Klares System von Warnstufen

Hitzewellen: Wie in Frankreich ältere Menschen geschützt werden

Der Rekordsommer 2003 forderte in Frankreich 15.000 hitzebedingte Todesfälle – vor allem ältere Menschen. Seit 2004 gelten landesweit Hitzepläne, die nun wohl Wirkung zeigen. Was die Behörden vor Ort im Bedarfsfall tun.

Denis Durand de BousingenVon Denis Durand de Bousingen Veröffentlicht:
Jardins du Trocadero in der Nähe des Eiffelturms: Abkühlung ist dringend geboten. In Frankreich mussten sich Menschen in einzelnen Regionen auf Temperaturen von bis zu 42 Grad einstellen.

Jardins du Trocadero in der Nähe des Eiffelturms: Abkühlung ist dringend geboten. In Frankreich mussten sich Menschen in einzelnen Regionen auf Temperaturen von bis zu 42 Grad einstellen.

© Michel Euler/AP/dpa

Paris. 11. August 2003, 20 Uhr: Im schwarzen Polohemd führt der damalige französische Gesundheitsminister und Kinderarzt Professor Jean-François Mattéi im Garten seines provenzalischen Hauses ein Live-Interview mit einem Fernsehjournalisten. Er zweifelt dessen Darstellung an, wonach die seit mehreren Tagen brütende Hitze schon Hunderte oder sogar Tausende von Todesfällen verursacht habe – so warnten damals bereits Notärzte.

Am Ende des Sommers war klar: Die große Hitzewelle im Jahr 2003 hatte landesweit rund 15.000 hitzebedingte Todesfälle nach sich gezogen. Noch heute zählt dieses Interview von Mattéi, das seine politische Karriere ruinieren sollte, zu den schlimmsten Kommunikationspannen eines Regierungsmitglieds in Frankreich.

Knapp ein Jahr nach der Katastrophe, die vor allem ältere und kranke Menschen betroffen hatte, wurden die ersten Hitzepläne eingeführt. Diese können jedes Jahr zwischen dem 1. Juni und dem 15. September in den 95 französischen Départements (Bezirke) in vier Stufen nach Bedarf ausgerufen werden. In Deutschland gibt es bisher kein derartiges flächendeckendes Hitzewarnsystem.

Gefährdete Senioren werden angerufen

In den Stufen Grün und Gelb erhält die Bevölkerung Informationen und Warnungen, sich vor Hitze zu schützen. Ab der Stufe Orange wird die öffentliche Hand dann aktiv. So müssen beispielsweise Bewohner von Altersheimen einige Stunden am Tag in kühleren oder klimatisierten Räumen untergebracht werden – solche Aufenthaltsräume mussten ab 2004 in allen Altersheimen und Kliniken obligatorisch eingerichtet werden.

Gleichzeitig sind Sozialdienste aber der Stufe Orange verpflichtet, ältere Personen anzurufen oder zu besuchen, um sicher zu stellen, dass sie sich zu Hause ausreichend vor der Hitze schützen. Parallel dazu laufen Informationskampagnen in allen Medien an – digital oder auch durch Plakate und Flugblätter.

Die Bevölkerung wird gebeten, auf alleinlebende alte Menschen oder gesundheitlich angeschlagene Nachbarn acht zu geben. Im Bedarfsfall können Sozialarbeiter über eine kostenlose „Hitze-Rufnummer “ kontaktiert werden. Die Stufe Orange wird von den Behörden dann aktiviert, wenn mehr als 34 Grad Celsius erreicht werden und wenn in mehr als drei Nächten die Temperatur nicht unter 20 Grad sinkt.

Tragödie von 2003 hat sich seitdem nicht wiederholt

Stufe Rot wird dann ausgerufen, wenn außergewöhnlich lange und extreme Hitzewellen herrschen. Neben verstärkten Präventionsmaßnahmen können die Behörden auch Schritte veranlassen, die die Industrie, die Mobilität und die Landwirtschaft betreffen. Wie bei Katastrophenfällen müssen bei Stufe Rot alle Notdienste sowie ambulante und stationäre Gesundheitseinrichtungen auf eine ungewöhnlich hohe Zahl von Patienten vorbereitet sein.

Diese Hitzepläne scheinen seit ihrer Einführung gewirkt zu haben: Hitzebedingte Sterbefälle werden auch in diesen Tagen in Frankreich verzeichnet, aber eine Tragödie wie im Jahr 2003 hat sich seitdem nie wiederholt. Jedoch halten viele Ärzte die bestehenden Hitzepläne für unzureichend, um künftig extremere und häufigere Hitzewellen managen zu können.

Mitte Juli dieses Jahres wurde in 15 südlichen Départements in Frankreich die Stufe Rot ausgerufen. In 73 weiteren Regionen galt seitdem die Stufe Orange – darunter auch Regierungsbezirke, die damit bisher keine Erfahrung hatten, so etwa in der Bretagne und der Normandie. Am 19. Juli wurde in ganz Frankreich die Stufe Rot wieder aufgehoben. Allerdings gilt in 53 Départements noch die zweithöchste Alarmstufe.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

EU-Kommission

Olivér Várhelyi ist neuer EU-Gesundheitskommissar

Kommentar

Rund um die Uhr Praxis: Gute Idee, die Folgen haben könnte

24/7-Versorgung

Radiologie: Im Süden von Paris gibt es Termine Tag und Nacht

Das könnte Sie auch interessieren
Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

© Viacheslav Yakobchuk / AdobeStock (Symbolbild mit Fotomodellen)

Springer Pflege

Umgang mit Multimorbidität in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
COVID-19 in der Langzeitpflege

© Kzenon / stock.adobe.com

Springer Pflege

COVID-19 in der Langzeitpflege

Anzeige | Pfizer Pharma GmbH
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Dr. Antigone Fritz und Hubertus Müller sitzen trocken am PC. Dort zu sehen: ein Bild vom Hochwasser in Erftstadt vor drei Jahren.

© MLP

Gut abgesichert bei Naturkatastrophen

Hochwasser in der Praxis? Ein Fall für die Versicherung!

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MLP
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

© HL

Herbstsymposium der Paul-Martini-Stiftung

Krisenkommunikation war Schwachpunkt in der Pandemie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Im Vordergrund Savanne und eine Giraffe, im Hintergrund der Kilimandscharo.

© espiegle / stock.adobe.com

Erhöhtes Thromboserisiko

Fallbericht: Lungenembolie bei einem Hobby-Bergsteiger