Weltgesundheitsversammlung
High Noon in Genf – von Solidarität wegen Corona ist wenig zu spüren
USA gegen China, Trump gegen Xi: Der Machtkampf der Supermächte ist voll im Gang. Von einem Zusammenrücken in der Corona-Krise ist nichts zu spüren. Und mitten im Sturm: die WHO.
Veröffentlicht:Genf. High Noon – um Punkt 12 Uhr startet am Montag die Jahresversammlung der Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Virtuell, wegen der Corona-Pandemie, die zugleich auch das Topthema ist. Eigentlich. Aber ein Streit um die Teilnahme Taiwans als Beobachter droht die Einheit der 194 Mitgliedsländer gleich zum Auftakt der Weltgesundheitsversammlung (WHA) zu sprengen.
Dagegen plädiert Grünen-Bundestagsabgeordneter Ottmar von Holtz, im Vorfeld der WHA für ein solidarisches Vorgehen gegen COVID-19. Die WHA sei ein wichtiges Signal für die Relevanz der WHO in Zeiten in denen „allzu viele Akteure auf nationale Alleingänge setzen“, so von Holtz laut einer Mitteilung.
„Zugang zu Impfstoffen und Therapeutika für alle“
Der Bundestagsabgeordnete forderte für die Versammlung einen „Austausch über alle verfügbaren Informationen, die bei der Bekämpfung von Covid-19 hilfreich sein können“. Die Bundesregierung müsse sich für eine eingebrachte EU-Resolution einsetzen, die „Zugang zu Diagnostik, Impfstoffen und Therapeutika gegen Covid-19 für alle Menschen weltweit einfordert“, forderte von Holtz weiter.
Doch am Montag droht zunächst ein Showdown. Statt um dringend nötige Impfstoffe und Medikamente geht es dieses Mal bei der Weltgesundheitsversammlung um Geopolitik. Auf der einen Seite stehen die USA, die Verbündete drängen, für Taiwans Teilnahme zu stimmen, auf der anderen China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet.
Konflikt seit 2017 verschärft
Mehr als ein Dutzend Länder unterstützen den Ruf der USA nach Einladung Taiwans, darunter Deutschland, wie ein Regierungssprecher in Berlin betonte. Auf Pekings Seite stehen die meisten Staaten Afrikas, wo China in den vergangenen Jahren massiv investiert hat.
China ist UN-Mitglied, Taiwan, das seit 1949 eine eigene Regierung hat, nicht. China hat Taiwan in der WHO aber jahrelang als Beobachter geduldet. Nach einem Regierungswechsel auf der Insel blockt China seit 2017. „Die Regierung Taiwans hat die Ein-China-Politik aufgegeben und damit die Basis einer weiteren Teilnahme an der WHA zerstört“, sagt der chinesische Botschafter in Genf, Chen Xu.
Die WHO bezieht Taiwan in technische Expertenteams zwar immer ein, das Land fürchtet aber, Wichtiges zu verpassen, wenn es nicht teilnehmen darf.
Trump geht zum Angriff über
Bei den US-Interessen geht es allerdings kaum um Taiwan und seine Politik. Vielmehr nutzt US-Präsident Donald Trump den Streit als Gelegenheit, von seinen eigenen Fehlern in der Corona-Krise abzulenken. Während die USA schon mehr Infektionen und Corona-Tote als jedes andere Land der Welt haben, geht Trump zum Angriff über und bedient gleich zwei Feindbilder: den Wirtschaftskonkurrenten China und die Vereinten Nationen in Form der WHO.
China trage Verantwortung, weil es das neue Virus erst vertuscht habe, und die WHO sei wie eine „PR-Agentur für China“, sagt er. „Eine der gefährlichsten und kostspieligsten Entscheidungen der WHO war die katastrophale Entscheidung, sich gegen Reisebeschränkungen aus China und anderen Ländern auszusprechen“, sagte Trump. Die WHO hätte schneller einschreiten müssen. „Das hätte Tausende Leben gerettet und weltweiten wirtschaftlichen Schaden verhindert“, behauptete er.
Nicht nur die USA fordern Untersuchung zur Pandemie
Dass die dringenden Appelle der WHO schon im Januar, Vorkehrungen gegen das Virus zu treffen, von vielen Ländern – auch den USA – ignoriert wurden: Trump lässt es außer Acht. Stattdessen fror Trump die US-Beiträge an die WHO im April ein und lässt jetzt „die Rolle der WHO in der verheerenden Handhabe und Vertuschung der Ausbreitung des Coronavirus“ prüfen.
Kurz vor dem Start der WHA hat Trump jetzt angedeutet, in welche Richtung sich die USA bei den Beiträgen zur WHO bewegen könnten: Eines von „zahlreichen“ Konzepten, die die Regierung in Erwägung ziehe, sehe vor, künftig nur noch zehn Prozent der bisherigen US-Beiträge zu bezahlen, was den „viel niedrigeren“ Zahlungen Chinas entspreche, sagte Trump am Samstag.
USA sind bisher der größte Zahler
Das Budget der in Genf ansässigen WHO besteht nach eigenen Angaben zu weniger als einem Viertel aus den verpflichtenden Beiträgen der Mitgliedsstaaten. Die USA sind in diesem Kreis der größte Zahler: Für die Jahre 2020 und 2021 sind jeweils fast 116 Millionen US-Dollar fällig. Chinas Beitrag liegt für diese beiden Jahre bei jeweils rund 57 Millionen US-Dollar.
Im Windschatten der USA mucken auch andere Länder jetzt auf. So fordern zusätzlich zu den USA etwa Japan, Australien und andere eine unabhängige Untersuchung über den Ursprung der Pandemie, die China bislang verweigert. Auch die EU fordert eine solche Untersuchung.
China stemmt sich gegen eine Untersuchung
Warum stemmt China sich gegen eine Untersuchung? „Der Grund dafür dürfte sein, dass die Aufdeckung der wirklichen Vorgänge sich negativ bis verheerend auf die Legitimität der herrschenden Eliten auswirken könnte“, schreibt Junhua Zhang vom European Institute for Asian Studies (Eias) in Brüssel in der „NZZ“.
Wenn China sich sicher sei, in Wuhan, wo das Virus zuerst auftauchte, nichts falsch gemacht zu haben, sollte es einer Untersuchung doch gelassen entgegensehen.
Gelassen bleibt Chinas Botschafter Xu in Genf. „Anti-chinesische Stimmung? Das sehen wir nicht. Eine kleine Zahl von Leuten hat eine andere Meinung, aber die repräsentieren nicht den Zeitgeist.“ (dpa/ger)