Weltgesundheitsversammlung
COVID-19 – eine Pandemie, die die Welt zusammenschweißt?
Von der ersten virtuellen Weltgesundheitsversammlung in der Geschichte der WHO könnte ein wegweisender Impuls zur Reform der angeschlagenen Organisation ausgehen – ein Weg nicht nur mit politischen Imponderabilien.
Veröffentlicht:Genf. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nur eine Marionette Chinas? Das war der vorerst wohl stärkste Vorwurf, den US-Präsident Donald Trump diese Woche in Richtung Genf geäußert hat. Dort fand – durch die COVID-19-Pandemie bedingt – die erste virtuelle Weltgesundheitsversammlung statt.
Bereits seit Mitte April schießt Trump scharf gegen WHO-Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus und beschuldigt ihn, durch das Missmanagement der WHO seien zu viele US-Bürger Opfer von SARS-CoV-2 geworden. Am Montagabend gab er Tedros eine Galgenfrist von 30 Tagen für eine Runderneuerung der WHO, die auch den Interessen der USA zu dienen habe – sonst dürften keine Gelder der US-Steuerzahler mehr in die WHO fließen, und die USA würden den Austritt aus der UN-Sonderorganisation erwägen.
USA stützen Resolution
Die Corona-Pandemie und die Kritik der USA streuen damit Salz in eine klaffende Wunde der WHO. In den Jahren 2013 bis 2016 hatte die Organisation mit ihrem Missmanagement während der Ebola-Pandemie in Westafrika bereits ihren absoluten Tiefpunkt erreicht. Damals stieß Tedros‘ Amtsvorgängerin Dr. Margaret Chan bereits interne Reformen an, um die Krisenreaktionsgeschwindigkeit der WHO zu erhöhen.
Nun soll eine maßgeblich von der EU im Benehmen unter anderem mit China eingebrachte Resolution den Weg für einen Neustart freimachen. Alle WHO-Mitgliedstaaten stimmten der Resolution zu – auch die USA.
Beim kritischen Blick in den siebenseitigen Resolutionstext sucht der Leser indes vergeblich nach dem Wörtchen „Reform“. Tatsächlich ist die Resolution in erster Linie ein Aufruf zum gemeinsamen Handeln angesichts der Pandemie. So soll der WHO-Generaldirektor so schnell wie möglich in Absprache mit den Mitgliedstaaten eine schrittweise, unabhängige, unparteiische und umfassende Evaluation der Maßnahmen in Auftrag geben. Sie soll die Erfahrung mit den vorhandenen WHO-Instrumenten zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie bewerten. Die Evaluation solle dann Empfehlungen ableiten, wie die globale Pandemie-Prävention optimiert werden könne.
Die Resolution greift auch die vielfach diskutierte Priorisierung bei der globalen Distribution von Vakzinen, Diagnostika und Therapeutika gegen SARS-CoV-2 auf. Sie spricht sich für einen gerechten, fairen und bezahlbaren Zugang zu Medikamenten, Impfstoffen und Diagnostika als Antwort auf SARS-CoV-2 aus – inklusive einem freiwilligen Pooling und einer Lizenzierung von Patenten. Mehrere Weltverbände der forschenden Arznei- und Diagnostika-Industrie haben den Vorstoß bereits in einem gemeinsamen Statement begrüßt. Die Organisation Ärzte ohne Grenzen kritisiert dagegen, „dass es an verbindlichen Regeln und durchsetzbaren Verpflichtungen fehlt“. Von den USA, die der Resolution zunächst zugestimmt hatten, kam laut Medienberichten im Nachhinein ebenfalls Kritik an den Forderungen zum freiwilligen Pooling der Patente.
Politisches Leichtgewicht EU?
Per Videoschalte bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Rahmen ihres Beitrags zur Weltgesundheitsversammlung indes die aus ihrer Sicht notwendige Reform der WHO. Diese sei „die legitimierte globale Institution, bei der die Fäden zusammenlaufen. Weil das so ist, müssen wir immer wieder prüfen, wie wir die Abläufe in der WHO weiter verbessern können“, so Merkel.
Doch auf dem Weg zur WHO-Reform lauern noch zahlreiche Imponderabilien. Nach dem erfolgreichen Einsatz der EU für die gemeinsame Resolution stellt sich auf Dauer die Frage, welches politische Gewicht die Europäer als Verfechter des Multilateralismus beim Pandemie-Management in die Waagschale werfen können, und ob dieses ausreicht, um chinesische und US-amerikanische Interessen austarieren zu können.