Gesetzgebung
Grüne gehen Bundesregierung bei Intensivpflegereform an
Mit dem geplanten Reha- und Intensivpflegegesetz will Gesundheitsminister Spahn die Versorgung von beatmungspflichtigen Patienten verbessern. Die Grünen gehen hart ins Gericht mit dem Vorhaben.
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Ein kleiner Patient wird außerhalb der Klinik beatmet. Aktuelle Pläne der Regierung könnten diese Form der Versorgung erschweren, so die Kritik.
© Patrick Pleul / ZB / dpa / pictu
Berlin. Die Grünen werfen der Bundesregierung Wissenslücken beim Thema außerklinische Intensivpflege vor. Gesetzespläne, wonach beatmungspflichtige Patienten nur noch in Ausnahmefällen in den eigenen vier Wänden versorgt werden sollten, verstießen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen, kritisiert die Grünenfraktion im Bundestag in einer Stellungnahme. Damit reagiert die Fraktion auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen zur Situation in der Intensivpflege. Beide Papiere liegen der „Ärzte Zeitung“ vor.
In Stein gemeißelt scheinen die Paragrafen nicht. Die Bundesregierung betont, das Gesetzesvorhaben befinde sich derzeit noch in der Abstimmung. Es seien zahlreiche Stellungnahmen eingegangen, die derzeit „sorgfältig“ ausgewertet würden. „Erforderliche Änderungen und Klarstellungen“ – auch mit Blick auf Fragen der Selbstbestimmung und Teilhabe – würden in den Entwurf eingearbeitet. Grundsätzlich solle die Versorgung beatmungspflichtiger Patienten in der eigenen Häuslichkeit „auch weiterhin“ möglich sein. Hier sei je nach Fall zu entscheiden.
Beatmung zu Hause als Ausnahme
Auslöser der Kontroverse ist der vom Gesundheitsministerium im August vorgelegte Referentenentwurf für ein „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ (RISG). Mit der Reform will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Teile der Rehabilitationspflege anders aufstellen und den Anspruch auf außerklinische Intensivpflege neu fassen. Darüber hinaus sollen neue Qualitätsvorgaben für ambulante Intensivpflege-Dienste und stationäre Einrichtungen gelten. Nur in Ausnahmen soll es noch Anspruch auf Intensivpflege zuhause geben.
Vor allem dieser Punkt hatte zu Protesten von Patientenverbänden, aber auch von fachärztlichen Vereinigungen geführt. Derzeit gebe es sehr wohl viele Menschen mit Beatmung, die über eine gute Versorgung in den eigenen vier Wänden verfügten. Das sichere ihnen ein Stück Lebensqualität, heißt es dort.
Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort darauf, dass die Bedeutung der außerklinischen Intensivpflege stark zugenommen habe. Für 2018 verzeichneten Krankenkassen-Statistiken etwa 19 100 Leistungsfälle in der ambulanten und rund 3400 Leistungsfälle in der stationären Intensivpflege sowie Leistungsausgaben von rund 1,9 Milliarden Euro.
Zugleich gebe es „deutliche Hinweise“ auf eine Fehlversorgung in der außerklinischen Intensivpflege. „Dies betrifft insbesondere die ambulante Versorgung von Beatmungspatienten“, schreibt die Regierung. Qualitätsprüfungen in ambulanten Pflegediensten, die Versicherte mit Intensivpflegebedarf zu Hause oder in einer organisierten Wohneinheit betreuen, zeigten Verbesserungsbedarf. So zeige eine Auswertung von Prüfdaten bei insgesamt 905 ambulanten Pflegediensten, die mindestens einen Patienten mit spezieller Krankenbeobachtung rund um die Uhr versorgten, dass bei 20 Prozent der Patienten die Versorgung nicht „sachgerecht“ gewesen sei. Auch aus der Presseberichterstattung lägen entsprechende Hinweise vor.
Gesundheitsminister Spahn hatte zudem darauf verwiesen, dass nach Einschätzung von Ärzten etwa 60 Prozent der beatmeten Patienten entwöhnt werden könnten. Die finanziellen Anreize lägen aber so, dass die Patienten beatmet blieben, obwohl sie eigentlich eigenständig atmen könnten. Auch das habe mit Selbstbestimmung zu tun.
Grüne: Ministerium nicht informiert
Die Grünenfraktion kritisiert, dass das Gesundheitsministerium offenbar über keine Zahlen zu rechtskräftigen Urteilen zum Abrechnungsbetrug in der Branche verfüge. Im Referentenentwurf „jongliere“ das Ministerium mit Zahlen. Es wirke so, als solle der Eindruck erzeugt werden, dass Intensivpflege zuhause eine kriminelle Handlung darstelle. „Wenn dem so wäre, wären die Kostenträger jahrelang ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, entsprechende Anspruchs- und Qualitätsprüfungen vorzunehmen“, heben die Grünen hervor. Die Bundesregierung könne zudem auch nicht angeben, welche Indikationen hauptsächlich zu einer Inanspruchnahme der außerklinischen Intensivpflege führten.
„Die Bundesregierung scheint mit dem Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz einen vorschnellen Entwurf vorgelegt zu haben“, sagte die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Kordula Schulz-Asche, der „Ärzte Zeitung“. Das Gesetzesvorhaben stehe in „krassem Widerspruch“ zu Selbstbestimmungsrechten betroffener Patienten. „Es ist schade, dass sich die Bundesregierung nicht deutlicher dazu bekennt, die Menschen selbstbestimmt darüber entscheiden zu lassen, wo sie leben möchten.“
Schulz-Asche nannte es „völlig absurd“, eine Versorgungsform mit der Begründung abzuschaffen, ihre Qualität verbessern zu wollen. „Wer die Qualität in der außerklinischen Intensivpflege sinnvoll und spürbar verbessern möchte, sollte die Prüfdienste befähigen, die tatsächliche Versorgungsqualität zu überprüfen.“
Die Grünen-Sprecherin für Behindertenpolitik Corinna Rüffer ergänzte: „Auch wer beatmet wird, hat das Recht, selbst zu bestimmen, wo und mit wem er leben möchte.“ Bei Menschenrechten gebe es kein Einsparpotenzial.