Folgen der Pandemie

Corona-Einschränkungen für Menschen mit Behinderung besonders hart

Isolation und das Umschalten auf Digitales macht die Corona-Krise für viele Behinderte besonders belastend. Andere Missstände werden währenddessen nicht kleiner - etwa sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder mit Behinderung.

Von Basil Wegener Veröffentlicht:
Eine Rollstuhlfahrerin fährt in einer Wohngemeinschaft einen Flur entlang zu ihrem Zimmer.

Corona macht einsam: Viele Menschen mit Behinderung müssten sich derzeit noch stärker von anderen zurückziehen, weil sie zu den Corona-Risikogruppen zählen.

© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Berlin. Die Corona-Einschränkungen treffen Menschen mit Behinderung oft besonders hat. „Ein Beispiel sind die Anwendungen für Video-Konferenzen, die für Menschen mit Seh- und Hörbehinderungen eine große Herausforderung sind“, sagte der Bundesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, der Deutschen Presse-Agentur. An diesem Dienstag findet eine von Dusel initiierte große EU-Veranstaltung zur Lage der Menschen mit Behinderung statt. Ein zentrales Thema: Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Viele Menschen mit Behinderung müssten sich derzeit noch stärker von anderen zurückziehen, weil sie zu den Corona-Risikogruppen zählten. „Die Gefahr von Isolation und psychischen Belastungen ist deutlich höher, insbesondere in den Einrichtungen.“ Menschen mit Hörbehinderungen könnten wegen der Masken schlechter kommunizieren. Viele Infos zur Krise etwa im Fernsehen gebe es nicht in Gebärdensprache.

Familien mit Kindern mit Behinderung stünden vor Herausforderungen beim Thema Homeschooling und Versorgung. Dusel mahnte, Inklusion sei „kein Schönwetter-Konzept“.

Gewalt gegen Behinderte angeprangert

Alarm schlug Dusel unabhängig von der Pandemie wegen Gewalt gegen Frauen und Kinder mit Behinderung. „Besonders betroffen sind gehörlose, blinde und körperbehinderte Frauen“, sagte Dusel. „Auch Kinder mit Behinderungen sind deutlich mehr von Gewalt betroffen.“

Frauen mit Behinderungen seien fast doppelt so häufig Opfer von körperlicher Gewalt wie Frauen ohne Behinderungen, sagte Dusel unter Verweis auf eine Studie der Uni Bielefeld im Auftrag der Regierung. Von sexualisierter Gewalt seien sie etwa zwei- bis dreimal häufiger betroffen.

Kinder mit Behinderungen hätten ein drei- bis viermal höheres Risiko, Opfer von Gewalttaten zu werden. Dusel: „Besonders virulent ist das Thema der sexualisierten Gewalt gegen Kinder.“

Der Bundesbeauftragte forderte, genauer festzustellen, wo die Gefährdungen konkret liegen und die Hilfen zu verbessern. Die Hürden seien hoch - „angefangen damit, dass Frauen mit Behinderungen häufig nicht geglaubt wird oder sie nicht ernst genommen werden“.

Barrierefreiheit noch unzureichend

In Einrichtungen für Menschen mit Behinderung müssten Schutz und Beschwerdemöglichkeiten verbessert werden. Bei der strafrechtlichen Verfolgung gebe es Nachholbedarf. Nur ein Bruchteil der ohnehin zu wenigen Frauenhäuser sei barrierefrei.

Auch insgesamt gebe es viel zu viele Barrieren für Menschen mit Behinderung in Deutschland. „Ein großes übergeordnetes Problem ist die mangelnde Verpflichtung privater Anbieter zu Barrierefreiheit“, sagte Dusel.

Bezahlbare gut zugängliche Wohnungen seien in vielen Städten Mangelware. Selbstbedienungsterminals oder Bankautomaten seien oft nicht so gestaltet, dass Menschen etwa mit Sehbehinderung diese gut bedienen könnten.

Hoffnung setzt Dusel in ein neues EU-Regelwerk mit höheren Anforderungen an die Absenkung von Barrieren, den „European Accessibility Act (EAA)“. Bis Juni 2022 müsse er in nationales Recht umgesetzt, ab Juli 2025 angewandt werden.

Am Mittwoch wollen die europäischen Behindertenbeauftragten und Ombudsleute Forderungen an die EU-Kommission verabschieden. (dpa)

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