Bertelsmann Pflegereport 2030
Die jungen Alten sollen Betagte pflegen
Der Pflegereport der Bertelsmann-Stiftung hat große Versorgungslücken in der Pflege einmal mehr deutlich gemacht. Nötig sind neue Strukturen und Ideen: Beispielsweise könnten Ehrenamtliche helfen.
Veröffentlicht:BREMEN. Heimausbau stoppen, Netzwerke stärken - so stellen sich die Autoren des "Bertelsmann Pflegereports 2030" die Zukunft der Pflege vor.
Die Zahlen sind alarmierend - wenn es so weitergeht wie bisher. Erstmals hat eine Studie bis hinunter auf die kommunale Ebene ermittelt, wo wie groß die Versorgungslücke bei der Pflege zukünftig vermutlich sein wird.
"Der Pflegebedarf in Deutschland wird bis 2030 um rund 50 Prozent steigen", so die Autoren vom Bremer Zentrum für Sozialpolitik (ZeS).
Die Zahl der Pflegebedürftigen werde 2030 bei 3,4 Millionen und 2050 sogar bei 4,5 Millionen Menschen liegen, hieß es.
Zugleich werden 2030 rund 500.000 Vollzeitkräfte in der Pflege fehlen. Diese Versorgungslücke bedeutet für die Kommunen eine mächtige Herausforderung.
Plus von 72 Prozent in Brandenburg erwartet
In der Studie wird der Personalbedarf in der Pflege in Beziehung gesetzt zum projizierten Personalangebot. "Die daraus ermittelten Versorgungslücken können nun Grundlage für eine differenzierte Planung jeder Kommune sein", so die ZeS-Wissenschaftler.
Schon auf Länderebene zeigen sich große Unterschiede. Für Bremen erwarten die Autoren zwischen 2009 und 2030 bei den Pflegebedürftigen ein Plus von 28 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern von 56 Prozent und in Brandenburg von 72 Prozent.
Auch Berlin (56 Prozent), Bayern (54 Prozent), Schleswig-Holstein (54 Prozent) und Baden-Württemberg (54 Prozent) liegen deutlich über dem Schnitt.
Noch größer sind die Unterschiede auf kommunaler Ebene. "Die Steigerungsraten reichen von knapp 14 Prozent (Landkreis Goslar) bis zu mehr als 100 Prozent (Landkreis München, Landkreis Oberhavel), "wobei die Dynamik fast ausschließlich von der Altersstruktur in der jeweiligen Kommune abhängt", wie es heißt.
Ehrenamtliche könnten helfen
Immer mehr Pflegebedürftige, immer weniger Pflegende. Was tun? Das ZeS setzt auf kleinräumige, bürgerschaftlich getragene Strukturen. Es sei an der Zeit "den regional zwar unterschiedlich großen, aber flächendeckend zu erwartenden Versorgungslücken in der Pflege durch intelligente Konzepte für eine stärker ambulante und gemeinwesenorientierte Versorgung sowie eine sinnvolle Koordination der relevanten Akteure zu begegnen", hieß es.
Dabei gehe es weniger um Netzwerke aus Pflegekräften, Therapeuten oder Hausärzten, sagt Professor Heins Rothgang vom ZeS der "Ärzte Zeitung". Der Fokus liege auf dem bürgerschaftlichen Engagement.
"Ehrenamtliche können viel von dem, was in Heimen von Pflegern getan wird, übernehmen. Die Idee dahinter: Das dritte Lebensalter sorgt für das Vierte." Wenn Betreuung, Zuwendung und Teilhabe vor allem von Ehrenamtlichen geliefert werde, könne sich die Pflege auf ihre Aufgaben konzentrieren, so das Kalkül.
Vollstationäre Pflege nicht ausbauen
Die vollstationäre Pflege dagegen solle nicht ausgebaut werden, raten die Autoren. Gelinge es, die Zahl der Pflegebedürftigen in vollstationärer Pflege konstant zu halten, halbiere sich fast die Versorgungslücke, und zwar auf nur 263.000 Vollzeitstellen.
"Allerdings setzt dies voraus, dass der Anteil der Angehörigenpflege stabilisiert (46 Prozent im Vergleich zu 45,6 Prozent 2009) und zum anderen den Anteil der ambulanten Pflege um etwa zehn Prozentpunkte von 23,7 (im Jahr 2009) auf 33,2 Prozent (im Jahr 2030) erhöht werden kann", schreiben die Autoren.
Die Studie sei "eingeschlagen wie eine Bombe", sagt Rothgang. Die Kommunen erhalten erstmals klare Zahlen. "Wir bereiten gerade die zweite Auflage vor."