SARS-CoV-2-Strategie

Corona-Risiken im Gesundheitswesen sinken

Bei Ärzten und Pflegekräften entspannt sich die Corona-Lage leicht. Doch wo Kinder betreut werden, drohen neue Risiken. Dass sich SARS-CoV-2 vollständig eliminieren lässt, daran glaubt eine Expertengruppe nicht.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Zahl der Corona-Infektionen bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen ist im Vergleich zum Beginn der Pandemie deutlich gesunken.

Die Zahl der Corona-Infektionen bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen ist im Vergleich zum Beginn der Pandemie deutlich gesunken.

© famveldman / stock.adobe.com

Berlin. Die Corona-Risiken im Gesundheitswesen sinken. Recherchen von Fachleuten zufolge ist die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen in Pflegeeinrichtungen von in der Spitze bis zu 400 auf 20 am Tag gesunken. In Krankenhäusern und Arztpraxen lag dieser Wert nach zuvor bis zu 80 nosokomial erworbenen Infektionen am Tag in den vergangenen drei Wochen bei zwischen null und 18.

Das geht aus einer Analyse einer Gruppe von Fachleuten aus dem Gesundheits- und Pflegewesen um den ehemaligen „Gesundheitsweisen“ Professor Matthias Schrappe (Universität Köln) hervor. Das Papier liegt der „Ärzte Zeitung“ vor.

Zu Beginn der Epidemie hätten Mitarbeiter in Krankenhäusern, Arztpraxen sowie Pflege- und Gemeinschaftseinrichtungen mit rund 500 Neuinfektionen am Tag einen großen Teil der Krankheitslast getragen. In Schulen, Kitas und Jugendbetreuungseinrichtungen lasse sich allerdings neuerdings ein leichter Anstieg der Infektionen bei Mitarbeitern und Betreuten beobachten.

Pandemie wird „sporadisch“

Mit Testung und Nachverfolgung von Infektionsketten alleine lässt sich die „schleichende“ sporadische Entwicklung der Corona-Pandemie in Deutschland nicht eindämmen, lautet eine These der Fachleute aus Wissenschaft, Pflege und Krankenkassen in ihrem mittlerweile vierten Thesenpapier seit Beginn der Corona-Krise.

Dem Infektionsgeschehen müsse nun mit „klug geplanten“ Präventionsanstrengungen in den Zielgruppen begegnet werden. Dabei müssten Humanität und Würde der einzelnen Personen genauso berücksichtigt werden wie die Ziele der Infektionskontrolle, heißt es mit Blick auf Besuchssperren in Altenheimen sowie Schul- und Kitaschließungen der jüngeren Vergangenheit.

Virus als Wahlkampfthema?

Die neun Köpfe starke Autorengruppe warnt zudem davor, die Auseinandersetzung über die beste Strategie gegen die Ausbreitung von SARS-CoV-2 in den bevorstehenden Bundestagswahlkampf zu tragen. „Die Pandemie rechtfertigt es nicht, von der Grundnorm einer begründet abwägenden Entscheidungsfindung abzugehen und die Erfordernisse eines transparenten, fairen und faktenbegründeten Diskurses zwischen Politik, Wissenschaft und Medien zu relativieren.“

Eine vollständige Ausmerzung des Virus schließen die Fachleute aus. Hauptziel müsse die stabile Kontrolle der Epidemie sein. Das Schlagwort von der „Zweiten Welle“, so die Experten, sollte daher nicht auf starren Grenzwerten beruhen, sondern erst ab einem offiziell festgestellten „Kontrollverlust“ in mindestens zwei Bundesländern.

Weitere Thesen lauten:

  • Nachdem sich die Zahl getesteter Menschen von 400.000 auf mehr als 900.000 in der Woche erhöht hat, sei die Rate positiver Testergebnisse von neun auf ein Prozent gefallen. Die „homogene (sporadische) Ausbreitung habe sich in den Vordergrund geschoben.
  • Der Zunahme entdeckter Infektionen auf rund 1350 am Tag sei keine Zunahme schwerer Erkrankungsverläufe gefolgt. Stattdessen sei die Hospitalisierungsrate von mehr als 20 Prozent auf neun Prozent gefallen. Die Zahl der aktuell wegen Corona intensivmedizinisch betreuten Patienten sei von 3000 auf 230 gesunken, die Mortalität von sieben auf 0,4 Prozent.
  • Von den Ende August identifizierten knapp 15.000 infizierten Mitarbeitern des Gesundheitswesens sind zwischen 0,12 bis 0,16 Prozent an den Folgen der Infektion gestorben. Als Ursachen könnten die zunehmende Testung symptomfreier Menschen, ein jüngeres Durchschnittsalter sowie die Verbesserung organisatorischer Abläufe in Gesundheits-und Pflegeeinrichtungen diskutiert werden. Auch mögliche Veränderungen des Virustyps müssten mit analysiert werden.
  • Mit spezifischen Präventionsprogrammen und der Aufrechterhaltung der aktuellen Bettenkapazitäten in den Krankenhäusern lasse sich der „sporadischen Ausbreitung“ begegnen, schreiben die Autoren. Gleichwohl lasse sich ein deutlicher Anstieg der täglichen Neuinfektionen wegen der Reiserückkehrer, der Schul- und Kita-Öffnungen und der zunehmenden Verlagerung des Lebens in Innenräume nicht ausschließen.
  • Mehr Tests in Nicht-Risikogruppen führen nach Ansicht der Expertengruppe zu falsch-positiven Befunden, die die Gesundheitsämter belasten. Die Teststrategie sollte daher auf Lehrer, Kita-Mitarbeiter und die Pflege ausgerichtet sein.

Die Autoren des Corona-Thesenpapiers

Prof. med. Matthias Schrappe, Universität Köln, ehem. Stellv. Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit

Hedwig François-Kettner, Pflegemanagerin und Beraterin, ehem. Vorsitzende des Aktionsbündnis Patientensicherheit

Dr. Matthias Gruhl Arzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Bremen

Prof. Dieter Hart Institut für Informations-, Gesundheits- und Medizinrecht, Universität Bremen

Franz Knieps. Jurist und Vorstand eines Krankenkassenverbands, Berlin

Prof. Philip Manow, Universität Bremen, SOCIUM Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik

Prof. Holger Pfaff, Universität Köln, Zentrum für Versorgungsforschung, ehem. Vorsitzender des Expertenbeirats des Innovationsfond

Prof. Klaus Püschel, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Rechtsmedizin

Prof. Gerd Glaeske, Universität Bremen, SOCIUM Public Health, ehem. Mitglied im Sachverständigenrat Gesundheit.

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