Kommentar zur Ärztestatistik
Eine Statistik mit Licht und Schatten
Wer nur schwarz sieht, wird Schwierigkeiten bei der Orientierung haben. Das gilt auch für die Interpretation von Statistiken. "Etwas mehr und doch zu wenig", so lautet das Gesamtfazit des Bundesärztekammerpräsidenten Frank Ulrich Montgomery zur Entwicklung der Arztzahlen im vergangenen Jahr.
Die stereotype Reaktion des GKV-Spitzenverbandes ließ nicht auf sich warten: "Von einem allgemeinen Ärztemangel sind wir weit entfernt", so ein Verbandssprecher.
Notwendig ist der vertiefte Blick in das Zahlenwerk - und dann offenbaren sich Licht und Schatten. Und einige sehr dringende Fragen.
Die erfreuliche Botschaft ist: Deutschland ist für Ärzte vor allem aus den europäischen Nachbarstaaten zu einem Magneten geworden. 3768 Ärzte sind im vergangenen Jahr nach Deutschland eingewandert, inzwischen entlasten 34.700 ausländische Ärzte ihre deutschen Kollegen.
Vor allem aber: Der Migrationssaldo ist deutlich positiv. Rund 2360 deutsche Ärzte haben im vergangenen Jahr (vorübergehend) ihre Heimat verlassen, es verbleibt ein Überschuss von 1400 Ärzten, die der Gesundheitsversorgung zusätzlich zur Verfügung stehen. Dies anerkennt auch die Bundesärztekammer.
Gleichwohl bleibt ein Unbehagen: Ein Großteil der einwandernden Ärzte stammt aus den Armenhäusern Europas: Griechenland, Bulgarien und Rumänien. Es zeichnet sich ab, dass die Gesundheitsversorgung dieser Länder personell ausblutet.
Den Ärzten, die aus Perspektivlosigkeit nach Deutschland ziehen, kann dies nicht zum Vorwurf gemacht werden: Sie nehmen ein konstitutives Recht der Europäischen Union wahr - die Freizügigkeit.
Das Problem ist nicht an die Ärzte, sondern an die politischen Institutionen in ihren Heimatländern und der EU zu adressieren.
Ein tiefer Schatten fällt auf die Allgemeinmedizin und die Zukunft der hausärztlichen Versorgung: Jeder dritte Allgemeinarzt ist inzwischen über 60 Jahre alt, das ist rund doppelt so viel wie im Durchschnitt aller Ärzte.
Mehr als 2000 Allgemeinärzte scheiden jährlich aus dem Berufsleben aus - aber die Zahl der Facharztanerkennungen stagniert bei etwa 1000 pro Jahr.
Hier klafft jährlich eine Lücke von näherungsweise 2000 jungen Allgemeinmedizinern, wenn man der Bedarfsprognose des Sachverständigenrates folgt. Das heißt: Wenn die Instrumente des Versorgungsstärkungsgesetzes nicht greifen, laufen wir sehenden Auges in die Rationierung der Grundversorgung.
Die Frage ist: Können wir es uns leisten, mehr Anästhesisten als Allgemeinärzte auszubilden? 3111 neu anerkannten Ärzten für Anästhesiologie standen in den letzten drei Jahren 3062 neuen Hausärzten gegenüber. Eine frappierende Relation.
Lesen Sie dazu auch: Deutschland: Gleichzeitig Ärzte-Boom und Ärztemangel