Zwei-Klassen-Diskussion
Gassen reagiert gelassen
Einen designierten Gesundheitsminister gibt es, eine Regierung noch nicht. Die Vertragsärzte sehen sich versteckten Vorwürfen ausgesetzt, sie betrieben Zwei-Klassen-Medizin.
Veröffentlicht:BERLIN. Die "gefühlte" Zwei-Klassen-Medizin beherrscht die gesundheitspolitische Debatte. Privat und gesetzlich Versicherte müssten in Zukunft gleich schnell einen Termin bekommen, hatte sich der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn nach seiner Nominierung zu Wort gemeldet.
Beim Arzt hätten die Menschen das Gefühl, es gebe zwei Klassen bei der Termingvergabe, sagte er dem "Redaktionsnetzwerk Recherche".
In einem Sofortprogramm sollen dafür die Terminservicestellen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen ausgebaut werden, heißt es dazu im Koalitionsvertrag von Union und SPD. "Kann man machen", kommentierte KBV-Chef Dr. Andreas Gassen das Vorhaben.
Er halte die Aufregung um eine vermeintlich ungerechte Terminvergabe durch die Fachärzte jedoch nicht von der Wirklichkeit gedeckt. Ohne zusätzliche Mittel werde ein Ausbau der Terminservicestellen allerdings nicht zu haben sein. Es brauche eine Incentivierung.
Nickelig oder ignorant?
Die Vorgabe der Koalitionäre in spe, das Mindestsprechstundenangebot von Vertragsärzten von 20 auf 25 Stunden zu erhöhen, kann Gassen nicht nachvollziehen.
"Ist das Nickeligkeit oder Unkenntnis, dass eine solche Regelung nicht in den Kreis der Politik gehört, sondern in den Bundesmantelvertrag von Vertragsärzten und Krankenkassen", wunderte sich Gassen am Mittwochabend vor Journalisten in Berlin.
"Die Debatte entgleist gerade", ergänzte KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister. Der kalkulatorische Arztlohn sei bereits auf Basis von 52 Wochenstunden kalkuliert. Hier könne auch aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen nicht weiter gedreht werden.
Die Entbudgetierung der haus- und fachärztlichen Grundleistungen könne allerdings sehr wohl dazu beitragen, die Diskussion zu entspannen, sagte Gassen.
Dabei geht es laut der KBV-Spitze um einen Betrag von 475 Millionen Euro. Er sei verhalten optimistisch, dass sich an dieser Stelle etwas für die Ärzte bewegen könne, sagte Gassen.
Diesen Optimismus schöpfte er auch aus Äußerungen von Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks von Mittwoch. Auch die Vergütungslogik solle patientenfreundlicher ausgerichtet werden, hatte Prüfer-Storcks bei einer Veranstaltung von "Tagesspiegel" und Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung (ZI) gesagt.
Deshalb werde über morbiditätsorientierte Pauschalen und Koordinierungspauschalen nachgedacht. Dafür müsse es Einzelleistungsvergütungen geben, die Budgetierung gehöre in bestimmten Bereichen auf den Prüfstand.
Prüfer-Storcks, die den Koalitionsvertrag für die SPD mit verhandelt hat, hatte auch die Notwendigkeit angesprochen, die Preise für Operationen ambulant und stationär anzugleichen. Für die KBV-Spitze kein Problem: "Den Wettbewerb halten wir aus, sagten Gassen und Hofmeister. "Bange ist uns nicht!"
Die Preise für ambulante Operationen und Eingriffe im Krankenhaus unterscheiden sich laut Prüfer-Storcks um bis zum Vierfachen. Das schaffe nicht bedarfsgerechte Anreize.