Förderung für neue Modelle

Damit Innovationen in der Praxis ankommen

Neue Versorgungsmodelle kommen in Deutschland nur schwer dauerhaft auf die Beine. Mit einem eigenen Förderprojekt will die Robert Bosch Stiftung hoffnungsvollen Projekten unter die Arme greifen.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Eine bessere - zum Teil telemedizinische - Vernetzung ist das Ziel vieler Projekte.

Eine bessere - zum Teil telemedizinische - Vernetzung ist das Ziel vieler Projekte.

© sanjeri / Getty Images / iStock

BERLIN/STUTTGART. Gemeindenahe Gesundheitszentren, die von der Prävention bis zur Sozialarbeit möglichst viele Angebote rund um das Gesundbleiben und Gesundwerden im gewohnten Lebensumfeld bereithalten, gibt es in Deutschland in der Regel nicht. Genau solche Zentren könnten aber eine bessere Versorgung chronisch kranker Menschen aus einer Hand ermöglichen.

Diese Auffassung vertritt die Robert-Bosch-Stiftung. Deshalb fördert sie nun die Entwicklung solcher Projekte. Im Rahmen des Programms "PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung" stellt die Stiftung fünf Projekten bis zu zwei Millionen Euro zur Verfügung. Modell stehen lokale Gesundheitszentren in Kanada und Schweden. Im Mai startet die Förderphase durch die Stiftung offiziell.

"Das therapeutische Handeln der Akteure muss auf Langfristigkeit angelegt sein." – Dr. Bernadette Klapper, Leiterin des Bereichs Gesundheit der Robert Bosch Stiftung

"Das therapeutische Handeln der Akteure muss auf Langfristigkeit angelegt sein." – Dr. Bernadette Klapper, Leiterin des Bereichs Gesundheit der Robert Bosch Stiftung

© Michael Fuchs, Remseck

Hürden im Versorgungsalltag

"Unser Gesundheitssystem ist aufgrund seiner historischen Entwicklung weitgehend auf die Behandlung akuter Erkrankungen ausgerichtet", sagt Dr. Bernadette Klapper, Leiterin des Bereichs Gesundheit der Robert Bosch Stiftung. "Die Versorgung chronisch kranker Menschen findet vorwiegend in Hausarztpraxen statt, die trotz großen Engagements mit den zunehmenden Herausforderungen im Versorgungsalltag zu kämpfen haben", so Klapper.

Auch für Patienten werde es zunehmend schwierig, das erforderliche Netzwerk an Unterstützern zu bilden und zu koordinieren. Eine einfache Reorganisation reiche nicht aus. Nötig sei es, Gesundheitsdienstleistungen zu bündeln und multiprofessionelle Teams für eine dauerhafte Betreuung zu etablieren.

Name spielt auf das Hafengeschehen an

Bereits im Frühjahr 2015 hat die Stiftung mit der Konzeptentwicklung begonnen – "wohl wissend, dass solche Vorhaben einen langen Atem bei allen Beteiligten brauchen", sagt Bettina Tef, Projektmanagerin bei der Robert Bosch Stiftung. Absicht bei PORT sei es nicht, auf unterversorgte oder von Unterversorgung bedrohte Regionen zu setzen. "Wir wollen dazu beitragen, die ambulante Versorgung zukunftsfähig zu gestalten, besonders mit Blick auf chronisch erkrankte Menschen", erläutert Tef.

Der Name "PORT" habe der Stiftung gut gefallen, weil er viele Anknüpfungspunkte bietet – "nicht zuletzt Port als Hafen für eine abgestimmte Versorgung aus einer Hand", berichtet Tef.

"Viele chronisch Kranke benötigen nicht nur die Unterstützung von Ärzten, sondern auch von weiteren Gesundheitsfachkräften und anderen Sozialberufen. Statt einer Intervention in kurzen Episoden, muss das therapeutische Handeln aller Akteure auf Langfristigkeit angelegt sein", erläutert Klapper. Im Kern gehe es bei PORT darum, mit den Fördermitteln einen Prozess für eine gut abgestimmte und interprofessionelle sowie populationsorientierte Versorgung anzuschieben.

"Die Ärzte sollen sich wieder auf ihre ureigenen Aufgaben konzentrieren." – Bettina Tef, Projektmanagerin bei der Robert Bosch Stiftung

"Die Ärzte sollen sich wieder auf ihre ureigenen Aufgaben konzentrieren." – Bettina Tef, Projektmanagerin bei der Robert Bosch Stiftung

© Michael Fuchs, Remseck

Die Zentren sollen dabei auf den regionalen Bedarf abgestimmt, patientenzentriert organisiert und kommunal eingebunden sein. Außerdem erwartet die Stiftung, dass sie zukunftsweisende Techniken wie E-Health und Patient Empowerment einsetzen.

Die Pflege muss stärker ins Boot

Wichtig ist der Stiftung insbesondere, dass die Pflege stärker ins Boot kommt, "damit sich Ärzte wieder auf ihre ureigenen Aufgaben konzentrierten können", so Projektmanagerin Tef. In den Community Health Centers in Kanada habe ein Arzt durchschnittlich viel mehr Zeit für einen Patienten. Die Stiftung will neben der finanziellen Förderung den künftigen Mitarbeitern der PORT-Zentren auch ein Hospitationsprogramm im Ausland anbieten, berichtet Tef.

Träger der fünf PORT-Zentren sind der Landkreis Calw und die Gemeinde Hohenstein in Baden-Württemberg, das Gesundheitskollektiv e.V. in Berlin, der Landkreis Waldeck-Frankenberg in Hessen und die Gemeinde Büsum in Schleswig-Holstein (s. unten),

In welcher Unternehmensstruktur sich die Zentren organisieren, ist der Stiftung vorerst gleichgültig. "Da sind wir zunächst leidenschaftslos. Aber es wird sicher das eine oder andere Modell geben, das es leichter hat", sagt Klapper. Die PORT-Zentren, ergänzt Tef, müssen nicht in kommunaler Hand liegen, "aber sie sollten gut in der Kommune verankert sein".

Alle Projekte werden mit einer Evaluation begleitet, die Ausschreibung dafür soll in Kürze beginnen. Die Förderung ist auf fünf Jahre angelegt.

Forschung in der Hausarztpraxis

Mitten auf der Schwäbischen Alb entsteht das Gesundheitszentrum der Gemeinde Hohenstein. Rund um die Praxis für Allgemeinmedizin in den Räumen der Gemeinde hat sich ein multiprofessionelles Projektteam zum Aufbau des Zentrums zusammengefunden. Beteiligt sind neben einem weiteren Allgemeinarzt auch Ergotherapie, Logopädie und Pflege. Außerdem wirken der Arbeitskreis Gesunde Gemeinde der Kommune Hohenstein, die Geschäftsstelle der Kommunalen Gesundheitskonferenz im Landkreis Reutlingen und das Institut für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung der Universität Tübingen am Aufbau des Zentrums mit. Die Arztpraxis ist dabei zugleich Lehr- und Forschungspraxis der Uni Tübingen. Die Uni sieht in ihr auch ein „Labor für die Evaluation innovativer Lehrmethoden und aktueller Fragestellungen der Versorgungsforschung“. Im Rahmen der Zentrumsbildung erprobt und erforscht das allgemeinmedizinische Institut in der Praxis neue interprofessionelle Kooperations- und Arbeitsformen. Ziel des Gesundheitszentrums ist es auch, Hausärzte-Nachwuchs zu gewinnen. (ami)

Kooperation mit Landkreis und Klinik

Der Landkreis Calw will rund um das Krankenhaus Calw einen ganzen „Gesundheitscampus“ aufbauen. Der Campus soll nicht nur die stationäre Versorgung im Krankenhaus Calw stärken, sondern den Fokus auch auf die ambulante, pflegerische und präventive Versorgung legen. Wesentlicher Teil des Campus wird deshalb ein Gesundheitszentrum sein, das in Zusammenarbeit mit einer bestehenden hausärztlichen Gemeinschaftspraxis nach und nach aufgebaut wird. Die räumliche Nähe des Zentrums zum Krankenhaus und zu weiteren Gesundheitseinrichtungen begünstigt abgestimmte Versorgungspfade und eine ganzheitliche Betreuung der Patienten. Ein Vorbild für das Konzept ist das Projekt Gesundes Kinzigtal. In dem über das Projekt PORT von der Robert Bosch Stiftung geförderten Zentrum soll ein multiprofessionelles Team von Allgemeinmedizinern, Sozialarbeitern, Versorgungsassistenten, Casemanagern und weiteren Beteiligten die Primärversorgung übernehmen. Geplant ist auch, dass Präventionsangebote integriert werden. Eine enge Kooperation mit der Selbsthilfe ist ebenfalls vorgesehen. (ami)

Zentrum statt Hausarztpraxis als Anlaufstelle

Als erste Gemeinde deutschlandweit hat die Nordseebad Büsum die Chance genutzt, ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) in Trägerschaft der Kommune zu eröffnen (die Ärzte Zeitung berichtete). Dafür zeichnet „ein sehr innovativer Bürgermeister“ verantwortlich, wie Marcus Jünemann von der Ärztegenossenschaft Nord sagt. Die Genossenschaft managt das Zentrum, dem derzeit fünf Hausärzte angehören. Die Gemeinde trägt die finanziellen Risiken in dem Projekt. Das im Sommer 2016 eingeweihte Gesundheitszentrum – das Ärzte-Zentrum ist schon ein Jahr älter – ist aus der Ärzte-Not geboren. Einer der anfangs beteiligten Hausärzte ist bereits in Rente gegangen. An seine Stelle sind zwei junge Ärzte gerückt. Die Nachbesetzung in den Zentrumsstrukturen funktioniert, anders als vorher in den Einzelpraxen in der Gemeinde. „Die Hoffnung, dass man mit attraktiven Arbeitsbedingungen Ärzte findet, ist aufgegangen“, sagt Jünemann. Er vertritt die Auffassung, das Büsumer Modell sei sicher keine Blaupause, aber: „Für Büsum ist es ein Erfolgsmodell.“ (ami)

Praxis und Pflegedienst als Keimzelle

Eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis und eine Pflegeeinrichtung bilden im hessischen Landkreis Waldeck-Frankenberg/Korbach den Kern eines PORT-Zentrums in Willingen-Diemelsee. Als Kur- und Badeärzte sind die Hausärzte dort speziell für medizinische Prävention qualifiziert. Zur Unterstützung wirken ein Gesundheitsmanager, eine Case Managerin, eine studierte Pflegekraft, eine VERAH und Menschen im Ehrenamt mit. Der Landkreis als Träger betrachtet das Projekt als Modell, das später auch allen anderen Städten und Gemeinden in Waldeck-Frankenberg zugutekommen könnte. Er reagiert damit auf den wachsenden Ärztemangel im ländlichen Raum. „Wie nahezu überall im ländlichen Raum ist der Bedarf an ergänzenden und nachhaltigen Konzepten der Gesundheitsversorgung in Waldeck-Frankenberg hoch“, so Landrat Dr. Reinhard Kubat. Projektkoordinatorin Katharina Kappeljoff ergänzt: „Für eine langfristige Sicherstellung der Gesundheitsversorgung sind wir neben der guten Zusammenarbeit mit den Haus- und Fachärzten auf Fachkräfte aus Gesundheits- und Sozialberufen angewiesen“. (ami)

Sozialberatung und Medizin vom Kollektiv

Auf gemeinschaftliche Entscheidungsstrukturen setzt das Gesundheitskollektiv GeKo Berlin e.V., das im Norden des Problembezirks Neukölln ein PORT-Zentrum aufbauen will. In dem Kollektiv engagieren sich neben Ärzten aller Alters- und Ausbildungsgrade unter anderem Krankenschwestern, Psychologen und Sozialarbeiter. Das GeKo-Zentrum soll in einen Gebäudekomplex integriert werden, der nach einer Grundsanierung auch Stadtteilinitiativen und weiteren sozialen Einrichtungen im Kiez Platz bietet. Die Fertigstellung ist für 2018/2019 geplant. Bereits jetzt bieten die Initiatoren in Kooperation mit einigen dieser Initiativen Informationen zur Gesundheitsprävention. Als Kollektiv will das GeKo von zwei Berliner Gesundheitszentren lernen, die in den 70er Jahren ebenfalls in solchen Strukturen entstanden sind. Die Gesundheitszentrum Gropiusstadt und Spandau mussten inzwischen aber andere Organisationsformen wählen, um ihr Überleben zu sichern. Ermutigend für die neuen Kollektivisten: Ein hausärztliches Praxiskollektiv aus den 70er Jahren besteht in Berlin-Kreuzberg bis heute. (ami)

Lesen Sie dazu auch: Vernetzte Versorgung: Neue Optionen der Teamarbeit in Kommunen

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