Auskultierte Doktoren
Der große Wunsch nach Freiheit
Die Umfrage der KBV hat nicht das befürchtete Ergebnis gebracht: Eine klare Mehrheit der Niedergelassenen hält nichts vom Systemausstieg. Dafür fordern sie mehr Freiheit, Eigenverantwortung - und Kalkulierbarkeit des eigenen Honorars.
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BERLIN. Gut drei Viertel der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten bejahen den Sicherstellungsauftrag des KV-Systems - die meisten davon sehen aber großen Reformbedarf.
Nur eine kleine Minderheit von sechs Prozent der Ärzte und Psychotherapeuten befürwortet einen Systemausstieg, verbunden mit der Rückgabe des Sicherstellungsauftrags.
Auf der anderen Seite stehen zehn Prozent der Mediziner und Psychologen, die der Meinung sind, es gebe keine Alternative, und der Sicherstellungsauftrag könne unverändert beibehalten werden.
Eine Zwei-Drittel-Mehrheit spricht sich zwar für den Sicherstellungsauftrag und den damit verbundenen Pflichten aus, verbindet dies aber mit weitreichenden Bedingungen und Reformen.
Dazu zählen sie feste und kostendeckende Preise für ärztliche Leistungen, diagnostische und therapeutische Freiheit in der Verantwortung der ärztlichen Selbstverwaltung und eine Mengensteuerung, die auf eine Honorarabstaffelung bei Einzelleistungen verzichtet.
Das ist das Ergebnis des im September 2012 von der KBV-Vertreterversammlung beschlossenen Referendums der Vertragsärzte und Psychotherapeuten. Von den insgesamt 149.000 Medizinern und Psychologen haben 53 Prozent - knapp 80.000 - auswertbare Fragebögen abgeliefert.
Viele konkrete Vorschläge
Vertreter des Meinungsforschungsinstituts infas, das die Befragung durchgeführt hat, bewerten die Teilnahme und Aussagefähigkeit der Umfrage als "fast einmalig" in der empirischen Sozialforschung.
KBV-Vorsitzender Dr. Andreas Köhler: "Das zeigt, dass wir mit dem Thema einen Nerv getroffen haben."
Für Köhler steht aber auch fest: "Was die Ärzte definitiv nicht wollen, ist ein einfaches "Weiter so" wie bisher." Das Referendum bestätigt, wie schon vorangegangene Umfragen, eine hohe intrinsische Motivation zu ihrer Versorgungsaufgabe.
Köhler: "Die Vertragsärzte und Psychotherapeuten haben ein hohes Arbeitsethos und Freude am Beruf, unzufrieden sind sie jedoch mit den Rahmenbedingungen, unter denen sie arbeiten müssen."
Die Klage von Patienten über mangelnde Zuwendung findet ihre Entsprechung im Problembewusstsein der Ärzte: 72 Prozent würden einen großen Anteil ihrer Arbeitszeit mehr direkt ihren Patienten widmen wollen.
Viele Ärzte haben dazu konkrete Vorschläge gemacht, nur eine Minderheit, so infas, üben sich in Larmoyanz.
"Meine Arbeit ist nützlich und sinnvoll" und "Meine Arbeit macht mir Spaß" - diesen beiden Items stimmen 92 und 86 Prozent der Vertragsärzte und Psychotherapeuten "voll und ganz" oder "eher" zu.
Eine hohe intrinsische Motivation treibt Mediziner und Psychologen, täglich ihre Aufgabe in der Patientenversorgung zu erfüllen - und damit den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag zu realisieren.
Hausärzte fühlen sich wohler
Damit dies so bleiben kann, fordern Ärzte im Referendum weitreichende Systemreformen, an erster Stelle (93 Prozent) feste und kostendeckende Preise für ärztliche Leistungen sowie selbstbestimmt durch ihre eigene Selbstverwaltung festgelegte Inhalte der ärztlichen Fortbildung.
Ferner dürfe die Mengensteuerung nicht mehr zu einer Absenkung der Vergütung für einzelne Leistungen führen (91 Prozent). Bessere Planbarkeit ist ein wichtiges Kriterium für gute Arbeitsbedingungen.
85 Prozent der Ärzte sprechen sich für diagnostische und therapeutische Freiheit aus, und die Verantwortung dafür müsse bei der ärztlichen Selbstverwaltung liegen. Über 80 Prozent plädieren für den Vorrang der ambulanten Medizin.
Die Zufriedenheit mit dem Beruf korrespondiert jedoch nicht unbedingt mit wirtschaftlich-monetären Aspekten der Praxen. 49 Prozent der Ärzte und Psychotherapeuten sagen, ihre reale Tätigkeit stimme auch mit ihren Erwartungen bei der Berufswahl zu.
Deutlich kleiner mit 40 Prozent ist der Anteil derer, deren Einkommen auch den Erwartungen entsprechen: Aber immerhin 47 Prozent bewerten die wirtschaftliche Situation ihrer Praxis als gut oder eher gut.
Dabei gibt es eine deutliche Differenzierung: Am besten bewerten Hausärzte ihre ökonomische Situation (54 Prozent gut oder eher gut). Bei den Fachärzten sind es nur 45 Prozent, bei den Psychotherapeuten lediglich 38 Prozent.
Diese haben habe in Bezug auf ihre Gesamttätigkeit den besten Wert, was die eingetroffenen Erwartungen angeht.
Das korrespondiert damit, dass Psychotherapeuten zu 58 Prozent der Meinung sind, dass sie genügend Zeit für ihre Patienten haben. Unter den Haus- und Fachärzten sind dies nur 27 Prozent.