der Stärkung des ÖGD Parallelstrukturen zum vertragsärztlichen Bereich entstehen könnten, wollte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, nicht unterschreiben. „Das ist sicherlich zunächst einmal nicht zu befürchten.“ „Gewisse Probleme“ habe man aber mit Formulierungen, die sich so interpretieren ließen, als wolle der Gesetzgeber Befugnisse des ÖGD in die Vertragsärzteschaft hinein ausweiten. „Das lehnen wir ab.“

Vertragsärzte spielten in der Pandemie eine zentrale Rolle, hob Gassen hervor. Sechs von sieben COVID-19-Patienten würden in den Praxen behandelt. „Deshalb musste nur ein sehr kleiner Teil der Patienten in die Krankenhäuser, und deshalb sind wir in unserem Gesundheitssystem auch zu keinem Zeitpunkt an die Belastungsgrenze gekommen“, unterstrich der KBV-Chef. Es brauche eine „klare Zuordnung“ der Aufgaben von ÖGD einerseits und der der Vertragsärzteschaft andererseits.

Merkel virtuell zu Besuch beim Gesundheitsamt im Harz

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich am Montagnachmittag bei Vertretern des Gesundheitsamtes im Harz per Videokonferenz über die Arbeit der Mitarbeiter informieren. Merkel hatte zuletzt mehrfach die Bedeutung des ÖGD bei der Bekämpfung der Pandemie betont.

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