Corona-Lockerungen
Infektionsschutzgesetz: Bouffier sieht Beziehungen von Bund und Ländern „am Tiefpunkt“
Die Zustimmung des Bundesrats zu den COVID-19-Lockerungen ist für die Ministerpräsidenten eine bittere Pille: Die meisten Länder stehen dabei nicht an der Seite der Ampel-Koalition. Woran sich die Kritik entzündet.
Veröffentlicht:Berlin. Der Bundesrat hat die Novelle des Infektionsschutzgesetzes am frühen Freitagnachmittag trotz heftiger Kritik der Länder einstimmig durchgewunken. Mehrere Rednerinnen und Redner, zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommerns Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD), hoben darauf ab, dass der Vermittlungsausschuss nur deshalb nicht angerufen werde, um eine Regelungslücke zu vermeiden. In einer Protokollnotiz zum Beschluss haben die Länder mit wenigen Ausnahmen ihren Protest gegen das Vorgehen der Bundesregierung niedergelegt.
Der Bundestag hatte zuvor weitreichende Lockerungen bei den Corona-Schutzmaßnahmen beschlossen. Ab Sonntag, 20. März, können die Länder demnach nur noch niedrigschwellige Maßnahmen anordnen, zum Beispiel Maskenpflicht in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen sowie im öffentlichen Personennahverkehr. Jede Entscheidung muss vom jeweiligen Landesparlament einzeln getroffen werden.
Bouffier: Unsäglicher Umgang
Die Länder sehen sich bei dem Gesetzgebungsverfahren weitgehend übergangen. Entgegen anderslautender Ankündigungen habe die Ampelkoalition in einer Phase steigender Corona-Inzidenzen den Wegfall der meisten Corona-Schutzregeln beschlossen. „Bund und Länder haben einen Tiefpunkt ihrer Beziehungen erreicht“, sagte ein sichtlich angefasster hessischer Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Das Verfahren, wie der Bund in diesem Zusammenhang mit den Ländern umspringe, sei „unsäglich“.
Corona-Maßnahmen
Ministerpräsidenten einig: Lockerungen kommen zur falschen Zeit
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) rückte Aussagen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in die Nähe des Wortbruchs. Entgegen anderslautender Ankündigungen seien die Länder an diesem Verfahren „nicht beteiligt“ worden, sagte Ramelow. Das Gesetz sei ohne das Fachwissen der Länder geändert worden. Der Bund habe den Ländern in Sachen Corona den Stuhl vor die Tür gestellt. Die Pandemie sei kein gemeinsamer Auftrag von Bund und Ländern mehr.
Ramelow: Gefährlicher Widerspruch
Nun seien den Ländern viele Möglichkeiten weitgehend genommen. „Impfen, Testen, Abstandhalten und Maskentragen – das sind die Basics, mit denen wir arbeiten müssen. Schutzmaßnahmen gälten weitgehend nicht mehr, wohl aber die Quarantäneregeln nach Infektionen. Das sei ein gefährlicher Widerspruch, warnte Ramelow.
Unverständnis rief auch die neue geschaffene Möglichkeit für die Länder hervor, Corona Hotspots ausrufen und dort strenge Schutzmaßnahmen aufrufen zu können. Es sei überhaupt nicht klar, was ein Hotspot sei, sagten mehrere Redner. Die Formulierungen im Gesetz dazu seien unpraktikabel und nicht rechtssicher umzusetzen.
Koalitionäre verteidigen sich
Die parlamentarische Gesundheitsstaatssekretärin Sabine Dittmar (SPD) widersprach. Ein Hotspot könne sogar ein ganzes Bundesland sein, wenn die Infektionszahlen hoch seien oder stark anstiegen. Der Bund werde nicht zögern nachzuschärfen, wenn sich das als notwendig erweisen sollte. Dittmar kündigte zudem eine neue Testverordnung für die kommende Woche an.
Skepsis zu den Hotspot-Regelungen äußerte auch der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen. Sie sei zwar vom Grundsatz her richtig, werde aber nicht mit nachvollziehbaren und einheitlichen Kriterien hinterlegt. „So droht uns wieder ein föderaler Flickenteppich mit von Bundesland zu Bundesland unterschiedlichen Regelungen“, bedauerte Gassen in einer Mitteilung im Anschluss an die Sitzung der Länderkammer. Die Hotspot-Regelung sei dann ein gangbarer Weg, wenn sie einheitlich angewendet werde, mahnte Gassen.