Offener Brief

Homöopathen sind enttäuscht von KBV-Chef

Die Homöopathen fühlen sich von KBV-Chef Gassen verschaukelt nach dessen kritischen Äußerungen zur Homöopathie: Gassen soll alle Ärzte vertreten – auch die komplementärmedizinisch aktiven Ärzte.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Globuli & Co: Komplementärmediziner fordern KBV-Chef Gassen auf, sich in Äußerungen zur Homöopathie zu mäßigen.

Globuli & Co: Komplementärmediziner fordern KBV-Chef Gassen auf, sich in Äußerungen zur Homöopathie zu mäßigen.

© photocrew/stock.adobe.com

BERLIN. Die Hufelandgesellschaft, die als Dachverband die komplementärmedizinisch tätige Ärzteschaft in Deutschland vertritt, hat die Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Freitag genutzt, um dem KBV-Vorsitzenden Dr. Andreas Gassen die Leviten zu lesen – und zwar in Bezug auf dessen Einstellung zur Homöopathie. „Es gibt keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit homöopathischer Verfahren“, hatte Gassen im Juli der „Rheinischen Post“ gesagt.

Wer diese Mittel haben möchte, könne diese bekommen, „aber bitte nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft.“ Laut Hufelandgesellschaft wenden mehr als 60.000 Ärzte in Deutschland komplementärmedizinische Methoden an.

Dialogbereitschaft eingefordert

Anlässlich der KBV-VV am Freitag übergab nun Dr. Sabine Fischer, Vorstandsmitglied der Hufelandgesellschaft, Gassen den offenen Brief. „Als hausärztliche Internistin mit verpflichtender Mitgliedschaft in der KV erwarte ich von Herrn Gassen, dass er auch mich und meine komplementärmedizinisch-integrativ tätigen Kolleginnen und Kollegen vertritt“, verdeutlichte sie das Ansinnen der Komplementärmediziner.

Ob der Brief Wirkung zeigte, ist offen. Verbrieft ist, dass Gassen gesetzlichen Krankenkassen am Freitag öffentlich zugestand, günstigere Zusatzoptionen für Primärarztsysteme anzubieten – „von mir aus auch für Homöopathie.“

Vertreter auch der Homöopathen?

„Als Vorstandsmitglied der Hufelandgesellschaft erwarte ich von allen Vertretern der Selbstverwaltung, dass sie zu einem Dialog mit uns bereit sind. Wir müssen zu einer gemeinsamen Kommunikation im Sinne der Patienten finden“, so Fischer weiter.

„In Ihrer Rolle als gewählter Vorstandsvorsitzender der KBV, also aller kassenärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen ist es Ihre Aufgabe, alle Kassen-Ärztinnen und -Ärzte zu vertreten. Wir sind befremdet darüber, dass Sie aus dieser Rolle heraus unsachliche Positionen zur Homöopathie vertreten und sich damit über die Grundsätze Zehntausender von Ihnen vertretener Ärzte hinwegsetzen“, mokieren sich die Vertreter der unterzeichnenden Gesellschaften – neben der Hufelandgesellschaft und dem Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) sind dies der Dachverband Anthroposophische Medizin in Deutschland sowie die Gesellschaft Anthroposophischer Ärzte in Deutschland.

Dr. Michaela Geiger, Erste Vorsitzende des DZVhÄ, plädiert für Pluralität im ärztlichen Therapiegeschehen. „Wir wollen Vielfalt in der Medizin. Wir brauchen eine Medizin, die das Beste aus unterschiedlichen Therapiemethoden miteinander verbindet“, wirbt sie um Verständnis für homöopathisch tätige Ärzte. „Wie sollen wir sonst Problemen wie chronischen Erkrankungen, zunehmenden Antibiotikaresistenzen oder der wachsenden Übermedikation gerecht werden? Am Ende des Tages sollten die Patienten entscheiden, was für sie von nachhaltigem Nutzen ist“, ergänzt sie.

Die unterzeichnenden Ärztegesellschaften kritisieren auch, dass Gassens Aussagen nicht mit dem Leitbild der KBV vereinbar seien. Dort heiße es: „Für die Patienten streben wir deren größtmögliche Zufriedenheit durch die konsequente Ausrichtung unserer Arbeit auf die Bedürfnisse der Patienten und durch mehr Selbstbestimmung und Eigenverantwortung an.“

Der Wunsch der Bürger zum Thema sei klar: Im Rahmen einer repräsentativen Umfrage vom vergangenen Jahr äußerten 75 Prozent der Deutschen, dass sie sich eine Integrative Medizin wünschen, 60 Prozent sind gegen ein Verbot der Erstattung homöopathischer Arzneimittel.

Kostenhinweis nur Augenwischerei

Hart ins Gericht gehen die Komplementärmediziner mit Gassen auch in puncto Homöopathika auf Kasse. Argumentiere der KBV-Chef immer wieder mit entstehenden Kosten, so wisse er doch selbst, dass diese für homöopathische Arzneimittel im GKV-System verschwindend gering seien – 2017 hätten sie sich mit 10,5 Millionen Euro gerade einmal auf 0,03 Prozent der gesamten Ausgaben für Arzneimittel belaufen, die die Beitragszahler mit ihren Pflichtbeiträgen finanzieren.

Es gebe im Übrigen auch eine Reihe von Seiten des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen des Zulassungsverfahrens wirksamkeitsgeprüfter homöopathischer Arzneimittel. „Bezweifeln Sie neuerdings die fachliche Qualifikation der deutschen Zulassungsbehörde zur Wirksamkeitsbeurteilung von Arzneimitteln?“, fragen die Gesellschaften Gassen in ihrem offenen Brief.

Ob es nach der KBV-VV nun zu einem Dialog zwischen Gassen und seinen Kritikern kommen wird, ist anscheinend noch offen. „Wir haben bereits mehrfach um einen Gesprächstermin gebeten, um die Chance für einen kollegialen Austausch zu erhalten, so wie es in der ärztlichen Selbstverwaltung in der Vergangenheit gelebt wurde“, steht es vielsagend im offenen Brief. „In einer Organisation, die es gewohnt ist, unterschiedliche Interessen und Standpunkte auszubalancieren und sie einander anzunähern, sollte dies die Normalität darstellen“, heißt es ergänzend.

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 19.09.201917:02 Uhr

Was soll das?

Beide Quellenangaben unter 1. und 2. sind zweifelsfrei voreingenommen, tendenziös und von Eigeninteresse geleitet

1. "Willkommen - www.wisshom.de
WissHom will einen Beitrag zum Fortschritt der Medizin und zum Nutzen der Allgemeinheit leisten. Die Grundlage dafür ist eine praktische und theoretische Weiterentwicklung der Homöopathie. Die Aufgabe von WissHom ist es, diese engagierte Zielvorgabe mit Leben zu füllen."

2. "Naturheilkunde und Komplementärmedizin: Die Carstens-Stiftung
https://www.carstens-stiftung.de
Unterstützen Sie unsere Arbeit und stärken Sie mit Ihrer Spende Naturheilkunde und Homöopathie. Der Arzt und die Ärztin der Zukunft sollen zwei Sprachen sprechen, die der Schulmedizin und die der Naturheilkunde und Homöopathie."

Alle bisher mir bekannt gewordenen Positiv-Studien zur Homöopathie sind vom Signifikanz- und Relevanz-Niveau völlig wert- und haltlos geblieben.

Nur ein Beispiel:
Wissenschafts- und Informationsgesellschaften
m ü s s e n sich im gesamtgesellschaftlich offenen Diskurs mit Inhalten, Aussagen, Systemtheorien, Schlussfolgerungen und Konsequenzen der Homöopathie auseinandersetzen.

Dabei wären Deeskalation, Unaufgeregtheit, Objektivität und Fairness das Gebot der Stunde. Wer Homöopathie-Kritiker mit "blindem Hass gegen die Homöopathie" tituliert, gießt m.E. demagogisch Öl aufs Feuer einer dringend notwendigen gesamtgesellschaftlichen Debatte um diese "besondere Therapierichtung".

Im Kern geht es darum, ob homöopathische Therapieverfahren einen über den Placeboeffekt hinausgehenden, statistisch nachweisbaren, leitlinienadäquaten, therapeutisch hilfreichen Effekt haben können.

R. T. Mathie et al. schrieben 2014 in "Randomised placebo-controlled trials of individualised homeopathic treatment: systematic review and meta-analysis" von Robert T Mathie et al.
https://doi.org/10.1186/2046-4053-3-142
als Schlussfolgerungen von möglichen kleinen, spezifischen Behandlungseffekten. Die insgesamt geringe oder unklare Qualität der Evidenz lege eine vorsichtige Ergebnisinterpretation nahe. Die Autoren fordern neue RCT("randomized controlled trials")-Forschung von hoher Qualität, um maßgeblichere Interpretationen zu ermöglichen ["Conclusions -
Medicines prescribed in individualised homeopathy may have small, specific treatment effects. Findings are consistent with sub-group data available in a previous ''global'' systematic review. The low or unclear overall quality of the evidence prompts caution in interpreting the findings. New high-quality RCT research is necessary to enable more decisive interpretation"].

In der Publikation Homeopathy 2018; 107(04): 229-243
DOI: 10.1055/s-0038-1667129
Review Article
The Faculty of Homeopathy
"Systematic Review and Meta-Analysis of Randomised, Other-than-Placebo Controlled, Trials of Individualised Homeopathic Treatment" von
Robert T. Mathie et al. finden sich ähnlich vage formulierte Schlussfolgerungen: "Conclusions - Due to the low quality, the small number and the heterogeneity of studies, the current data preclude a decisive conclusion about the comparative effectiveness of IHT. Generalisability of findings is limited by the variable external validity identified overall; the most pragmatic study attitude was associated with RCTs of adjunctive IHT. Future OTP-controlled trials in homeopathy should aim, as far as possible, to promote both internal validity and external validity."

Vage Schlussfolgerungen deshalb, weil das Fehlen von methodisch korrekten, kontrollierten Homöopathie-Studien gleichzeitig festgestellt, beklagt, eingefordert und als nicht vorhanden deklariert wird.

Wissenschaftlich gesicherte, Leitlinien-gerechte, Evidenz-basierte Therapieverfahren gehen dagegen, wie durch zahllose randomisierte, kontrollierte und auch doppelblinde Studien nachgewiesen publiziert, von hochsignifikant über den Placeboeffekt hinausgehenden Untersuchungs-, Heilungs- und Linderungsprozessen bei unseren Patientinnen und Patienten

Franz Bonsch 18.09.201914:49 Uhr

Kollege Gassen ist schlecht informiert

Es gibt sehr wohl positive Studien zur Homöopathie. Man kann sie mit einer Google Suche gut finden,z.B. Bei WissHom oder bei der Carstens Stiftung.

Dr. Peter Grimm 17.09.201920:42 Uhr

Weiter so!

Lassen Sie sich nicht beirren, Herr Kollege Gassen. Endlich spricht jemand unverblümt die Wahrheit aus und ich hoffe, dass dem Beispiel der Ärztekammer Bremen noch weitere Kammern folgen.

Prof. Dr. Volker Loewenich 17.09.201919:25 Uhr

Homöopathen-Brief

Frage:
Kann man durch Dialog herausfinden, ob Hahnemann oder Rudolf Steiner Recht haben, ob homöopathische bzw. anthroposophische Mittel wirken, oder bedarf es dazu vielleicht doch wissenschaftlich einwandfrei durchgeführter Studien?

Dr.med. Franz Heller 17.09.201910:11 Uhr

Nicht jammern, einfach liefern...

Wenn Herr Gassen argumentiert, es gebe keinen wissenschaftlichen Beweis für die Wirksamkeit von Geist-beseelten Kohlehydrat-Kügelchen, der über Plazebo hinausgeht, dann könnten doch alle diejenigen, die sich dadurch beleidigt, herabgesetzt, nicht wertgeschätzt oder sonstwie diskriminiert fühlen sich solidarisieren und zum gewaltigen Gegenschlag ausholen, indem sie eine wissenschaftliche Studie abliefern, die diese Bezeichnung auch verdient hat und eindeutig den ersehnten Wirksamkeitsnachweis erbringt. Wie, geht nicht? Ja dann...

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