Der Goldschatz der GKV wächst

Und wieder ein Plus: Im ersten Quartal haben die Krankenkassen mehr als eine Milliarde Euro beiseite geschaufelt. Insgesamt horten sie jetzt 20 Milliarden Euro - und entfachen einen neuen Streit in der Politik. Experten sprechen allerdings von einem "temporären Problem"

Veröffentlicht:
So viel Gold: Auch den Krankenkassen geht es blendend.

So viel Gold: Auch den Krankenkassen geht es blendend.

© Newscast / imago

BERLIN (fst/sun). Die gesetzlichen Krankenkassen haben auch im ersten Quartal dieses Jahres hohe Überschüsse verbucht.

Die Einnahmen von 47,47 Milliarden Euro lagen 1,51 Milliarden Euro über den Ausgaben, teilte das Bundesgesundheitsministerium am Mittwoch mit. Im ersten Quartal des Vorjahres belief sich das Plus auf 1,47 Milliarden Euro.

Auf die beiden großen Kassenarten - AOK-System und Ersatzkassen - entfallen mehr als zwei Drittel des Überschusses: 553 Millionen beträgt das Plus bei den AOKen, 568 Millionen Euro bei den Ersatzkassen.

Betriebskrankenkassen verbuchen ein positives Saldo von 165 Millionen, bei den Innungskrankenkassen sind es 154 Millionen Euro. Die Knappschaft-Bahn-See schreibt schwarze Zahlen in Höhe von 71 Millionen Euro.

Angesichts dieser Entwicklung gibt es nach Ansicht von Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) keinen Grund, Defizite der Kassen "an die Wand zu malen".

Forderungen nach Prämienausschüttungen widersprach Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbands: "Wir wollen, dass diese Reserven gesichert und für die Versorgung der Patienten genutzt werden."

Singhammer versus Spahn

Unterschiedliche Ansichten über die Verwendung gibt es in der Unionsfraktion. Ihr gesundheitspolitischer Sprecher Jens Spahn (CDU) sagte: "Wir erwarten, dass die reichen Kassen endlich ihre Versicherten in Form von Prämienausschüttungen beteiligen."

Fraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) dagegen forderte, die Politik müsse "die Kraft aufbringen, die kurzfristigen Rücklagen als nachhaltige Vorsorge zurückzulegen"

Für das Gesamtjahr geht Bahr von einem Überschuss der Kassen aus, der "deutlich geringer" als im Vorjahr ausfallen wird. 2011 hat der Überschuss der Kassen vier Milliarden Euro betragen.

Die 145 Kassen verfügten im ersten Quartal über Finanzreserven von 11,5 Milliarden Euro, das Finanzpolster des Gesundheitsfonds betrug 8,5 Milliarden Euro.

Deutlich gestiegen sind im ersten Quartal mit 3,5 Prozent die Leistungsausgaben je Versicherten. Im Vorjahr lag dieser Wert bei 2,6 Prozent. Die Ausgaben für Ärzte-Honorare sind um 2,3 Prozent gewachsen (2011: 2,1 Prozent).

Ein Trend für 2012 kann daraus nicht abgeleitet werden, weil den Kassen noch keine Abrechnungsdaten der KVen für das erste Quartal vorliegen.

Ausgaben für Krankengeld steigen weiter

Leicht verringert hat sich mit 3,3 Prozent der Anstieg bei den Ausgaben je Versicherten für die stationäre Behandlung - dem größten Ausgabenposten in der GKV (2011: 60,8 Milliarden Euro).

Bei den Arzneimittel-Ausgaben zeichnet sich im Vergleich zum Vorjahr eine Trendwende ab: Gingen die Ausgaben 2011 um vier Prozent zurück, so betrug der Anstieg im ersten Quartal wieder 3,7 Prozent.

Dennoch liegen die Ausgaben in absoluten Zahlen um 100 Millionen Euro unter denen des ersten Quartals 2010. Nochmals zugenommen hat nach Angaben des Ministeriums die finanzielle Entlastung durch Rabatte für festbetragsgeregelte Medikamente.

Das Sparvolumen betrug in den ersten drei Monaten 409 Millionen Euro, 105 Millionen Euro mehr als im Vorjahresquartal.

Abgeflacht hat sich der zuletzt annähernd zweistellige Anstieg der Ausgaben für Krankengeld. Er betrug von Januar bis März noch 5,7 Prozent, 9,4 Prozent waren es im Vorjahr. Grund zur Entwarnung ist das aus Sicht des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) nicht.

Forderungen aus der Industrie

Eine politisch gewollte Ausgabenerhöhung zeichnet sich bei Mutter-Kind-Kuren ab. Der Zuwachs um 20 Prozent gehe auf das Drängen der Regierung zurück, die Bewilligungspraxen der Kassen zu verbessern, erklärte das BMG.

Die Verwaltungskosten der 145 Kassen entwickelten sich nach Angaben des Ministeriums "unauffällig": Sie stiegen um ein Prozent auf 2,19 Milliarden Euro.

Dennoch bestehe nicht die Gefahr, dass die gesetzliche Vorgabe verfehlt wird, hieß es. Die Kassen stehen in der Pflicht, ihre Netto-Verwaltungsausgaben in diesem Jahr auf dem Niveau von 2010 einzufrieren. Im vergangenen Jahr waren sie sogar um ein Prozent gesunken.

Unterdessen haben Pharmaverbände die neuen Milliarden-Überschüsse zum Anlass genommen, um den Verzicht auf Sparmaßnahmen wie den Zwangsrabatt von 16 Prozent zu fordern: "Die Bundesregierung muss sich entscheiden, wo die Wahrheit liegt", sagte Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes forschender Pharmaunternehmen (vfa)

Fischer: "Entweder belegen die Fakten, dass die schwierige konjunkturelle Lage und Situation der Krankenkassen diese Zwangsmaßnahme gegen die Pharma-Industrie rechtfertigt. Oder die sachliche Grundlage für den Zwangsrabatt ist entfallen".

Gleichlautend äußerte sich der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI): Fakt sei, dass die "pharmazeutische Industrie ein immer weiter wachsendes Finanzpolster der GKV" finanziere, sagte ihr Hauptgeschäftsführer, Henning Fahrenkamp

Temporäres Problem

Aus Sicht von Professor Eberhard Wille, derzeit Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen der Entwicklung im Gesundheitswesen, sind die Kassenüberschüsse lediglich "ein temporäres Problem".

Es sollte den Kassen daher selbst überlassen bleiben, wie sie damit umgehen. Er sprach sich dagegen aus, dass Kassen ihre Überschüsse an die Versicherten ausschütten sollten.

Zudem hätten nicht alle Kassen hohe Rücklagen. Seine Prognose: Mitte 2013, spätestens 2014 werde es wieder Zusatzbeiträge in "relevanter Höhe" geben.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) widersprach dieser Prognose. Er betonte, dass es durchaus rechtlich möglich sei, Kassen dazu zu zwingen, die Überschüsse an die Versicherten auszuzahlen.

Die Diskussion der Kassen, wie sie mit den Überschüssen umgehen wollen, sollte aber in Ruhe abgewartet werden.

1,5 Milliarden Euro - erneuter Geldsegen für Kassen

Veränderung je GKV-Mitglied in Prozent 1. Quartal 2012 im Vergleich zum 1. Quartal 2011
Leistungsausgaben insgesamt 3,6
Ärztliche Behandlung 2,3
Zahnbehandlung (kons.-chirurg.) 3,0
Zahnersatz 1,7
Arznei- u. Verbandsmittel insgesamt 3,7
Häusliche Krankenpflege 9,1
Krankenhausbehandlung 3,3
Krankheitsverhütung/soziale Dienste - 1,8
Krankengeld 5,7
Fahrkosten 8,5
Kuren und Rehabilitation 0,4
Früherkennungsmaßnahmen - 0,4
Leistungen bei Schwangerschaft ohne stat. Entbindung 1,8
Verwaltungskosten 1,0
Ausgaben insgesamt 45.961 Mio. €
Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds 46.359 Mio. €
Beitragseinnahmen vor dem 1.1.2009 396 Mio. €
Übrige Einnahmen 717 Mio. €
Einnahmen insgesamt 47.472 Mio. €
Überschuss 1.511 Mio. €
Quelle: BMG/KV 45, Tabelle: Ärzte Zeitung
Jetzt abonnieren
Schlagworte:
Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Exklusiv Physiotherapeuten & Co.

Warum Heilmittelerbringer auf die Vollakademisierung setzen

Aktuelle Umfrage

Patienten vertrauen offiziellen Seiten

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Vernetzte Versorgung

Ambulant-stationäres Projekt veröffentlicht Halbzeitbilanz

Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband
Kommentare
Norbert Meyer 21.06.201209:24 Uhr

Statistik ohne Bezug auf Heilmittelversorgung ?, zählt die Grössenordnung gar nicht !

Der Zugewinn der GKV besteht auch erheblich durch das rigide Absetzungsverhalten seitens der Kassen von erbrachten nicht bezahlten Heilmittelverordnungen, allein nur die AOK Bayern in 2011 40 Mill.mit dem Argument Rezeptprüfpflicht. Rückwirkend die BEK aus 2009. So kann ich meine Einnahmesituation jederzeit auffrischen.

Dr. Thomas Georg Schätzler 20.06.201217:54 Uhr

Das kann doch nicht so schwierig sein?

Was sollte bei einem Gesamtüberschuss von 20 Milliarden Euro daran unvernünftig sein, die Praxisgebühr (PG) abzuschaffen? Gerade die als Kranke überwiegend in Hausarztpraxen der Pädiater, Internisten und Allgemeinmediziner strömen, würden für unbürokratische Entlastung sorgen. Für jede einzelne ärztliche Verordnung zahlen sie 5-10 €, dann sollten sie nicht noch für ihre Erkrankungen mit 10 € Praxiseintritt bestraft werden. Und unseren MFA'' s würde so manche Rückfrage, Suche nach PG-Quittungen, Abstempeln, Geldwechsel, Fakturierung, Bankeinzahlung und lästige Diskussionen um abgelaufene Befreiungsausweise erspart bleiben.

Bei der von Konjunktur und Arbeitsmarkt abhängigen, beitragsfinanzierten Umlagekasse GKV mit Sozialausgleich für von Kapitalerträgen, Mieteinnahmen und Beteiligungen Lebenden (kleiner Scherz am Rande), Geringverdiener, Rentner und beitragsbefreite Ehepartner bzw. Kinder bis 18 Jahre ist ein volatiler, von Ausgaben und Einnahmen stark abhängiger Beitragssatz völlig normal. Die Gesetzliche Krankenversicherung ist eben gar keine "Versicherung", sondern eine Umlagekasse o h n e Kapitaldeckung und Rücklagen. Dies war volkswirtschaftlich der vernünftigste Grund für die Rückversicherung des Gesundheitsfonds, der auf Anregung und Expertise von Prof. Wolfram Richter, Gesundheitsökonom und Volkswirtschaftler an der TU Dortmund, etabliert wurde.

Das Dogma der vielbeschworenen Beitragssatzstabilität in der GKV wurde von schwarz-gelb mit dem Hinweis auf ein virtuelles 11 Milliarden € GKV-Defizit vom danach gescheiterten Bundesgesundheitsminister Dr. med. Philipp Rösler über den Haufen geworfen. Der GKV Beitrag wurde willkürlich auf 15,5 % vom SV-Brutto angehoben, die paritätische Finanzierung ohne Not aufgekündigt. Jetzt müsste trotz abgelaufener Weltwirtschaftskrise und Ausbleiben eines Konjunktureinbruchs der GKV-Beitragssatz bei 20 Milliarden € Überschuss auf unter 14 Prozent gesenkt werden können. Damit würde auch die Profilneurose des FDP-Lieblingsprojekts "Entlastung der Krankheits- von den Arbeitskosten" beendet.

Zwei Gründe, warum "eher ein Kamel durch ein Nadelöhr" geht, als dass diese Koalition den GKV-Beitragssatz senkt oder die Praxisgebühr abschafft:

• Die Liberalkonservativen haben eine Heidenangst vor der Blamage, zum Wahljahr 2013 den GKV-Beitrag evtl. nach oben anpassen zu müssen.

• Die Regierung würde ihr gesundheitspolitisches Gesicht verlieren, wenn sie den irrationalen Unsinn, den sie anfangs durch den jetzigen Bundeswirtschaftsminister Rösler präsentieren ließ, jetzt konterkarieren müsste.

Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Leckere und gesunde Ernährung

Remission bei Morbus Crohn: Das glückt auch mit einer rein oralen Diät

DGK-Jahrestagung

Präzisionsmedizin: Die Kardiologie ist auf dem Weg

Wechselspiel zwischen Hirn und Pankreas

Demenz & Diabetes: Welche Vorteile das CGM bietet

Lesetipps
Dreidimensionale medizinische Illustration von Nierenkrebs, die das Vorhandensein eines Tumors in der Niere zeigt.

© Crystal light / stock.adobe.com

Hinweis aus Registerstudie

Welchen Einfluss NSAR auf das Nierenkrebs-Risiko haben

Eine Frau greift sich mit beiden Händen um den Nacken.

© fizkes / Getty Images / iStock (Symbolbild mit Fotomodell)

Leitlinien-Update

Polymyalgia rheumatica: Aktualisierte Empfehlungen sind online

Eine Ärztin tastet den Hals einer Frau zur Diagnose von Schilddrüsenerkrankungen und Hypothyreose ab.

© Peakstock / stock.adobe.com

US-Review

Wie mit latenter Hypothyreose bei älteren Patienten umgehen?