Globale Gesundheit
G20 muss am Krisenmanagement feilen
Globale Gesundheitspolitik ist Wirtschaftspolitik. Die G 20 will die Reaktionsfähigkeit armer Länder auf Ausbrüche von Epidemien stärken. Nicht zuletzt aus Gründen des Selbstschutzes.
Veröffentlicht:BERLIN. Im fiktiven Entwicklungsland "Anycountry" verursacht ein unbekanntes Virus schwere Atemwegserkrankungen. Die wenigen Ärzte und Helfer vor Ort sind nicht in der Lage, die rasche Ausbreitung der Krankheit einzudämmen. Der inzwischen als "Mountain Associated Respiratory Syndrom" (MARS) bezeichnete Erreger erreicht die Nachbarländer. An Bord von Flugzeugen gelangen Träger des Virus in die Metropolen der Welt. Eine globale Gesundheitskrise zieht auf – und die Antwort der Verantwortlichen in der Welt ist unzureichend. Hunderte Menschen sterben, darunter viele Ärzte und Helfer.
850 Millionen Euro
im Jahr gibt Deutschland an Entwicklungshilfe für eine globale Gesundheitspolitik aus. Empfänger sind internationale Organisationen, aber auch Staaten und mittlerweile auch öffentlich-private Partnerschaften.
Dieses Szenario ist am Wochenende Ausgangspunkt eines bislang einzigartigen Experiments. Hochrangige Gesundheitspolitiker aus den 20 führenden Industrie- und Schwellenländer setzen sich insgesamt vier Stunden in einen engen Raum am Brandenburger Tor in Berlin und üben Krisenmanagement.
Dafür gibt es Vorgaben, Meldepflichten und verabredete Meldeketten, die kaskadenartig von der internationalen auf die nationale Ebene reichen sollen. In Deutschland zum Beispiel ist für die Umsetzung dieser Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) bei Infektionskrankheiten das Robert Koch-Institut zuständig. Direkter Ansprechpartner für die WHO ist das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum von Bund und Ländern, das wiederum vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) betrieben wird.
Minister im Schockraum
"Did you save the world?", wird der deutsche Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Trockenübung gefragt. Seine Antwort sagt viel: "I think we experienced also a shock", antwortet er. Die Übung habe kein leichtes "happy end" erfahren. Sie sei eine offene Geschichte geblieben, die gezeigt habe, dass es beim Krisenreaktionsmanagement jede Menge zu verbessern gibt.
Das Vorbild für die Simulation eines weltumspannenden Ausbruchs einer hochinfektiösen Krankheit ist die Ebola-Epidemie 2014 und 2015 in Westafrika. Fachleute sind sich einig, dass die Welt nur deshalb einer globalen Katastrophe entging, weil Ärzte ohne Grenzen damals entschlossen eingegriffen habe. Die Reaktion der WHO blieb dagegen verhalten. Die scheidende Generaldirektorin Margaret Chan (Hongkong) wird bis heute dafür kritisiert.
Der Ausbruch blieb weitgehend auf Guinea, Liberia und Sierra Leone begrenzt, gleichwohl mit katastrophalen Folgen. Von den 28.639 gemeldeten an Ebola erkrankten Menschen starben 11.316. In Liberia gab es zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 220 Ärzte, in Sierra Leone 280. Knapp zehn Prozent der Ärzte und mehrere hundert medizinische Helfer überlebten ihren Einsatz für die Kranken nicht.
Ebola tötet auch indirekt
Weil Ebola praktisch alle Kapazitäten der ohnehin schwachen Gesundheitssysteme absorbierte, sei es zu Übersterblichkeiten bei anderen Krankheiten gekommen, rechnet der Beauftragte der Coalition for Epidemic Preparedness Innovations (CEPI) Dr. Dr. Ralf Clemens vor. Mehr als zehntausend Menschen seien an Aids, Tuberkulose und Malaria gestorben, weil keine Behandlungskapazitäten mehr frei waren.
CEPI ist eine seit diesem Jahr aktive internationale Organisation, die die Impfstoffentwicklung gegen Krankheiten mit Pandemiepotenzial vorantreiben soll. MSD hat bereits 300.000 Impfdosen gegen Ebola-Zaire im Auftrag der internationalen Impfallianz GAVI produziert. Die erforderlichen Zulassungen fehlen allerdings. Geeinigt haben sich die CEPI-Träger darauf, zudem die Impfstoffentwicklung gegen MERS, Lassa und Nipah zu finanzieren.
Die ökonomischen Verluste durch Ebola in den betroffenen Ländern waren enorm und letztendlich der Hauptgrund für das nun erwachte Interesse der G 20-Staaten an sozialer Entwicklung und einer Stärkung schwacher Gesundheitssysteme.
"Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich auch aggressive Erreger auf der Welt ausbreiten", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zur Eröffnung des G 20-Gesundheitsministertreffens. Es sei eine Frage der ökonomischen und sozialen Vernunft, sich damit zu beschäftigen.
Modellrechnungen des US-Gesundheitsministeriums schätzen den Schaden, den Pandemien im Durchschnitt jedes Jahr verursachen könnten, auf 30 Milliarden US-Dollar. Allein der Ausbruch von SARS in Asien im Jahr 2003 soll demnach volkswirtschaftliche Schäden von 54 Milliarden US-Dollar ausgelöst haben.
G 20 wollen Transparenz schaffen
Den Verantwortlichen der G 20-Staaten ist klar, dass arme Länder kein Interesse haben, vor der Weltöffentlichkeit als Brutstätten gefährlicher Krankheitserreger dazustehen. Ihre Ökonomien können durch das Ausbleiben von Touristen, die Schließung von Häfen und den Boykott landwirtschaftlicher Produkte empfindlich getroffen werden. Die Einrichtung einer Gesundheitskrisen-Versicherung der Weltbank im Zuge der WHO-Reform soll es nach Vorstellung Merkels auch armen Ländern ermöglichen, beim Ausbruch einer Epidemie nicht als Bittsteller vor der Weltgemeinschaft zu stehen, sondern ihnen schnellen Zugang zu Geld verschaffen. Für die Kanzlerin steht fest: "Investitionen in die Bezahlbarkeit von Behandlung und Medikamenten sowie in die Ausbildung von Ärzten erweisen sich als Investitionen in die Wirtschaft."
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