Jubel und Kritik
Erste DiGA „gefeiert wie Geburt und Taufe zugleich“
Die ersten Gesundheits-Apps sind am Start, bald können Ärzte die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) verordnen. Im Bundesgesundheitsministerium ist die Freude darüber groß. Ärzte und Kassen haben aber noch Fragen, wie eine AOK-Veranstaltung deutlich machte.
Veröffentlicht:Berlin. Das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat jüngst die ersten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) offiziell gelistet, ab dem 15. Oktober können Ärzte die Anwendungen verordnen.
Die Mitarbeiter im Bundesgesundheitsministerium (BMG) hätten diese Nachrichten wie „Geburt und Taufe gleichzeitig“ gefeiert, verriet Christian Klose, Leiter der Unterabteilung gematik im BMG, bei einer Veranstaltung der AOK Nordost am Mittwochabend in Berlin.
DiGA auf Rezept
Gesundheits-Apps können ab 15. Oktober verordnet werden
Schlusslicht bei Digitalisierung
Vertreter aus Politik, Ärzteschaft und Start-Ups zogen Bilanz nach einem Jahr Digitale-Versorgung-Gesetz. Wegen Corona fand die Veranstaltung ohne Publikum im Saal, dafür als Livestream im Internet statt.
Bei der Digitalisierung sei Deutschland Schlusslicht im internationalen Vergleich, gestand Klose ein. „Das war schon eine Triebfeder für uns“. Dem Ministerium sei es „extrem wichtig“ gewesen, mit hoher Geschwindigkeit digitale Produkte in den Markt zu bringen.
Ziel der DiGAs wie auch anderer digitaler Lösungen müsse sein, Versorgung besser zu machen, sagte Klose. An der Entscheidung, dass das BfArM für Überprüfung und Zulassung der Anwendungen verantwortlich zeichne, gäbe es nichts zu mäkeln. Die Bundesbehörde mache ja auch bei der Marktzulassung von Arzneimitteln einen hervorragenden Job.
Die Kassen seien bei der Geburtsstunde der Apps auf Rezept gerne behilflich, sagte die Vorstandschefin der AOK-Nordost, Daniela Teichert. „Wir sind gut vorbereitet, aber wir brauchen noch Antworten zum Prozess.“
Aufgabe von Kassen wie Ärzten sei es, Patienten bei den Anwendungen beratend zur Seite zu stehen. Die Apps müssten medizinisch notwendig sein und aus Patientensicht „förderlich“. Ansonsten seien sie nicht verordnungsfähig. Die Anwendungen sollten „integrativ“ Lücken in der Versorgung schließen. Als separate Säule oder nettes Add-on seien sie nicht gedacht, machte Teichert deutlich.
„Gewisse Vorsicht berechtigt“
Für die niedergelassenen Ärzte stellte der Geschäftsführer der KBV-Tochter kv.digital, Dr. Florian Fuhrmann, klar, dass die Kollegen der Digitalisierung grundsätzlich offen gegenüberstünden. Dass Ärzte mit Blick auf die Apps auf Rezept aber noch Fragen stellten, habe seine Berechtigung. „Es ist ein vollkommen neuer Leistungsbereich, da ist gewisse Vorsicht berechtigt.“
Ärzte bräuchten mehr Fachinformationen, um die Apps einschätzen zu können. „Das sehe ich in der Hand der Hersteller.“ In jedem Fall müssten die Anwendungen hohe Qualitätsstandards erfüllen.
Diese Standards würden Hersteller auch erfüllen, versicherte Nora Blum, Geschäftsführerin von Selfapy, einem Anbieter von Online-Therapien bei psychischen Erkrankungen. Der Antrag auf Zulassung der entsprechenden App liegt derzeit dem BfArM zur Prüfung vor. Blum attestierte der Bonner Behörde eine gute Arbeit. „Den Austausch hätte ich nicht so effizient und gut erwartet.“
Das Online-Programm sei leitlinienkonform aufgebaut und solle schnelle, überbrückende Hilfe leisten, so Blum. Von Hausärzten bekomme sie überwiegend positives Feedback. „Bei den Psychotherapeuten muss man sehr stark ins Gespräch gehen.“ Ihnen sei klarzumachen, dass es sich um eine Ergänzung zur Therapie handele, nicht um einen Ersatz.
Chronisch Kranke profitieren!
Der erste Weg der DiGAs in den Markt laufe über chronische Erkrankungen, zeigte sich der Geschäftsführer von Emperra, Dr. Janko Schildt, überzeugt. Das Unternehmen bietet ein IT-gestütztes System zur Diabetes-Steuerung an. „Reale Fernbehandlung ist so möglich.“
Auch Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG-Selbsthilfe, betonte, vor allem chronisch Kranke könnten von Apps profitieren. Sie bräuchten ständig Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Erkrankung, die der Arzt nicht leisten könne. Viele Menschen hätten sicher schon von der App auf Rezept gehört. Dennoch sei noch einiges an Informationsarbeit zu leisten.
App für 9,99 Euro „illusorisch“
Emperra-Chef Schildt warnte die Branche vor Mondpreisen nach der Zulassung einer App. Die Kassen müssten die Kosten dann an anderer Stelle einsparen. Selfapy-Chefin Blum stellte fest, eine Gesundheits-App zum Preis „von 9,99“ sei illusorisch.
Die Entwicklung sei „richtig teuer“. Sie selber sei ein Freund von Pay for Performance. Das motiviere Hersteller, den Nutzen ihres Produkts zu erhöhen. „Ich finde es wichtig, dass man diese Modelle mitdenkt.“