Arzneimittel
EU-Kommission entwirft einheitliche Nutzenbewertung
Die EU-Kommission plant eine europaweit einheitliche Nutzenbewertung neuer Arzneimittel und Medizinprodukte. Der dazu am Mittwoch vorgestellte Verordnungsentwurf stößt bei Pharmaverbänden auf Zustimmung. Dagegen befürchtet die Kassenseite, hiesige Bewertungsstandards könnten aufgeweicht werden.
Veröffentlicht:BRÜSSEL/BERLIN. Die zentrale Arzneimittelzulassung ist in Europa seit mehr als 20 Jahren alltägliche Realität. Nun sollen auch klinische Nutzenbewertungen für sämtliche EU-Mitgliedsstaaten vereinheitlicht werden und in Kommissionsverantwortung über die Bühne gehen. Ein entsprechender Verordnungsentwurf ("Proposal for a regulation of the European Parliament and of the Council on health technology assessment and amending Directive 2011/24/EU") ist am Mittwoch vorgestellt worden.
Danach wäre die zentrale EU-Nutzenbewertung für neue und im europäischen Verfahren zugelassene Arzneimittel ebenso verbindlich wie für Medizinprodukte der Risikoklassen IIb und III sowie für In-vitro-Diagnostika. Organisatorisch sollen Studien zur klinischen Bewertung durch einen EU-Mitgliedstaat koordiniert und von einem anderen Land als Zweitgutachter begleitet werden. Die Kommission soll die Berichte prüfen.
Nicht-klinische Aspekte einer Innovation wie wirtschaftliche, soziale oder ethische Effekte, sollen nicht Gegenstand der EU-Bewertung sein. Auch in die Preisbildung will sich die Kommission nicht einmischen. Den Mitgliedstaaten bleibe weiterhin selbst überlassen, den "Mehrwert einer Gesundheitstechnologie" abzuschätzen "und die für ihr jeweiliges Gesundheitssystem relevanten Entscheidungen (z. B. Preisgestaltung und Erstattung) zu treffen", heißt es in einer Mitteilung der Kommission.
Vorteil: berechenbare Nutzen-Kriterien
Tritt die Regelung in Kraft, wären nach der üblichen dreijährigen Übergangsphase alle Mitgliedstaaten verpflichtet, an dieser Nutzenbewertung teilzunehmen. Allerdings ist ein zusätzlicher Übergangszeitraum von weiteren drei Jahren vorgesehen, um den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, sich mit dem neuen System vertraut zu machen. Währenddessen soll die jährliche Zahl gemeinsamer Bewertungen "schrittweise erhöht werden".
Aus Herstellersicht hat die geplante EU-Bewertung den Vorteil berechenbarer Nutzen-Kriterien für sämtliche europäische Märkte. Im Zusammenhang mit der 2011 in Deutschland eingeführten "frühen Nutzenbewertung" war und ist immer wieder Kritik von Industrieseite an den Bewertungsmaßstäben des Gemeinsamen Bundesausschusses zu vernehmen. "Von der jetzt beginnenden Debatte über europäische Standards in der Nutzenbewertung kann Deutschland profitieren", kommentiert Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbandes der forschenden Pharmaunternehmen (vfa), den Kommissionsentwurf. "Vor allem die engere Verzahnung von Zulassungsbehörden und Nutzenbewertungsinstanzen im Arzneimittelsektor wäre ein echter Schritt nach vorne."
"Grundsätzlich zu begrüßen", lautet auch das Urteil des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH). Patienten könnten von einer europäischen Bewertung "einen schnelleren Zugang zu innovativen Arzneimitteln" erhoffen.
EU-Kommissionsvize Jyrki Katainen betont die wettbewerbspolitische Dimension des Vorhabens: "Der Gesundheitstechnologiebewertung auf EU-Ebene einen Schub zu verleihen, würde die Innovationskraft und die Wettbewerbsfähigkeit der Medizinischen Industrie Europas beflügeln".
Sorge: Abkehr von der AMNOG-Bewertungspraxis
Auf wenig Gegenliebe stößt das Vorhaben beim GKV-Spitzenverband. Gegen die Zusammenarbeit der EU-Mitglieder bei der wissenschaftlichen Bewertung neuer Arzneimittel sei nichts einzuwenden, so Verbandsvize Johann-Magnus von Stackelberg. Doch: "Wir befürchten die Absenkung der hohen Standards, die wir in Deutschland für die Bewertung von neuen Medikamenten haben." Laut GKV-Spitzenverband laufen die Kommissionspläne auf eine Abkehr von der "bewährten Bewertungspraxis im Rahmen des AMNOG-Verfahrens" hinaus. Ein solcher Einschnitt in das Handeln der Selbstverwaltung sei inakzeptabel.
Martin Litsch, Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes, haut in die gleiche Kerbe. "Es darf nicht sein, dass man diese Arbeit, die in Deutschland von einem unabhängigen wissenschaftlichen Institut ausgeübt wird, künftig der bekanntlich wirtschaftsnahen Europäischen Kommission überträgt".