Extraschicht

Ärzte werden im Trend mehr beansprucht

Veröffentlicht:

BERLIN. Niedergelassene Ärzte werden in den kommenden Jahren angesichts des demografischen Wandels mehr von ihren Patienten in Anspruch genommen.

Einzelne Facharztgruppen und Regionen werden besonders betroffen sein, heißt es in einer Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI). Dabei haben Wissenschaftler in einer Modellrechnung bis zum Jahr 2035 untersucht, wie sich der zusätzliche relative Zeitaufwand für die Patientenversorgung entwickelt, differenziert nach Kreisen und kreisfreien Städten.

Im Bundesdurchschnitt wächst die Belastung am stärksten bei Urologen (23 Prozent), Augenärzten (20 Prozent) und Fachinternisten (15 Prozent). Für Hausärzte steigt der Zeitaufwand im Schnitt um neun Prozent. Für die Berechnung hat das ZI einen "Beanspruchungsindex" neu konzipiert. Dabei wird die Arztarbeitszeit je GKV-Fall in Minuten nach Fachgruppen auf Basis der Bevölkerungsprognose regionalisiert fortgeschrieben.

Zuwanderungsregionen wie die Großräume München, Berlin oder Frankfurt lockten vor allem Jüngere an, sodass dort das Durchschnittsalter weniger stark steigt. Hingegen benötigen die Älteren in Abwanderungsregionen mehr Arztzeit - und nur bei starkem Rückgang der Bevölkerung sinkt dort auch die Beanspruchung der Vertragsärzte.

Aus Sicht von ZI-Geschäftsführer Dr. Dominik von Stillfried zeige der Index, dass "heutige Vorstellungen davon, welche Region über- oder unterversorgt sind, mit Blick auf die nahe Zukunft auf den Prüfstand gehören". (fst)

Jetzt abonnieren
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

EvidenzUpdate-Podcast

Prävention und der Koalitionsvertrag – Ignoranz oder Feigheit?

Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 12.06.201621:35 Uhr

Zukunft der Vertragsärzte - ZI oder "Orakel von Delphi"?

Dieser Bericht in der Ärzte Zeitung gibt die Analyse des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) nur lückenhaft und ungenau wieder.

Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (ZI) will aufzeigen, wie viel Prozent mehr Arzt-Arbeitszeit pro Patient von vertragsärztlich tätigen Haus- und Fachärzten in Zukunft gebraucht wird, um eine älter werdende Gesellschaft (demografischer Faktor) und einen erheblichen Zuzug (Migrationsfaktor) in Deutschland ausreichend in der ambulanten Medizin abzubilden und zu versorgen.

Dabei sind die Ausgangsdaten mehr als dürftig. Knapp 150.000 Vertragsärzte gibt es in der ambulanten Praxis, in MVZ''S und in Kliniken mit Ermächtigung. Niemand will wissen, wie viele oder wenige davon als Teilzeitkräfte, auf Stundenbasis oder überwiegend eher privatärztliche Sprechstunden (IGeL) abhalten. Die KV des Saarlandes hatte eine veraltete Satzung aufheben müssen, nach der eine einzige Kassenarzt-Sprechstunde pro Woche (?) ausreichend gewesen sei.

Hinzu kommt, dass wegen Budgetierung, Deckelung des Gesamthonorars, Wirtschaftlichkeitsgebot nach Paragraph 12 SGB V viele zeitaufwändige Leistungen o h n e Honorarabrechnung erfolgen. Beispiel: EBM-Ziffer 03230, Beratung bei relevanter Erkrankung, mindestens 10 Minuten für 9,00 €, fällt bei Multimorbiden grundsätzlich mehrfach im Quartal an. Diese GOP 03230 ist aber derart gedeckelt und budgetiert, dass sie bei der Gesamtheit aller GKV-Patienten auch in einer beratungsintensiven Praxis nur bei 50 Prozent aller Ratsuchenden überhaupt tatsächlich abgerechnet werden kann!

Der jetzige zeitliche Konsultations- und Beratungs-Aufwand wird in der primärarztlichen Hausarztmedizin (Hausärzte, allgemeinärztlich-internistisch-pädiatrische-gynäkologische Bereiche) nur maximal zu 70 Prozent abgebildet. 30 Prozent bleiben ohne Umsatzhonorar, insbesondere wegen der restriktiven EBM-GOP 03230-Regel.

Dies berücksichtigt die ZI-Analyse Medizin- und Versorgungs-bildungsfern gar nicht erst. Sondern fantasiert im Elfenbeinturm ohne solide Empirie, Sinn und Verstand mit sozialwissenschaftlichen und bevölkerungs- bzw. krankheitsepidemiologischen Luftnummern!

Ein Beispiel: Wie sollen denn "Frauenärzte in Zukunft voraussichtlich weniger beansprucht werden. Weil es immer weniger junge Menschen geben werde, sinke die Beanspruchung von Kinderärzten und Gynäkologen um durchschnittlich 10% bis zum Jahr 2035, so das ZI". Auch dem ZI sollte geläufig sein, dass Frauenärzte Geburtshilfe u n d Gynäkologie machen. Diese Patientinnen werden immer älter, multimorbider, die Brustkrebs-Problematik bzw. Krebsinzidenz allgemein nimmt weiter zu. Kinder, liebe ZI-Pseudostrategen, werden dann weiterhin von Residenten wie Migranten geboren, und das ist auch gut so!

Rein affirmatives Kaffeesatz-Lesen ist dazu die Interpretation von Prof. David Klemperer/Regensburg: „So werden die Menschen in Deutschland zwar älter, bleiben dabei aber gesünder. Bei den Geringverdienern besteht eine um 15 Jahre niedrigere gesunde Lebenserwartung im Vergleich zu den Vielverdienern (56,8 versus 71,1 Jahre) – eine Chance zur Verbesserung der Bevölkerungsgesundheit, welche die Politik nutzen kann und sollte: zum Beispiel durch Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit und der Minderung der Einkommensungleichheit".

Uns Ärztinnen und Ärzten in Deutschland geht es doch mehr um kranke Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene, Senioren und Alte Kranke, Multimorbide, Sterbende, Benachteiligte, Geringverdiener und bio-psycho-sozial Ge- bzw. Beschädigte, als um gesunde, fitte und reiche Bildungsbürger-Senioren, die den Arzt unter ständiger Prävention nur kurz vor ihrem Lebensende brauchen.

Mf + kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Quellen
http://deutsch.medscape.com/artikelansicht/4904969?nlid=106309_3122
und
"Zukünftige relative Beanspruchung von Vertragsärzten – Eine Projektion nach
Fachgruppen für den Zeitraum 2020 b

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Sterile Knochenentzündungen

Chronische nicht-bakterielle Osteitis: Erstmals Empfehlungen formuliert

Lesetipps
Dorian Recker

© Stefan Durstewitz

Gegen Verschwendung

Warum ein Kardiologe Kunstwerke aus Müll macht