Lehren aus Corona-Pandemie
Gerlach fordert Stärkung der ambulanten Medizin
Digitalisierung und Telemedizin könnten bei einer Pandemie Druck von den Krankenhäusern nehmen, sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats Professor Ferdinand Gerlach im Interview mit der „Ärzte Zeitung“.
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Mehr Digitalisierung im Gesundheitswesen, fordert Professor Ferdinand Gerlach. (Archivbild)
© Jörg Carstensen/dpa
Berlin. Der ambulante Sektor könnte die Risiken einer nosokomialen Verbreitung des neuen Coronavirus abfedern helfen. Davon zeigt sich der Vorsitzende des Sachverständigenrats Gesundheit Professor Ferdinand Gerlach überzeugt.
„Die Fixierung auf die Intensivmedizin greift zu kurz“, sagt Gerlach im Exklusiv-Interview mit der „Ärzte Zeitung“. Viele Patienten könnte man vor dem Krankenhaus schützen, wo sie andere oder sich selbst anstecken können, sagt Gerlach.
Telemedizinische Überwachung der Vitalparameter von Patienten zu Hause könnte vielen den Klinikaufenthalt ersparen, wo sie sich selbst anstecken oder andere anstecken könnten. Das erfordere eine Stärkung der ambulanten Medizin. In einem künftigen Ausbruchsgeschehen benötige man dann weniger stationäre Kapazitäten als heute.
„Wir wissen ja aus anderen Ländern, dass sich viele Patienten erst im Krankenhaus infiziert haben. Stationäre Behandlung sollte auch deshalb, wenn irgend möglich, vermieden werden“, betont Gerlach.
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Dass das Gesundheitswesen eine „Vollbremsung“ habe hinlegen müssen, um sich für die Versorgung von möglicherweise sehr großen Zahlen COVID-19-Betroffener zu wappnen, sei auch einem Mangel an Informationen geschuldet, sagt Gerlach.
„Es ist ja bemerkenswert, dass bei uns erst eine Fachgesellschaft, die DIVI, die Initiative ergreifen musste, um ein Register der Intensivbetten und Beatmungsplätze zu etablieren“, sagt der Allgemeinmediziner. Für die Steuerung der Versorgung wäre es besser gewesen, wenn solche Daten bereits vorgelegen hätten.
Die aktuelle Krisensituation zeige zudem, dass man mit der Nutzung vorhandener medizinischer Daten nicht erst beginnen könne, wenn ein hundertprozentiger Datenschutz gewährleistet sei. „Es ist nicht nur ethisch problematisch, wenn man Daten missbraucht. Es ist auch ethisch problematisch, wenn wir vorhandene Daten nicht nutzen“, sagt Gerlach.
Ab Januar 2021 müssen die Krankenkassen ihren Versicherten elektronische Patientenakten anbieten. Die Versicherten sollen die Möglichkeit erhalten, ihre Daten freiwillig für Forschungszwecke zur Verfügung zu stellen. Solche Daten zum Beispiel zur Medikation von Patienten könnten bei einer Pandemie die Forschung erleichtern, sagt Gerlach.
Das Auftreten des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 wird die Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland beschleunigen. So plant die Große Koalition, die Gesundheitsämter technisch aufzurüsten. Sie sollen in die Lage versetzt werden, Daten mit dem Robert Koch-Institut (RKI) digital austauschen zu können.