Streit spitzt sich zu

Ärzte wollen Praxen schließen

Die Ärzte rüsten im Honorarstreit auf - und drohen mit verschlossenen Praxistüren. Die Verbände sehen sich durch ihre Urabstimmung bestätigt - genau die ziehen aber die Kassen in Zweifel. Derweil wird nach Wegen zum Kompromiss gesucht.

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"Praxis heute geschlossen" - hängt dieses Schild bald bei vielen Ärzten?

"Praxis heute geschlossen" - hängt dieses Schild bald bei vielen Ärzten?

© ill

BERLIN (sun/vdb/iss/di). Am Samstag geht es im Honorarstreit in die nächste Verhandlungsrunde zwischen GKV-Spitzenverband und Kassenärztlicher Bundesvereinigung.

Die Ärzteverbände rüsten bereits jetzt auf und drohen mit Praxisschließungen. Sie begründen das mit einer Urabstimmung unter den Ärzten.

Dafür befragten 30 Ärzteverbände etwa 103.000 Mitglieder, ausgenommen Rentner. "Im Honorarstreit mit den Krankenkassen sprechen sich rund 75 Prozent der niedergelassenen Ärzte dafür aus, ihre Praxen aus Protest zu schließen", teilte die Allianz deutscher Ärzteverbände am Donnerstag in Berlin mit.

Urabstimmung - das notwendige Quorum liegt bei 75 Prozent

Aus dem Recht auf Koalitionsfreiheit und der Tarifautonomie - die es für Vertragsärzte, die zwangsweise in einer KV als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert sind, nicht gibt - haben freie Ärzteverbände den Begriff der Urabstimmung über Streikmaßnahmen übernommen. In Gewerkschaftssatzungen ist vorgesehen, dass einem regulären Streik eine Urabstimmung vorausgeht. Danach ist ein Streik nur möglich, wenn mindestens 75 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder dieser Form des Arbeitskampfes zugestimmt haben. Diese Voraussetzung gilt nicht für kurze Warnstreiks.

Gemessen daran erfüllt das Votum der Ärzte nicht die Bedingungen einer Urabstimmung. Wie auch weitere Merkmale eines Arbeitskampfs fehlen: etwa die Aussperrung durch Arbeitgeber. (HL)

Die Urabstimmung hatte eine Rücklaufquote von 49,19 Prozent. Davon stimmten wiederum 75 Prozent für Praxisschließungen. Nicht aus allen Regionen lagen absolute Zahlen vor.

Den GKV-Spitzenverband beeindruckte die Urabstimmung daher kaum: Rund 37.500 der befragten Ärzte stimmten für Streik, rechnete er nach. Das entspreche 25 Prozent aller niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten.

Demnach habe nur jeder vierte Arzt für Praxisschließungen gestimmt, so der GKV-Spitzenverband.

Dr. Dirk Heinrich, Sprecher der Allianz deutscher Ärzteverbände, betonte, dass es zwar keine "amtliche" Urabstimmung mit festen Regularien gewesen sei, sie spiegele aber ein sehr umfassendes Meinungsbild wider.

Verhandlungen laufen weiter

Die Ärzteverbände kündigten an, die Ergebnisse der Verhandlungsrunde vom Samstag Anfang der kommenden Woche diskutieren zu wollen. "Wann und in welcher Form es zu Streik kommt, können wir jetzt noch nicht sagen", so Heinrich.

KBV-Chef Dr. Andreas Köhler betonte, er hoffe, dass in der Verhandlung "am Samstag ein akzeptables Ergebnis" erlangt werde, "mit dem auch die Verbände zufrieden sind".

Tatsächlich laufen die Abstimmungen im Hintergrund weiter. Nach Informationen der "Ärzte Zeitung" verständigten sich die KVen am Donnerstag auf eine mögliche Kompromisslinie für die Verhandlungen mit den Kassen.

Danach sollen sie regional unterschiedlich stark von einer Honorarerhöhung deutlich über 0,9 Prozent profitieren.

Auch Ökonomen erwarten insgesamt einen höheren Honorarzuwachs als die bislang beschlossenen 270 Millionen Euro.

Nach Ansicht von Professor Rainer Riedel müsste mindestens der Ausgleich der Kostensteigerung bei Personal- und Sachkosten erreicht werden.

Das ergäbe letztlich ein Plus von 1,5 Prozent, sagt der Leiter des Studiengangs Medizinökonomie an der Rheinischen Fachhochschule Köln.

Riedel warnt davor, die Tätigkeit in der niedergelassenen Praxis noch unattraktiver zu machen. Er verweist auf die Diskrepanz zwischen der Vergütung der Hausärzte und den an sie gerichteten Erwartungen.

Riedel: "Mit etwa 21 Euro pro Hausbesuch bekommt ein Hausarzt weniger als der Klempner, der ins Haus kommt, um den tropfenden Wasserhahn zu reparieren." Das dürfe nicht sein.

Anspannung im Norden

So zeigt sich auch im Norden der Unmit: In Bad Segeberg fehlt das Verständnis für die Kassenlinie in den Honorarverhandlungen.

Die Diskussion in der aktuellen Abgeordnetenversammlung der KV Schleswig-Holstein machte deutlich, dass sich die Partnerschaft in der Selbstverwaltung mitten in einer Zerreißprobe befindet - und man dennoch hofft, dass die Kassen ihre Haltung ändern.

"Ich habe noch nie erlebt, dass Krankenkassen ein ernsthaftes Interesse an guter Versorgung haben", stellte der Abgeordnete Michael Sturm fest.

Sein Kollege Dr. Carsten Heinemeier verlangte "Schluss mit Taktieren", schließlich stünde den Kassen über ihr aktuelles Finanzpolster ausreichend Geld zur Verfügung, um die Ärzte angemessen zu bezahlen.

Und Björn Steffensen drohte: "Wenn es den Kassen finanziell mal schlechter geht, werden auch wir keine Rücksicht mehr nehmen."

Drei Hausärzte, deren Aussagen die Stimmung in der Ärzteschaft widerspiegeln. Für die gewählten Vertreter, die sich mit den Kritisierten an den Verhandlungstisch setzen müssen, keine einfache Situation.

"Unter Partnern geht man anders miteinander um"

Dass die GKV-Vertreter sich nicht scheuen, Ärzte in der Öffentlichkeit als korrupt und habgierig darzustellen, hält KV-Chefin Dr. Monika Schliffke für einen schweren Fehler, der nachwirken wird: "Die GKV hat uns ins Mark getroffen."

Dies bestätigt auch Kammerpräsident Dr. Franz Bartmann, der den Unmut der Ärzte für "absolut berechtigt" hält.

"Es geht auch um die Wertschätzung der ärztlichen Arbeit durch die Kassen. Dem Spitzenverband ist offensichtlich das Gespür dafür abhanden gekommen, dass er es mit Vertragspartnern zu tun hat. Unter Partnern geht man anders miteinander um", sagte er.

Schliffke machte deutlich, dass die Ärzte weiter an einem guten Verhandlungsklima interessiert sind.

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Kommentare
Angelika Christina Oles-Guhl 14.09.201207:45 Uhr

Zusammenhalt demonstrieren!

Als momentan seit über 3 Jahren nicht mehr niedergelassene FÄ für Haut- und Geschlechtskrankheiten habe ich zwar nicht den genauen "Ärger" im Blickfeld, kann mich aber gut daran erinnern als die 1. Streikwelle vor ein paar Jahren anstand. Damals beteiligte ich mich aus verschiedenen Gründen nur indirekt am Streik (Ankündigung und verkürzte Sprechstundenzeiten), obwohl ich eigentlich dahinter stand. Nach reiflicher Reflektion entschied ich, dass man Alles von mehreren Seiten betrachten müsse und begnügte mich damit, meine IGEL aus zu weiten... In Sachsen- Anhalt gab es so gut wie keine Privatpatienten, die Hautuntersuchungen mussten auch "umsonst" erbracht werden, ich fügte mich in mein Schicksal ;-(.
Heute würde ich anders agieren: nur durch absoluten Zusammenhalt kann etwas bewegt werden. Und um auch regiopnale Unterschiede aus zu gleichen (ein ostdeutscher Arzt ist mindestens so gut wie ein westdeutscher), benötigt es meiner Meinung nach des Zusammenwirkens aller, oder zumindest der Mehrheit der Ärzte. Die Brisanz des Themas wird schon durch die hohe Wahlbeteiligung bewiesen, oder?
In diesem Sinne
mfkG
Angelika Oles- Guhl

Dipl.-Med Wolfgang Meyer 13.09.201221:29 Uhr

Politischer Wille

Wer nach den Verlautbarungen der letzten Tage noch daran zweifelt, daß die Handlungsweise der GKV dem politischen Willen in "diesem unseren Lande"(R.Mey)entspricht, darf getrost als blauäugig tituliert werden. Auch wenn ich als Psychotherapeut keine Veranlassung sehe, meine Praxis für die 20 Patienten pro Woche zu schließen, denen ich in einer antragsgenehmigten Therapie begegne, so fühle ich mich doch solidarisch mit jedem meiner Kollegen, der dies für sich in Erwägung zieht. Ich fände es mehr als mutig und sähe darin ein "Zeichen" gegenüber den "herrschenden Kasten" in unserem Gesundheitssystem, daß sie vorsichtig sein sollten, den Bogen nicht zu überspannen. Aber dies gilt wohl für unsere gesamte Arbeitswelt, in der ein Ton und Umgangsformen um sich greifen, die so nicht weiter toleriert werden dürfen!

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