Auslandsinfektionen
Corona: Europa und seine Grenze
Grenzschließungen passen nicht zum Bild des offenen Europas. Um der Corona-Pandemie Herr zu werden und die Lockdown-Maßnahmen zu unterstützen, könnten sie aber gerade jetzt wichtig sein. Teil 2 unserer Serie in Kooperation mit iGES.
Veröffentlicht:„Risikogebiete“ bekommen durch den Beschluss von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Länderregierungschefs vom 5. Januar 2021 eine neue Aufmerksamkeit. Dazu zählen alle unsere direkten europäischen Nachbarn. Es gehören aber auch alle Balkanländer dazu, aus denen im vergangenen Sommer der größte Teil der Auslandsinfektionen stammte. Corona-Infektionen aus diesen Hochinzidenz-Ländern standen im August und September am Anfang der Eskalation der Fallzahlen, die wir bis heute erleben.
Am Beispiel des Kosovo lässt sich dies anhand der Abfolge von Inzidenzunterschieden, Flugreisen und Auslandsinfektionen deutlich nachzeichnen, wie eine Fallstudie des IGES Pandemie Monitors zeigt (www.iges.com/corona/kosovo).
Pandemie ist eine Folge der Mobilität
Dieser Eintrag von Infektionen steigerte sich dann im Oktober, als alle Nachbarländer bis auf Dänemark ebenfalls viel höhere Inzidenzen aufwiesen. Deutschland wurde mit Ausnahme des Nordens von allen Rändern her angesteckt. In Sachsen zeigte sich dieser Effekt am massivsten. Aber Bayern ist letztlich noch stärker betroffen, weil dort nicht nur viele Migranten leben, sondern weil es mit Tschechien und Österreich zwei hoch inzidente Nachbarn hat.
Von dieser Dynamik hat man bisher von offizieller Seite nicht viel erfahren. Grenzschließungen während des ersten Lockdowns waren schnell vergessen, weil sie für viele schmerzlich mit dem Bild des Europa offener Grenzen kollidierten. Erst seit der mutierte Virusstamm sich in Großbritannien so extrem schnell ausbreitet, hat man sich wieder daran erinnert, dass die Pandemie letztlich eine Folge der Mobilität von Menschen ist und damit die Überschreitung von Grenzen zur Voraussetzung hat.
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Die Bekämpfung kann daher nicht auskommen, ohne dass zumindest temporär Grenzen gezogen werden: zwischen Menschen, Städten, Landkreisen, Bundesländern, Nachbarländern und weiter auseinanderliegenden Ländern. Das gilt in beide Richtungen: Frankreich war im Oktober eher die Quelle von Ansteckungen für Deutschland, aktuell ist eher Deutschland eine Gefahr für Frankreich.
Europa mit Grenzschließungen Gutes tun
Das hätte man alles schon viel früher sehen können und eine synchronisierte europäische Strategie entwickeln müssen, wie auch von internationalen Experten im „Lancet“ gefordert. Die deutsche Ratspräsidentschaft hätte hier einen gewaltigen Mehrwert schaffen können, der weit über die gemeinsame Beschaffung von Impfstoffen hinausgewachsen wäre. Denn: Um Europa Gutes zu tun, muss man dazu bereit sein, temporär Grenzen zu ziehen.
In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass am ersten Januarwochenende alleine aus den neun Balkanländern 119 Flüge in Deutschland angekommen sind mit 15- bis 20.000 Passagieren (www.iges.com/corona/aktuell). Das sind nur gut 40 Prozent weniger als vor einem Jahr, als man noch nichts von Corona wusste.
Infektionswelle aus dem Ausland verhindern
Ob die bestehenden Quarantäneregeln und die neue Anforderung, sich bei Einreise testen zu lassen, den Import von Infektionen verhindern, hängt davon ab, wie dies vor Ort durchgesetzt wird. Was passiert mit Fluggästen ohne digitale Einreiseanmeldung? Was geschieht mit jenen, die keinen Test vorweisen oder keinen machen lassen, und mit denen, die sich nicht in Quarantäne begeben? In NRW kann eine Quarantäne übrigens aufgrund eines Gerichtsurteils nicht einmal durchgesetzt werden.
Wenn die neuen Maßnahmen an den Grenzen eine neue Infektionswelle aus dem Ausland nicht unterbinden, werden die vielen Opfer, die der nunmehr vierte Lockdown fordert, zum Teil wieder umsonst sein.
Der IGES Pandemie Monitor
Wie ist die zweite Pandemie-Welle entstanden? Wie hätte sie verhindert werden können? Was kennzeichnet das derzeitige Ausbruchsgeschehen? Antworten auf diese und andere aktuelle Fragen gibt der IGES Pandemie Monitor. Seine Mission ist es, mehr Orientierung in der Corona-Pandemie zu geben.
Er bietet differenzierte Analysen über die Entwicklung der Pandemie und über die Treiber von Infektionen mit SARS-CoV-2. Dies soll die Anstrengungen aller unterstützen, die Pandemiedynamik besser zu verstehen und die richtigen Maßnahmen zu treffen.
Der IGES Pandemie Monitor versteht sich auch als Antwort auf das durch die Corona-Krise entstandene, große allgemeine Interesse an Gesundheitsdaten. Dem begegnet vor allem der Datenjournalismus mit einem zuvor noch nie gekannten Informationsangebot. Unzählige Statistiken, Grafiken und Abbildungen bebildern in den tagesaktuellen Medien das Infektionsgeschehen. Was jedoch vielfach fehlt, ist Einordnung, Bewertung und Gewichtung der sich täglich ändernden Faktenlage:
Nötig ist mehr Differenzierung statt Pauschalierung. Genau da setzt der IGES Pandemie Monitor an: So zeigt er kurz-, mittel- und langfristige Trends des Pandemieverlaufs. Diese zeitliche Dreiteilung spiegelt sich in den Rubriken „Aktuelle Lage“, „Entwicklungen“ und langfristige „Analysen“ wider. Bereits während des aktuellen Verlaufs arbeitet der Monitor die Faktoren heraus, die maßgeblich das Pandemiegeschehen beeinflussen.
Datengrundlage sind neben den Meldedaten des RKI weitere Informationen wie soziodemographische, geographische oder spezifisch regionale und infrastrukturelle Fakten.
Ziel ist es zudem, Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Eindämmungsmaßnahmen zu gewinnen, um das Management der Krise vor Ort möglichst ressourcenschonend und präziser zu gestalten.
Wo eine aktuelle Analyse der Ursachen nicht zweifelsfrei gelingt, weil etwa die verfügbare Datenbasis zu schmal ist oder weil weitere Entwicklungen abgewartet werden müssen, wird der IGES Pandemie Monitor Hypothesen formulieren und entsprechende Fragen stellen – auch im gewünschten Dialog mit seinen Nutzern. Dies soll dazu beitragen, neue Akzente für das Krisenmanagement zu setzen.
Der IGES Pandemie Monitor wird als Internetseite präsentiert, deren Inhalt laufend an das Geschehen angepasst wird.