Nutzenbewertung

Hecken sieht Sparpotenzial in Gefahr

Der GBA befürchtet, dass Pharmahersteller die Nutzenbewertung von Bestandsmarktprodukten auf dem Klageweg blockieren können. Jetzt ruft GBA-Chef Josef Hecken das Bundesgesundheitsministerium auf, für Klarheit zu sorgen.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Milliarden Euro sparen durch Preisverhandlungen im Bestandsmarkt? Diesem Vorhaben könnten Gerichte einen STrich durch die Rechnung machen, fürchtet GBA-Josef Hecken.

Milliarden Euro sparen durch Preisverhandlungen im Bestandsmarkt? Diesem Vorhaben könnten Gerichte einen STrich durch die Rechnung machen, fürchtet GBA-Josef Hecken.

© Becker&Bredel / imago

BERLIN. Können Pharmaunternehmen gegen die Nutzenbewertung von Produkten aus dem Bestandsmarkt gerichtlich vorgehen? Bereits die erste Bewertung dieser Art - vorigen Sommer durch den Aufruf der Gliptine vom GBA veranlasst - könnte zur Klärung dieser Frage zwingen.

Denn Novartis hat gegen die Aufforderung, ein Dossier für seinen Wirkstoff Vildagliptin vorzulegen, Klage eingereicht und Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) gestellt. Aber: Im Sozialgesetzbuch V (§35a) wird die gesonderte Klage gegen die Nutzenbewertung ausdrücklich ausgeschlossen.

Weil dabei jedoch nur auf die Bewertung neuer Arzneimittel referenziert wird, nicht jedoch zugleich auf den Unterpunkt, der den Bestandsmarktaufruf regelt, ist die Sache strittig.

Das LSG will nun bis Ende März darüber befinden, ob die Klage zulässig ist. Um einheitliche Verfahrensbedingungen für alle Anbieter von Gliptinen zu gewährleisten, hat der GBA die Frist zur Einreichung eines Dossiers bis dahin verlängert.

Entscheidet das LSG zugunsten von Novartis, dann gerät die Nutzenbewertung des Bestandsmarktes zum stumpfen Schwert.

Bisher nur 25 Millionen Euro gespart

Ohne die Bestandsmarktbewertung lassen sich die Einsparungen, die mit der 2011 eingeführten Neuordnung der Preisbildung für patentgeschützte Präparate erreicht werden sollten, aber nicht realisieren. Davon ist der GKV-Spitzenverband überzeugt.

Erklärtes Ziel der schwarz-gelben Regierungskoalition ist es, zwei Milliarden Euro Arzneimittelkosten pro Jahr zu sparen. Realisiert wurden davon bis Ende 2012 gerade mal 25 Millionen Euro.

Zwar dürften es in diesem Jahr deutlich mehr werden, denn zwischen GKV-Spitzenverband und Herstellern sind seit Mitte vergangenen Jahres bis heute für rund ein Dutzend Arzneimittel Erstattungsbeträge vereinbart worden, die erstmals in 2013 für ein volles Jahr kostensenkend wirken.

Schon ein Gliptin bewertet

Wenn jedoch der sogenannte Bestandsmarkt einbezogen wird, also auch solche Arzneimittel eine Nutzenbewertung mit anschließender Preisverhandlung durchlaufen, die bereits im Markt waren, bevor das AMNOG in Kraft trat, würden die Kassen um Milliardenbeträge entlastet.

GBA-Chef Josef Hecken sieht allein im Bestandsmarkt ein Sparpotenzial von drei bis vier Milliarden Euro pro Jahr, wie er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte.

Die gesetzliche Grundlage für die Möglichkeit, auch von patentgeschützten Arzneimitteln, die bereits länger im Markt sind, Belege für den Zusatznutzen einzufordern, ist Paragraf 35, Absatz 6 SGB V.

Danach sind vorrangig Arzneimittel zu bewerten, die für die Versorgung bedeutsam sind oder mit Arzneimitteln im Wettbewerb stehen, für die bereits ein Beschluss über den Zusatznutzen getroffen wurde.

Auf die Gliptine, die sich der GBA als erste Arzneigruppe aus dem Bestandsmarkt vorgenommen hat, trifft beides zu. Zum einen sind sie zumindest finanziell für die Versorgung bedeutsam.

Im ersten Anlauf beim GBA durchgefallen

Auf Gliptine entfielen laut Arzneiverordnungsreport im Jahr 2011 mit 306 Millionen Euro 18 Prozent der gesamten Verordnungskosten für Antidiabetika. Den Anteil an den Verordnungen (Tagesdosen) gibt der Report mit neun Prozent an. Zum anderen steht die Wirkstoffgruppe mit Linagliptin im Wettbewerb.

Der Wirkstoff ist das erste Gliptin, das sich einem Verfahren der frühen Nutzenbewertung stellte.

Nachdem Linagliptin im ersten Anlauf beim GBA durchgefallen war, hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in einem zweiten Verfahren erneut keinen Beleg für einen Zusatznutzen gegenüber der vom GBA bestimmten Vergleichstherapie Sulfonylharnstoff oder Insulin anerkannt, was auf Kritik unter anderem der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) gestoßen war.

Die DDG befürchtet nun, dass das IQWiG seine negative Bewertung auf alle DPP-4-Inhibitoren ausweitet. Damit würde Typ-2-Diabetikern ein therapeutischer Fortschritt vorenthalten. Der GBA entscheidet voraussichtlich bis Ende Februar über Linagliptin.

Unterdessen bereitet der GBA bereits die nächste Runde von Nutzenbewertungen aus dem Bestandsmarkt vor. Laut FAZ sollen damit Arzneien mit einem Gesamtumsatz zu Lasten der GKV von acht Milliarden Euro auf den Prüfstand. Um welche Wirkstoffe es sich dabei handelt, war vom GBA nicht zu erfahren.

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