Bundesverband Internetmedizin
"Apps werden zu digitalen Wettbewerbern für Ärzte"
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf die Arztpraxis von morgen aus? Dr. Markus Müschenich vom Bundesverband Internetmedizin erklärt im Interview mit der "Ärzte Zeitung", welche Änderungen er erwartet – und warum Roboterprogramme zur echten Konkurrenz für Ärzte werden könnten.
Veröffentlicht:Ärzte Zeitung: In Sachen Digitalisierung sieht es oft nach einem schleichenden Wandel aus: Vieles ist noch nicht ausgereift oder wird vom Endverbraucher nur bedingt angenommen – oder täuscht das?
Dr. Markus Müschenich: Das mag für den Augenblick gelten. Sobald es aber die nächste "Killerapplikation" gibt, bekommt der Markt eine entscheidende Dynamik. Das hört sich zunächst dramatisch an. Meint aber eigentlich nur eine Technologie, die den bereits vorhanden Ideen zum Durchbruch verhilft.
Ein Beispiel: Quelle war als Versandhaus klasse, aber in der Konsumwelt dennoch nur noch nachgeordnet. Die Killerapplikation war dann das Internet und Amazon hat dies genutzt, um den Versandhandel zu revolutionieren.
Was könnte das übertragen für den Gesundheitsbereich sein?
Dr. Markus Müschenich
Aktuelle Position: Dr. Markus Müschenich ist Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin. Er ist Vorstand des Bundesverbands Internetmedizin und Gründer von "Flying Health – die Startup-Manufaktur".
Werdegang: Medizinstudium in Münster und Düsseldorf (1981-1987), Masterstudium Public Health (1995-1998), 2012: Gründung von "ConceptHealth – Der Berliner Think Tank für die Gesundheitswirtschaft".
Müschenich: Auch im Gesundheitsbereich gibt es viele Möglichkeiten der Informationsverarbeitung: Algorithmen für Leitlinien und künstliche Intelligenz, wir haben ständig unser Smartphone in der Hand und sind bestens vernetzt. Das scheint aber nicht zu reichen. Es fehlt etwas, das die Verbindung schafft und die Nutzbarkeit noch viel einfacher macht.
Was meiner Ansicht nach den Medizinsektor revolutionieren wird, sind die sogenannten Bot-Technologien. Wir sehen bereits die ersten Start-Ups mit Programmen, bei denen per Text Sätze und Fragen eingegeben werden können, etwa "Ich habe Husten".
Und es folgen Fragen wie: Wie lange? Welches Geräusch macht der Husten? Rauchen Sie? Haben Sie Asthma? Aufbauend auf Algorithmen – im besten Fall basierend auf den Leitlinieninformationen – folgt dann eine Reaktion. Da wird also Expertenwissen aufgebaut, mit dem sich User unterhalten können – ohne echte Gesprächspartner.
Und zwar so gut, dass man nicht mehr einfach sagen kann: Das stimmt nicht. Diesen qualifizierten und zudem hochwertigen medizinischen oder pharmazeutischen Rat können die Nutzer zudem Tag und Nacht bekommen.
Nach meiner Einschätzung wird es noch zwei bis drei Jahre dauern, bis solche textbasierten Bots marktreif sind. Und kurze Zeit später wird es dann auch die sprachbasierten Programme geben.
Ist das nun ein echter Vorteil für die Versorgung von Patienten mit Gesundheitsproblemen?
Müschenich: Das wird sich zeigen. Tatsache wird aber sein, dass solche Bots in naher Zukunft kommen und den medizinisch-pharmazeutischen Dienstleistungssektor massiv verändern werden. Die Basistechnologie wird bereits von Facebook zur Verfügung gestellt.
Wenn wir uns zudem die digitalen Technologien generell ansehen, dann sind sie davon gesteuert, was der Endverbraucher will. Und der will es zunehmend schnell und unkompliziert.
Was mir dabei Sorgen macht, ist allerdings, dass diese Bots von neuen Firmen aus ganz anderen Branchen jenseits von Offizin und Praxis entwickelt werden, deren Seriosität wir noch nicht kennen. Es entstehen möglicherweise Abhängigkeiten, deren Folgen wir noch nicht einschätzen können.
Wie können sich Ärzte darauf einstellen?
Müschenich: Mittlerweile gibt es validierte zertifizierte Apps, die Diagnosen stellen können. Wenn ein Patient nachts den Verdacht einer Herzrhythmusstörung hat, kann er heute via App feststellen, wie es um ein Herz bestimmt ist und dann entscheiden, ob er sich in die Notaufnahme eines Krankenhauses begibt.
Das sind dann keine Fitness-Anwendungen, sondern Medizinprodukte, die Diagnosen stellen, die früher nur in einer Arztpraxis gestellt werden konnten. Mit solchen Apps wird erstmals klar, dass für die Ärzteschaft digitale Wettbewerber auf den Markt kommen.
Wettbewerber, die ohne Terminvereinbarung oder Wartezeit Tag und Nacht verfügbar sind. In einigen Jahren wird es ein breites Portfolio solcher Anwendungen geben, die dank der eingebauten künstlichen Intelligenz ohne Qualitätseinbuße Krankheiten arztfrei und online diagnostizieren können.
Der Kampf im Wettbewerb um Qualität und vor allem um die Vergütung einer solchen Leistung wird ungleich und hart werden. Diesen Entwicklungen wird sich die Ärzteschaft stellen müssen und überlegen, wo sie besser sein kann als solche Hochleistungs-Apps. Damit sollte sie besser heute als morgen beginnen und nicht mit einem falschen Selbstbewusstsein behaupten, vollständig unersetzbar zu sein.
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